Während die SPD den Erzieherinnen im Wahlkampf ihre Solidarität ausspricht, gehen Kommunalpolitiker der Partei mit aller arbeitsrechtlichen Härte gegen Streikende vor
Die Entwicklung unserer Kinder liegt uns am Herzen – wie kann es da sein, dass Erzieherinnen in kommunalen Kindertagesstätten so schlecht bezahlt werden? Wenn die Kita-Mitarbeiterinnen nun nach vierwöchiger Streikpause wieder auf der Straße ihre Forderung nach besserer Bezahlung und besserem Gesundheitsschutz laut werden lassen, können sie sich sicher sein, dass sie bei der Politik auf viel Verständnis stoßen. Es ist Wahlkampf und keine Partei mag sich den Vorwurf gefallen lassen, ausgerechnet bei den lieben Kleinen sparen zu wollen.
Da kommt es den Wahlkämpfern sehr ungelegen, wenn ihnen ihre Parteifreunde aus der Provinz in den Rücken fallen, indem sie mit unverständlicher Härte gegen die Streikenden vorgehen. Ein solcher Heckensch&
Heckenschütze ist Henning Binnewies von der SPD. Der Oberbürgermeister von Goslar mahnte als oberster Dienstherr sieben Erzieherinnen ab und drohte ihnen mit „weiteren arbeitsrechtlichen Maßnahmen“, wenn sie sich weiterhin an den Streiks beteiligten. So wenig sozialdemokratische Solidarität kommt in den oberen Parteigremien gar nicht gut an. Aus dem fernen Berlin rüffelte der Umweltminister Sigmar Gabriel seinen Parteifreund und forderte ihn auf, die Abmahnungen zurückzunehmen. Mit sozialer Härte will die SPD nicht verbunden werden – zumindest nicht während des Wahlkampfes.Abmahnkeule gegen ErzieherinnenWas hat Henning Binnewies geritten, als er seine streikenden Mitarbeiterinnen ohne jegliches Fingerspitzengefühl derart rigide zur Ordnung rief? Am letzten Dienstag ließ der Goslarer Oberbürgermeister mehreren Erzieherinnen eine förmliche Abmahnung zustellen. Nach Aussagen der Gewerkschaft Verdi sind sieben Erzieherinnen der kommunalen Kindergärten von der Abmahnung betroffen. Für zwei Mitarbeiterinnen sei dies sogar die zweite Abmahnung in diesem Zusammenhang – ihnen droht nun bei einer weiteren „Verfehlung“ die Kündigung. Dabei hatten die abgemahnten Erzieherinnen nichts anderes getan, als dem Ruf ihrer Gewerkschaft zu folgen und während ihrer Arbeitszeit an einer Verdi-Kundgebung in Köln teilzunehmen.Das Streikrecht hat zwar Verfassungsrang, doch Binnewies sieht im Arbeitskampf der Erzieherinnen einen Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht. Er begründet diese Position mit einem Urteil des Arbeitsgerichtes Kiel, das in einem ähnlichen Fall das „Ultima-Ratio-Prinzip“ verletzt sah. Nach Meinung der Gewerkschaften stehen bei den Auseinandersetzungen jedoch nicht die Tarifverhandlungen, sondern die Frage des Gesundheitsschutzes, für die die Friedenspflicht nicht gilt, im Mittelpunkt des Arbeitskampfes. Nachdem die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber am Freitag ergebnislos abgebrochen wurden, droht Verdi nun mit einer unverminderten Fortführung des Arbeitskampfes nach dem Ende der Sommerferien. Das Kalkül der Gewerkschaften ist, dass sie so kurz vor den Bundestagswahlen kaum mit Widerstand aus den Parteien rechnen müssen.Egal welche Position sich formaljuristisch durchsetzen wird – Recht zu bekommen ist manchmal etwas anderes als recht zu haben. Auch wenn die Kommunen sicher knapp bei Kasse sind, öffentliche Rückendeckung wird ein Politiker sicher nicht bekommen, wenn er mit größtmöglicher Härte die Abmahnkeule gegen Erzieherinnen schwingt. Dies wissen die Gewerkschaften und dies weiß auch die Politik. Verdi drohte der Stadt Goslar am Wochenende mit „großen Streikversammlungen“ vor Ort. Implizit geht es der Gewerkschaft dabei natürlich weniger um die Veranstaltung an sich, sondern um das Drohpotential durch die mediale Berichterstattung.Fragwürdiges ExempelBuhmann ist in diesem Falle ein Politiker der SPD – der Partei also, die versucht, sich im Wahlkampf das Mäntelchen der sozialen Gerechtigkeit umzuhängen. Wenn schon Parteichef Müntefering Wählerstimmen sammeln will, indem er bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieherinnen fordert, kann es natürlich nicht sein, dass ein subalterner Provinzpolitiker das öffentliche Bild der Partei mit seiner unnachgiebigen Härte gegen Münteferings Schutzbefohlene beschmutzt. Das weiß auch Sigmar Gabriel, der nicht nur Umweltminister ist, sondern auch als zuständiger SPD-Bezirkschef über Binnewies wacht. Öffentlich schurigelte er seinen Parteifreund und forderte ihn auf, die Abmahnungen zurückzunehmen.Mit seiner unnachgiebigen Härte könnte der Goslarer Oberbürgermeister ein fragwürdiges Exempel statuieren. