Die G 8 wollen in Heiligendamm eine Afrika-Agenda verhandeln. Mehr als ein Placebo? Die öffentliche Entwicklungshilfe der G 8 ist rückläufig. Ob das auf dem Gipfel in Gleneagles 2005 abgegebene Versprechen, die Mittel bis 2010 um 50 Milliarden Dollar anzuheben, eingehalten wird, scheint fraglich. Aber Afrika braucht nicht nur Geld, sondern vor allem unkonventionelle Strategien, um sein Technologiedefizit gegenüber dem Norden wenigstens einzudämmen.
Im Westen ist der Kontinent noch immer ein Kaleidoskop aus Kitsch und Chaos. Bilder rauschen im schnellen Wechsel durch die Medien. Mal sind es Postkarten-Idyllen, dann wieder Bürgerkriege und Hungerkatastrophen. Die große Politik folgt dem Rhythmus des Hin- und Herschaltens: Stand Afrika auf dem G 8-Gipfel 2005
uf dem G 8-Gipfel 2005 im schottischen Gleneagles ganz oben auf der Agenda, spielte es ein Jahr später in St. Petersburg keine Rolle. Nun, in Heiligendamm, ist wieder Afrika angesagt.Und so wiederholt sich auch der eingespielte Streit, ob der Westen versage oder seine ehrgeizigen "Aktionspläne" umsetze. In Gleneagles galt als beschlossen, bis 2010 die Hilfsgelder für Afrika auf jährlich 50 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Wir liegen voll im Plan, verlautet es aus den G 8-Hauptstädten. Die britische Hilfsorganisation Oxfam hält dagegen: Das ehrgeizige Ziel werde voraussichtlich um etliche Milliarden Dollar verfehlt. Dass Deutschland nichts schuldig bleibe, begründet Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, auch mit umfangreichen Schuldenerlassen, die flugs als Hilfe eingerechnet werden. Geld, wie anzumerken wäre, das ohnehin längst abgeschrieben ist und den afrikanischen Regierungen keinen Cent mehr für dringend notwendige Investitionen bringt. Dabei bleibt ohnehin umstritten, ob Afrika mit weiteren Milliarden gedient ist. Falls doch, wofür sollten die Gelder am besten ausgegeben werden, nachdem seit dem Ende des Kolonialismus geschätzte 400 Milliarden Dollar nach Afrika geflossen sind?Öffnet westliche Märkte für afrikanische Güter, im wesentlichen Rohstoffe und Agrarprodukte! erschallt ebenso vorhersehbar der Ruf westlicher Bürgerrechtsorganisationen. Denn Afrika entgingen jährlich 100 Milliarden Dollar Marktanteile, weil seine Produkte durch zu hohe Einfuhrzölle der "Freihandelsverfechter" im Westen dort nicht konkurrenzfähig seien.In all diesen Argumenten steckt ein wahrer Kern. Allein, das Bild will sich nicht zu einem Ganzen zusammenfügen. Der Fehler könnte sein, dass Afrika bislang nur als Armenhaus betrachtet wird. "Afrika ist nicht arm", verwahrte sich Anver Versi vom Magazin New African in dessen März-Ausgabe. "Es ist unterentwickelt nur in dem Sinne, dass es nicht wie der Rest der Welt gelernt hat, Wohlstand zu vermehren, indem große Mengen von allem industriell hergestellt werden." Das liege daran, dass Afrika auch nach dem Ende des Kolonialismus vom Westen weiter als Rohstofflieferant niedergehalten worden sei.Wer je afrikanische Länder mit eigenen Augen gesehen hat, dem springt sofort der mitunter beklagenswerte Zustand seiner Verkehrssysteme, Informationsinfrastruktur und Städte ins Auge. Produkte, die auf dem heimischen Markt angeboten werden, sind oft entweder nur zweite Wahl - die erste wird exportiert - oder qualitativ deutlich schlechter als importierte Waren, die vornehmlich aus Asien stammen. Ausgerechnet aus Asien, dem die Entwicklungsanalysen der frühen sechziger Jahre jenes Schicksal voraussagten, das dann Afrika ereilte.Sicher, der asiatische Entwicklungspfad kann nicht einfach als Blaupause für den "New Deal" dienen, den Afrika so dringend nötig hat. Mit 53 Ländern, die dem Verkehr von Menschen und Gütern untereinander zum Teil absurde Barrieren auferlegen, hat es der Kontinent ungleich schwerer als die neue Boomzone zwischen Bombay und Peking. Dort befindet sich eine überschaubare Anzahl von Wirtschaftsräumen mit sehr viel mehr Menschen als in den meisten afrikanischen Ländern. Aber zumindest eines lehrt der asiatische Boom: Wer den Weg der Industrialisierung einschlagen will, benötigt neben Kapital vor allem technisches Know-how.Diese Vorstellung mag jenen ein Gräuel sein, die den maschinengetriebenen Industriekapitalismus als große Verirrung der Geschichte betrachten. Doch wie anmaßend ist es, Afrika eine Zukunft als ökologisch korrekte Agrarlandschaft kontinentalen Ausmaßes nahe zu legen, die doch bitte die industriellen Sünden des Westens auslassen möge?Wer die jüngere Generation in den eher wenigen modernisierten oder gar prosperierenden afrikanischen Regionen beobachtet, kann feststellen, dass ihr Umgang etwa mit dem Internet genauso