Seit dem Morgen des 6. Juni 1982 stehen schwarze Rauchsäulen über der Place des Canon und der berühmten Rue Weygand - Beirut, die vom Bürgerkrieg geschleifte Stadt am Mittelmeer, wird zum Schauplatz der bis dahin schwersten militärischen Konfrontation zwischen dem palästinensischen Widerstand und der israelischen Armee, die an diesem Tag in die libanesische Metropole vorstößt. Die Falken des Likud haben sich durchgesetzt: der damalige Premier, Friedensnobelpreisträger Menachem Begin, Außenminister Shamir und Verteidigungsminister Sharon vollziehen den Teil des Camp-David-Abkommens von 1978, der in keinem Vertragsprotokoll steht. Sie expedieren die PLO aus dem arabischen Kontext, der ohnehin nur noch fragmentarische Züge trägt, nac
Politik : Operation Beirut
Mit dem Einmarsch der israelischen Armee vor 20 Jahren begann für die PLO eine Zeit, in der sie nicht nur die Heimat, sondern auch den Boden unter den Füßen zu verlieren begann
Von
Lutz Herden
üge trägt, nachdem Ägypten seinen Separatfrieden mit Israel geschlossen hat. Westbeirut mit den Stadtvierteln, in denen die PLO-Stützpunke liegen, wird für Wochen von einer Mauer aus Blut und Blei eingeschlossen und von den Israelis aus der Luft, und von See her unter Feuer genommen, um die Kapitulation Yassir Arafats und Tausender seiner Fatah-Kämpfer zu erzwingen. Schließlich das Agreement: Als Gegenleistung für einen vollständigen Abzug ihrer Formationen aus dem Libanon garantieren die USA der PLO, sie auf dem Weg zu einem eigenen Staat in Palästina zu unterstützen. Auf US-Truppentransportern verlassen mehrere Tausend Kämpfer Beirut auf dem Seeweg und werden in die palästinensische Diaspora Arabiens zerstreut. Arafat selbst muss ins tunesische Exil - 2.000 Kilometer vom Kernland der Palästinenser entfernt. Eine tragische Wende, wie sich zeigen soll. Die PLO verliert 1982 mit dem Exodus aus Beirut ihre eigenständige Präsenz im Konfliktgebiet. Eine erneute Vertreibung. Folgenschwerer als der Rauswurf aus Amman zwölf Jahre zuvor, als König Hussein von Jordanien im "Schwarzen September" von 1970 den Fedayin Arafats das Asyl aufkündigt. Erst zwölf Jahre nach Beirut, im Juni 1994, wird der PLO-Chef dank der Verträge von Oslo in die Westbank zurückkehren, um sich nach außen hin als "Präsident", in Wirklichkeit aber als Geisel einer palästinensischen Autonomie von Israels Gnaden zu verdingen. Gegen den Arrest von Ramallah anno 2002 scheint das Exil von Tunis ab 1982 ein strategisch günstiger Vorposten gewesen zu sein. Eine unzulässige, irreale Verklärung? Vielleicht. Aber Arafat kann seine nordafrikanischen Jahre immerhin als gut alimentierter Emigrant verbringen, nicht als Gefangener Israels. Dabei hatte er seinen Abgang aus Beirut seinerzeit nicht allein Menachem Begin zu verdanken. Auch Syrien beanspruchte seinen Part. Das Land des "Heldischen Löwen" Hafez-el-Assad betrachtete den Libanon als unverzichtbare Interessenssphäre (bis heute stehen dort 20.000 syrische Soldaten). Dies um so mehr, als seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 die Golan-Höhen verloren und damit die strategische Situation gegenüber Israel geradezu hoffnungslos wurde. Assad galten daher Arafat und dessen Fatah-Milizen als missliebiges Störpotenzial syrischer Ambitionen, zumal die Palästinenser - seit sie aus Amman exmittiert waren - ein Bündnis mit den Drusen und der Moslem-Opposition des Libanon geschmiedet hatten. Arafat gewann als innerlibanesischer Machtfaktor - mit seinen Stützpunkten befehligte er so etwas wie einen Staat im Staate - an Kontur. Dass eine Regierung Begin dieser Selbstertüchtigung vor der eigenen Pforte auf Dauer nicht tatenlos zusehen würde, stand für Assad außer Frage, der unter keinen Umständen in die heraufziehende Schlacht um Beirut geraten wollte. Dann nämlich drohte den Syrern das unvermeidliche Fight and die alone. Ägypten, der einstige Alliierte in den Kriegen von 1967 und 1973, hatte mit den Verträgen von Camp David (1977) die Front der Standhaften verlassen. Also musste die Provokation Arafat aus Beirut weichen, um Syrien nicht länger die libanesische Tour zu