Die russische Region Chabarowsk pflegt die Beziehungen zum Nachbarn China mehr als zur EU im Fernen Westen. Das soll sich nach dem EU-Russland-Gipfel ändern
In der modernen Halle der Flugzeugwerft von Komsomolsk am Amur knattern die Niethämmer. An drei giftgrünen Flugzeug-Rohbauten des Typs Superjet 100 wird intensiv gearbeitet. Die Maschine mit ihren 98 Sitzplätzen und einer Reichweite von 4.400 Kilometern ist der ganze Stolz der zivilen russischen Luftfahrtindustrie. Das erste eigene Passagierflugzeug, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwickelt wurde, freilich in Kooperation mit dem US-Konzern Boeing. Produziert wird das Flugzeug im russischen Fernen Osten – in der Region Chabarowsk, dem Schauplatz des EU-Russland-Gipfels, der sich vorzugsweise mit der Energiesicherheit und den Konflikten im Kaukasus beschäftigen soll.
Der Gouverneur Wjatscheslaw Schport, der selbst lange Jahre als Ingenieur im Sukhoi-Flug
ieur im Sukhoi-Flugzwerk gearbeitet hat, erhofft sich von diesem Treffen mehr Kontakte mit EU-Europa. Er gilt als ein weltläufiger Mann und hat in den USA und Frankreich gelebt, bevor es ihn wieder nach Chabarowsk zog. Man könne von allen Nachbarn etwas lernen, lautetSchports Credo. Tatsächlich gibt es in Chabarowsk eine ganze Reihe von Betrieben, die mit Investitionen aus EU-Staaten modernisiert wurden wie etwa die Ölraffinerie der Stadt.Preissturz für den SuperjetDoch zurück zum Superjet 100, mit dem Russland auf dem Markt für Mittelstreckenflugzeuge alteingesessenen Anbietern wie dem kanadischen Unternehmen Bombardier, Konkurrenz machen will. Gerade erst war Wladimir Putin im Werk und versprach staatliche Krisenhilfen für das Prestige-Flugzeug. Schon in diesem Jahr sollen vier der neuen Liner ausgeliefert werden, zwei an Aeroflott und zwei an eine armenische Fluggesellschaft, erzählt Alexander Pekarsch, der Direktor des Sukhoi-Werkes, in dem insgesamt 15.000 Arbeiter und Ingenieure beschäftigt werden. Der Bau eines modernen Verkehrsflugzeuges in Russland sei nur möglich, wenn man Bordelektronik und Innenausrüstung in westlichen Ländern kaufe, meint Direktor Pekarsch. Ganz bewusst habe man deshalb bei der Entwicklung mit westlichen Partnern kooperiert, was gewiss auch bessere Absatzchancen auf dem europäischen Markt bringe.So ist das italienische Luft- und Raumfahrtunternehmen Alenia Aeronautica mit 25 Prozent im Schulterschluss mit dem Superjet-Hersteller SCAC beteiligt. Eine enge Geschäftsverbindung der Russen gibt es mit der französischen Firma Snecma, die in einem Joint Venture mit dem russischen Spezialisten NPO Saturn die Triebwerke für den Superjet produziert. Doch macht die Krise auch vor Chabarowsk nicht halt. Durch den Fall des Rubel-Kurses ist der Verkaufspreis des Superjets von 28 auf 22 Millionen Dollar geschrumpft. Da bleibe einem gar nichts anderes übrig, als Personal einzusparen, meint der Direktor.Trinkwasser im Laden Noch stärker als die Flugzeugbauer leidet der zweite von insgesamt drei großen Industriebetrieben im einstigen erst 1932 eingeweihten fernöstlichen Zentrum der sowjetischen Rüstungsindustrie. Gemeint ist die Stahl-Hütte Amurmetall, in der Metallschrott verarbeitet wird. Die Hälfte der Stahlerzeugnisse von Amurmetall geht in den Export nach Südkorea, Vietnam und in Richtung Philippinen. Die Hütte sei inzwischen vollständig modernisiert, sagt Direktor Sergej Chochlow, müsse jedoch kämpfen, seit die Nachfrage drastisch eingebrochen sei. Gerade müsse man 1.600 der 6.200 Mitarbeiter in einen unbezahlten Urlaub entlassen. Mit Arbeiter-Aufständen rechne er jedoch nicht Im russischen Fernen Osten habe eine Protestkultur keinerlei Tradition. Putin habe die Hütte vor kurzem besucht. Und man habe ihn händeringend um Not-Kredite staatlicher Banken gebeten.Dass die Krise den Fernen Osten Russlands völlig kalt lässt, kann man nicht sagen. Im Dezember gab es in den Städten Primorje, Wladiwostok und auch in Chabarowsk Proteste gegen die angeordnete Erhöhung der Importzölle für japanische Gebrauchtwagen. In Chabarowsk fahren fast alle rechtsgesteuerte Autos aus Japan. Auch die 48jährige Juristin Irina, die sich lange in der Umweltbewegung für den vom Aussterben bedrohten Amur-Tiger engagiert hat – im Gebiet Chabarowsk leben noch etwa 80 Exemplare –, hält nicht viel von der Erhöhung der Zollgebühren. Natürlich verstehe sie die Absicht von Putin, die heimische Autoindustrie zu unterstützen. „In Chabarowsk ein russisches Auto zu kaufen, ist einfach nicht attraktiv.“ Ein japanischer Gebrauchtwagen sei viel billiger als ein russischer Neuwagen und biete zudem mehr Komfort.Auf den EU-Russland-Gipfel blickt Irina ohne sonderliche Erwartungen, es sei gut wenn man Europa näher komme, doch Reisen von Chabarowsk nach Wien, Paris oder Berlin könnten sich nur wenige leisten. Die meisten aus dieser Gegend würden nach China zum Shoppen oder nach Thailand zur Erholung fahren. Bis zur chinesischen Grenze sind sind es nur 20 Kilometer. Der Grenzfluss Amur leidet unter den chinesischen Industrieabwässern. Baden kann man im Amur schon lange nicht mehr. Wenn man den Hahn aufdreht, kommt braunes Wasser. „Bloss nicht trinken“, meint Irina. In Chabarowsk kaufen die Bürger ihr Trinkwasser alle im Laden.