Bislang können Politiker vor internationalen Tribunalen angeklagt werden, wenn sie Verbrechen begangen haben. Unternehmen wurden noch nie belangt. Das kann sich ändern
Vor 14 Jahren, am 10. November 1995, wurden in Nigeria neun Männer exekutiert. Das vorangegangene Gerichtsverfahren war eine Farce, sie durften sich nicht verteidigen und hatten keine Möglichkeit, Berufung einzulegen. Nach drei Tagen war der Prozess vorbei: Sie wurden der Anstiftung zum Mord für schuldig befunden, das Urteil lautete auf Tod durch den Strang und wurde schnell vollstreckt.
Einer der Verurteilten war Ken Saro-Wiwa, ein bekannter Autor, Fernsehproduzent und zugleich Anführer einer Gruppe von Nigerianern aus dem Volk der Ogoni, die mehr Rechte einforderten. Später hieß es, dies sei das eigentliche Verbrechen in den Augen des Militärgerichts gewesen. Die Ogoni wollten teilhaben am großen Ölgeschäft, das auf ihrem Territorium gemac
rium gemacht wurde. Sie forderten zudem Standards, die es ihnen weiterhin erlauben sollten, Felder zu bestellen oder Fische zu fangen, ohne Angst haben zu müssen, unter den Umweltverschmutzungen der Ölausbeutung zu leiden. Hauptgegner Saro-Wiwas war dabei nicht die nigerianische Regierung, sondern Shell Oil mit damals 96 Ölplattformen im Niger-Delta, aus denen es täglich 900 000 Barrel Öl pumpte.Der Alien Tort Claims Act von 1789In New York soll nun in den nächsten Wochen ein Prozess beginnen, der genau dies wieder aufrollen will. Die Frage ist: Inwieweit hat sich das internationale Unternehmen Shell mitschuldig gemacht am Tod der neun Ogoni vor 14 Jahren? Bislang sind Staaten haftbar, wenn sie gegen die Menschenrechte verstoßen, Individuen – auch Staatsmänner – können verurteilt werden, aber Unternehmen wurden bislang noch nie belangt. Es gab durchaus schon Prozesse und sogar einige Vergleiche, aber noch nie eine Verurteilung. Der Prozess könnte genau zum richtigen Zeitpunkt stattfinden. Profitgier auf Kosten anderer ist gerade nicht sehr populär. Und die Aussage vieler international agierender Konzerne, sie mischten sich nicht in Politik ein, sie verfolgten rein wirtschaftliche Interessen, könnte diesmal als das entlarvt werden, was es ist: bloße Augenwischerei. Auf den ersten Blick scheint alles zusammen zu passen: Ein armes, seinerzeit von einer Militärjunta geführtes Land in Afrika, ein Unternehmen, das einzig auf Gewinne aus ist, und dazwischen eine Masse an Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, während ihr Grund und Boden im wahrsten Sinne des Wortes ausgesaugt wird.„In gewisser Weise ist schon der Prozessbeginn ein Gewinn“ sagt Ken Saro-Wiwa junior, Sohn des exekutierten Aktivisten. Mit Angehörigen der anderen acht verurteilten Männer von 1995 tritt er als Nebenkläger auf. „Mein Vater sagte damals, Shell würde sich eines Tages für seine Verbrechen im Niger-Delta vor Gericht verantworten müssen.“ Dass es wirklich dazu kommen könnte, liegt vor allem an ihm und Nichtregierungsorganisationen, die halfen, die Klage auf den Weg zu bringen.Seit 1997 ist der Prozess gegen Shell schon anhängig. Möglich wird ein Gerichtsverfahren aufgrund eines sehr alten amerikanischen Gesetzes – des Alien Tort Claims Acts von 1789. Einst geschaffen, um Piraterie zu bekämpfen, entdeckten Menschenrechtsorganisationen den Paragrafen in den achtziger Jahren neu. Der Alien Tort Claims Act ermöglicht es Ausländern, internationale Unternehmen auf Schadensersatz für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verklagen.Kill-and-Go-MeuteFreilich muss man im Fall Saro-Wiwa gegen Shell Oil sehr genau unterscheiden. Es geht nicht um die ökonomischen Interessen des Unternehmes, sondern allein darum, ob man Shell nachweisen kann, für den Tod von Saro-Wiwa und seiner acht Freunde mit verantwortlich zu sein. Der Konzern bestreitet das vehement. Tatsache ist, dass Shell 1992, nachdem es immer wieder zu Protesten und Demonstrationen der Ogoni kam, die nigerianische Regierung explizit um Polizeischutz für ihre Anlagen gebeten hatte. Transportkosten und Gehaltsboni der Polizisten bezahlte Shell. Die mobile Polizei Nigerias, im Land unter dem Namen „Kill-and-Go Meute“ bekannt, ging mit den Ogoni nicht zimperlich um. Die Zahl der Opfer variiert, einige sprechen von 2.000. Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Saro-Wiwas Männern und der Polizei war eine Demonstration 1994. Als die Polizisten Saro-Wiwa festnahmen, soll er angeblich seine Anhänger aufgefordert haben, der Regierung nahestehende Nigerianer zu töten. Der bestritt das während seines Prozesses, der 1995 international Aufsehen erregte. Politiker sowie Menschenrechtsorganisationen meldeten sich zu Wort und baten die nigerianische Regierung um Gnade. Wer schwieg, war Shell.„Es ist nicht Sache wirtschaftlicher Unternehmen, sich in legale Prozesse souveräner Staaten wie Nigeria einzumischen“, ließ der Konzern nach den Hinrichtungen 1995 verlauten. Tatsächlich wird das Urteil darüber schwer sein, ob Shell die Todesstrafe hätte verhindern können. Eines ist jedoch klar, selbst wenn der Prozess nicht zu einer Verurteilung im juristischen Sinne führt, so wird er zeigen, dass rein wirtschaftliches Interesse international agierende Konzerne nicht davon befreit, sich auch um die Menschen zu sorgen, die von ihren Geschäften direkt betroffen sind.