Auf die Courage folgt oft die Kündigung: Arbeitnehmer, die Missstände an ihrem Arbeitsplatz offen kritisieren, bleiben weiterhin gesetzlich ungeschützt
Seit vier Jahren gehen bei ihr Journalisten ein und aus. Das Fernsehmagazin Report hat ausführlich über ihren Fall berichtet, die ARD kürte sie sogar zur „Heldin des Alltags“. Brigitte Heinisch kann sich über diese Ehre und das Interesse an ihrer Person nicht sonderlich freuen. Viel lieber würde sie abseits des Medienrummels machen, was sie gelernt hat: alte Menschen pflegen. „Anstatt vor Kameras herumzuturnen und den Helden zu spielen“, wie sie das nennt. Ihren Job als Altenpflegerin ist die 47-jährige Berlinerin aber seit Anfang 2005 los, nachdem sie die unhaltbaren Zustände bei einem Berliner Pflegekonzern immer wieder kritisiert hat.
Bis zum Mittag lagen oftmals die Heimbewohner in Urin und Kot, den Pflegern fehlte sogar die Zei
ehlte sogar die Zeit sie zu füttern, ihnen etwas zu trinken zu geben. Für eine menschenwürdige Pflege gab es viel zu wenig Personal. Heinisch versuchte zunächst intern diese Missstände zu beseitigen. Sie machte Überlastungsanzeigen und protestierte immer wieder gegen die Arbeitsbedingungen. Als das nichts half, informierte sie den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Der protokollierte alles und stellte schwere Mängel fest. Ohne Folgen. Da wurde es der Altenpflegerin zu viel und sie stellte Strafanzeige gegen den Betreiber des Heimes. Ihre fristlose Kündigung hat das Landesarbeitsgericht mittlerweile letztin–stanzlich bestätigt: Heinisch, so heißt es, habe die Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber verletzt.Insidergeschäft der KollegenBrigitte Heinisch ist ein „Whistleblower“. So nennt man Menschen, die uneigennützig auf Missstände wie Korruption, Umwelt- oder Gesundheitsverstöße in ihren Betrieben hinweisen. Dies dankt ihnen der Arbeitgeber in der Regel nicht. Immer wieder kommt es in diesen Fällen zu Mobbing, Schikanen oder eben auch einer Kündigung, weiß Guido Strack, Sprecher vom „Whistleblower-Netzwerk“. Der Verein hat sich als Anlaufstelle für Arbeitnehmer, die Missstände melden, gegründet. Denn wer seinen Chef verpfeift, der braucht Beratung und Hilfe. Der Fall Heinisch, sagt Strack, sei da gar nichts Besonderes.Dass Whistleblower ihren Job oft schneller los werden als ihre Informationen, zeigt auch der Fall von Andrea Fuchs. Die Aktienhändlerin aus Frankfurt am Main erhielt Kenntnis von illegalen Machenschaften ihrer Kollegen – es ging um Insidergeschäfte, Kunden der Bank wurden geschädigt. Empört über den Vertrauensbruch informierte sie ihren Vorgesetzten. Noch am selben Tag bekam die couragierte Frau Hausverbot, die fristlose Kündigung folgte. Seit mehr als zehn Jahren steht sie nun schon vor dem Arbeitsgericht und kämpft um ihren Ruf und ihr Recht. Andrea Fuchs versteht die Welt nicht mehr: „Es kann doch nicht sein, dass wir auf dem Rücken von Kunden eigene Interessen vertreten, das ist strafbar.“In USA, in Großbritannien oder auch in Frankreich wäre es den beiden Frauen anders ergangen: Dort genießen Whistleblower einen besonderen Schutz vor Kündigung. Sie haben das Recht, auf Fehler hinzuweisen und verletzen dabei nicht besondere Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber. In Deutschland ist mit solchen Schutzvorschriften erst einmal nicht zu rechnen. Zwar wollte die Bundesregierung mit einer neuen Regelung dafür sorgen, dass sich Arbeitnehmer trauen können, wenigstens betriebsintern auf illegale Machenschaften hinzuweisen.Whistleblower als "Denunzianten"Doch die Koalition konnte sich nicht auf ein entsprechendes Gesetz einigen. Ein im vergangenen Sommer erarbeiteter Vorschlag scheiterte Anfang März endgültig. Der Entwurf, der von drei Bundesministerien (den Ressorts Arbeit, Justiz und Verbraucherschutz) erarbeitet worden war, sah vor, Arbeitnehmern das Recht zu geben, sich bei Missständen an eine innerbetriebliche Stelle oder auch an die zuständige Behörde zu wenden, ohne dabei Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber zu verletzen und damit eine Kündigung zu riskieren. Doch die Union sträubte sich: „Wir halten das für Denunziantenschutz“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Peter Bleser (CDU). Er fürchtet Intrigen und Missbrauch, auch dem Betriebsfrieden seien solche Regelungen nicht zuträglich. Die derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen seien ausreichend.Ulrich Kelber, Fraktionsvize der SPD, sieht das anders: Wären Mitarbeiter ermuntert worden, Hinweise zu geben, hätten so mancher Gammelfleisch- oder Datenmissbrauchsskandal viel schneller aufgedeckt werden können. Er hält es für dringend geboten, Hinweisgeber vor Arbeitsplatzverlust und Schikanen im Betrieb zu bewahren. Dass die Union hier sogar von Denunziantenschutz spricht, ärgert den Sozialdemokraten: „Es ist unerträglich, Arbeitnehmer, die uneigennützig und in gesellschaftlichem Interesse handeln, mit diesem Begriff zu belegen.“ Der werde normalerweise für Menschen benutzt, die in Diktaturen Andersdenkende der Verfolgung ausliefern.Guido Strack hält es für ein gesellschaftliches Problem, dass von vielen Menschen Whistleblowing mit Denunziantentum gleichgesetzt werde. Immer noch gelte es als charakterlos zu „petzen“ – selbst dann, wenn mit solchen Informationen schwerwiegende Fehler behoben, sogar Katastrophen verhindert werden könnten. Die Aufdeckung des BSE-Skandals vor vielen Jahren, die Informationen über Gammelfleisch, Überwachungskameras bei Lidl – all das sei Whistleblowern zu verdanken, betont Strack. Es sei wichtig, Menschen zu ermutigen, auf solche Missstände aufmerksam zu machen anstatt sie einzuschüchtern. Strack ist überzeugt: „Wir müssen umdenken, wir brauchen einen anderen Umgang mit Kritik.“ Wer Verantwortung habe, müsse sich auch gefallen lassen, zur Rechenschaft gezogen zu werden.