Die Beteiligung an der Europawahl droht auf einen historischen Tiefststand zu sinken - zur Freude der Parteien am rechten Rand. Sie hoffen ins EU-Parlament einzuziehen
Zu übersehen ist die Installation vor dem Bundespresseamt in Berlin ganz sicher nicht. Auf einem tiefblauen Fundament stehen meterhoch eine Steinmauer und eine Hecke. Dazu die Frage: „Wie offen sollen unsere Grenzen sein?“. Trotzdem findet das Modell kaum Beachtung. Die Touristen eilen an ihm vorbei und wer in Berlin-Mitte arbeitet, hat scheinbar keine Zeit sich mit der Frage oder dem Modell auseinanderzusetzen. Der eigentliche Zweck der Installation – nämlich Werbung für die Wahlen zum EU-Parlament am 7. Juni zu machen – verpufft im großstädtischen Durcheinander.
Es ist ein Dilemma: Obwohl die Nationalstaaten immer mehr Kompetenzen nach Europa abgeben, scheinen sich die Europäer kaum für den Staatenbund zu interessieren. In einer k
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage gaben nur rund 43 Prozent der Deutschen an, ganz sicher am 7. Juni ihre Stimme abzugeben – ein Wert, der noch mal knapp unter der schon desaströs niedrigen Wahlbeteiligung bei den vergangenen Europawahlen von 2004 liegt.Ein weiterer Blick in Umfragedaten lässt wiederum Zweifel aufkommen, ob diese 43 Prozent überhaupt realistisch sind. Meinungsforscher wissen um die Problematik solcher Fragen – denn wer gibt schon gerne zu, nicht wählen zu gehen? Deshalb sind womöglich andere Ergebnisse aussagekräftiger – und die machen wenig Mut zur Hoffnung.Dem Meinungsforschungsinstitut Emnid zufolge wissen demnach gerade einmal neun Prozent der Deutschen, in welchem Monat die Europawahl überhaupt stattfindet. Ein wenig besser schnitten die Befragten bei Infratest Dimap ab: Hier konnten immerhin 23 Prozent den richtigen Wahltag nennen. Dennoch: Mit diesen Zahlen im Hinterkopf klingt eine Wahlbeteiligung von 43 Prozent auf einmal ziemlich optimistisch.Fehlende LegitimationDie Gründe für das offensichtliche Desinteresse der Wähler sind dann auch schnell benannt. Die EU kämpft mit einem Demokratiedefizit. Das Parlament – als einzige EU-Körperschaft direkt von den Bürgern gewählt – ist mit zu wenigen Kompetenzen ausgestattet, um als Gegengewicht zu den weitaus mächtigeren Exekutivorganen Kommission und Ministerrat zu fungieren.Doch eine niedrige Wahlbeteiligung birgt Gefahren. Traditionell profitieren von ihr Parteien an den Rändern, die ihre Anhänger gut mobilisieren können. Und in vielen europäischen Ländern bedeutet das: die Rechten.Schon heute sitzen 66 Abgeordnete im Straßburger Parlament rechts von der Europäischen Volkspartei, zu der auch die CDU/CSU gehört. Allein die Fraktion Union für das Europa der Nationen (UEN) stellt 44 Parlamentarier – darunter so schillernde Persönlichkeiten wie Mario Borghezio, der vor einigen Jahren zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er in Turin die Zelte von Immigranten angezündet hatte, die unter einer Brücke schliefen.Deutsche Abgeordnete sitzen noch nicht in der UEN – doch das könnte sich ändern. Zur Europawahl treten auch diesmal wieder zwei deutsche Rechtsparteien an: Die Republikaner und die Deutsche Volksunion (DVU).Gerade letztere ist im Aufwind. Während sich die DVU in den letzten Jahren in der rechten Szene noch mit einem klaren zweiten Platz hinter der NPD zufrieden geben musste, konnte die Partei kürzlich einen Coup landen: Sie warb den schwedischen Millionär Patrik Brinkmann als Neumitglied an. Brinkmann ist eine Galionsfigur der europäischen Rechten. Er gründete die „Kontinent Europa Stiftung“, die daran arbeitet eine „gemeinsame europäische Identität“ zu schaffen. Im Vorstand der Stiftung sitzt auch ein bekannter deutscher Rechtsextremer: Andreas Molau.Rechte SammelbewegungMolau war noch bis zum vergangenen Herbst Mitglied im Vorstand der NPD, heute ist er Pressesprecher der DVU. Er ist Mitglied in beiden Parteien – und versucht die unterschiedlichen rechten Strömungen zu einer besseren Zusammenarbeit zu bewegen.Die Schwäche des deutschen Rechtsextremismus hängt – abgesehen von der historischen Last – vor allem mit seiner Fragmentierung zusammen. Die unterschiedlichen Bewegungen – von Pro Köln bis zur NPD – sind sich zum Teil spinnefeind. Allerdings gibt es auch immer wieder Versuche der Zusammenarbeit.Beispiel Deutschlandpakt: Vor fünf Jahren beschlossen NPD und DVU, nicht mehr gegeneinander anzutreten – und hatten damit Erfolg. Beide Parteien konnten in einigen der folgenden Wahlen Stimmen hinzugewinnen. In Brandenburg zog die DVU ohne die Konkurrenz von rechts gestärkt in den Landtag ein, in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern übersprang die NPD die fünf-Prozent-Hürde deutlich. Auch bei bundesweiten Wahlen haben sich die beiden Parteien arrangiert: Bundestagswahlen gehören der NPD, Europawahlen der DVU.Bislang schien die DVU die Verliererin dieser Absprachen zu sein, doch der aktuelle Zustand der durch Flügelkämpfe und Finanzskandale gebeutelten NPD verhilft der ehemaligen Chaostruppe DVU zu neuer Schlagkraft. In rechten Internetforen wird derzeit diskutiert, ob die DVU eine neue Sammelstelle für Rechte aus allen Strömungen werden könnte – von enttäuschten NPDlern bis hin zu Republikanern. Diesen Kurs verfolgt auch Molau. In seinem Videoblog ruft er zu einer neuen rechten Sammelbewegung auf. Außerdem trieb sich bis vor Kurzen ein gewisser „Molau“ im Forum einer Pro Köln nahestehenden rechten Webseite herum und suchte Gesprächspartner. Ob sich hinter dem Nickname tatsächlich das NPD-DVU-Doppelmitglied versteckt, ist zwar nicht zu überprüfen – zu Molaus erklärter Strategie einer rechten Einigung würde es allerdings passen.Allerdings scheint fragwürdig, ob der über Jahre angestaute rechte Selbsthass in der kurzen Zeit bis zur Europawahl abgebaut werden kann. Die Szene scheint es zumindest versuchen zu wollen: „Es gilt erstens selbst rechts zu wählen, zweitens die Bekanntschaft schon jetzt zum Rechtswählen zu bewegen, drittens wenn möglich die antretenden Rechtsparteien anderweitig zu unterstützen und sich viertens immer wieder neu klar zu machen, dass im Falle des Zutreffens der von der Umfrage prognostizierten Werte jede Stimme gegen die Etablierten doppelt und dreifach wirkt“, heißt es auf einer rechten Webseite angesichts der Umfragen zur Europawahl. Die Gefahr des Einzugs einer deutschen Rechtspartei in das europäische Parlament ist also nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings ließe sie sich auch leicht bannen: Durch eine hohe Wahlbeteiligung.