vermasseln und mit einem aussichtslosen Krieg zu bedrohen. Der pragmatische Augenblickskonsens von Israelis und Syrern war aufschlussreich. Arafat, dem Verbannten, mochte sie bedeuten, wie sehr sich damals schon (später erst recht) die arabische Nation an der palästinensischen Sache müde gekämpft und zerrieben hatte. Das tunesische Exil trieb die PLO zum historischen Kompromiss. Einerseits proklamierte der palästinensische Nationalrat am 15. November 1988 in Algier den unabhängigen Staat Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt - das entsprach der UN-Resolution 181 von 1947, mit der die Aufteilung des britischen Mandatsgebietes Palästina in einen arabischen und einen jüdischen Staat vorgesehen war. Andererseits stand für diese Proklamation des PLO-Parlaments kein Quadratmeter Boden zur Verfügung. Eine vage Aussicht darauf erwuchs allein aus den Zusagen der USA und einer Anerkennung der Existenz Israels, die der Nationalrat seinem Staatsdekret im Dezember 1988 hinterher schickte. Die PLO verbeugte sich damit tief vor dem Ungemach des eigenen Schicksals. Sie gestand die Niederlage ihres bis dato geführten Selbstbefreiungskampfes ein und revidierte dessen strategisches Ziel - die Liquidierung Israels. Dessen Anerkennung bediente bereits das Modell "Land für Frieden", allerdings in der Umkehrung: "Frieden für Land". Die Reihenfolge reflektierte nicht zuletzt, wie sehr die Palästinenser zu Vorleistungen genötigt waren. Doch blieb ihnen nur die eine Lösung: Autonomie als Staatsersatz. Über den dabei möglichen Spielraum wachten allein der jüdische Staat und die USA, während die übrigen arabischen Staaten argwöhnisch beobachteten, ob sich daraus vielleicht unerwünschte Konflikte ergeben könnten. Insofern war die Intifada von 1988 ein letztes Aufbäumen, diese Domestizierung aufzubrechen. Doch ließ sich Israel davon wenig beeindrucken. Während des Aufstandes wurden die besetzten Gebiete auf der Westbank mit einem Netz von Wehrsiedlungen inklusive Sicherheitszonen und von der Armee beherrschter Verbindungstrassen durchzogen wie nie zuvor. Die später im "Friedensprozess" konzedierte Autonomie erfuhr eine Imprägnierung, die schon ahnen ließ, was folgen würde: eine Autonomie auf Abruf - ein Staat in Raten oder gar nicht. Auch der Versuch Arafats, durch einen gewagten Schulterschluss mit Saddam Hussein während des Golfkrieges von 1991 die USA an ihre Versprechen aus dem Beiruter Sommer von 1982 zu erinnern, scheiterte und stigmatisierte den PLO-Führer inmitten einer so boden- wie grenzenlosen arabischen "Selbstbeherrschung" als Hasardeur. Schließlich - und dies ist verglichen mit den anderen Folgen ebenfalls eine nicht minder relevante Konsequenz - forcierten die Ereignisse von Beirut 1982 eine latente Entdemokratisierung der PLO. Sie hatte bis dahin dank eines antirassistischen und säkularen Programms alle wesentlichen Strömungen unter den Palästinensern integriert. Mit dieser gerade für die arabische Welt beachtlichen Modernität verstand es Arafat, sich international Statur zu verschaffen. Die erwähnten Beschlüsse von Algier 1988 bezogen sich ausdrücklich auf die PLO-Charta, die Rassismus - sowohl in Form des Zionismus wie auch des Antisemitismus auf arabischer Seite - entschieden ablehnte und einen demokratischen wie säkularen Staat für Araber und Juden auf palästinensischem Boden forderte. Ein Bekenntnis gegen den Islamismus. Die Erosion dieser Position in den vergangenen Jahrzehnten hat nun aber entschieden, dass heute die islamistische Reaktion eine immer dominantere Strömung unter den Palästinensern darstellt - protegiert durch Saudi-Arabien und damit indirekt die USA. Was in der PLO an Mut zum Realismus übrig blieb, wird von Hamas und anderen Radikalen unablässig der Kollaboration mit dem zionistischen Feind verdächtigt. Ob sich das verständigungsbereite Segment palästinensischer Politik je regeneriert, hängt von Israel ab. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass diese Seite Arafats Vertreibung aus Beirut 1982 als Erfolgsgeschichte deutet und über ein ultimatives Nachspiel gleicher Fasson nachdenkt.