selbstverständlich ist wie hierzulande. Der Zug ist abgefahren: Auch Afrika hat längst den Point of no return der Modernisierung überschritten. Die Urbanisierung ist unaufhaltsam: Allein am Golf von Guinea wird bis 2020 eine 600 Kilometer lange städtische Agglomeration mit 60 Millionen Einwohnern entstanden sein, wie der amerikanische Stadtsoziologe Mike Davis in seinem jüngsten Buch Planet der Slums schreibt. Selbst ländliche Märkte hängen bereits von einer ausgedehnten Verkehrsinfrastruktur ab, die lokale Produkte in Subzentren befördern kann.Die adäquate Antwort auf diese Entwicklungen kann nur lauten, Afrika das nötige technische Know-how zu überlassen, um selbst industriell produktiv zu werden und seine Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen. Dem steht jedoch neben dem "Brain Drain", der Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte, eine Hürde entgegen, die auch der jetzige G 8-Gipfel nicht thematisieren dürfte: der "Schutz geistigen Eigentums", der westlichen Konzernen Quasi-Monopole auf Hochtechnologien verschafft. Nur wer zahlen kann, kommt in den Genuss, sie sich anzueignen, um daraus selbst etwas zu machen.Das hat zur Konsequenz, dass in Afrika westliche Pharmakonzerne die billigere Produktion vergleichbarer Mittel - so genannte Generika - vor Ort massiv behindern, die im Kampf gegen AIDS für die Menschen bezahlbar wären. Das internationale Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS) liefert dafür die Rechtfertigung. Auch in der Biotechnik versuchen Konzerne wie Monsanto, afrikanischen Bauern ihre "Einwegprodukte" schmackhaft zu machen: Die Lizenz zum Aussäen gilt nur für eine Anbausaison. Wie es anders gehen könnte, zeigt das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI auf den Philippinen. Sämtliche dort gezüchteten Reissorten können ohne Lizenzgebühren von Landwirten in aller Welt zur freien Verwendung bezogen werden.Ein weiteres Feld ist die Informationstechnik. Eine Infrastruktur aus Leitungen mit hohem Datendurchsatz und Millionen von Computern kostet sehr viel Geld. Dass vermeintlich rückständige Länder hier ungeahnte Kräfte freisetzen können, zeigt das Beispiel Indien. Dort ist eine boomende Industrie entstanden, die längst nicht mehr als "Newcomer" gilt. Mehr noch: Der Gebrauch freier, also nicht durch geistige Eigentumsrechte eingehegter Technologien, setzt eine Kreativität frei, die eigene Entwicklungen ermöglicht. Der in Indien entwickelte Handrechner Simputer ist nicht nur auf Basis des freien Betriebssystems Linux entstanden. Seine Anwendungen, die keinen westlichen Konzern einen Dollar Forschungsgeld wert gewesen wären, berücksichtigen auch Analphabeten als Nutzer sowie regionale Besonderheiten - sprich: ein indisches System der Buchführung.Die Informationstechnik berührt noch einen Aspekt, der in keiner Sonntagsrede zur Entwicklungspolitik fehlt: die Bildung. Wenn im Westen Computerfertigkeiten in die Allgemeinbildung der jüngeren Generationen aufrücken, sollte dies in Afrika nicht anders sein. Die MIT-Forscher Nicholas Negroponte und Seymour Papert - seit Jahrzehnten mit neuen Lernkonzepten beschäftigt - haben vor vier Jahren die Entwicklung eines "Hundert-Dollar-Laptops" gestartet, der jetzt als Prototyp vorliegt. Ihre Idee: Gebt Schulkindern in der III. Welt einen kleinen, voll leistungsfähigen Computer, mit dem sie spielerisch in die Möglichkeiten der digitalen Welt hineinwachsen. Das Gerät ist an die besonderen Umstände unterentwickelter Regionen angepasst: Die Batterie kann mechanisch wiederaufgeladen werden, der Bildschirm liefert auch bei grellem Sonnenlicht ein lesbares Bild, die Rechner können sich automatisch miteinander vernetzen. Für ihre Initiative wurden Negroponte und Papert belächelt, gar verhöhnt, weil doch afrikanische Kinder besser mit Büchern und ausreichendem Essen bedient seien. Diese Haltung ist überflüssiger Paternalismus.Einziges Problem dabei: Es sind die Regierungen, die der "One Laptop Per Child"-Initiative die Geräte abkaufen müssen. Das macht bei einer Million Rechnern 100 Millionen Dollar. Zu viel für manches Land. Auch hier könnten die G 8 mit relativ geringen Kosten ein Zeichen setzen. Ein Zeichen, mehr nicht, denn das Problem, Afrika industrielles Know-how zu beschaffen, ist natürlich mit Computern für Schulkinder noch nicht gelöst. Aber es würde einmal zeigen, dass die Frage verstanden wurde, die von der Nigerianerin Obiageli Ezekwesili, Vizepräsidentin der Weltbank, vor zwei Wochen beim Weltbankforum für Afrika in Berlin gestellt wurde: "Wie sorgen wir dafür, dass der New Deal nicht nur für Afrika, sondern für die Afrikaner funktioniert?"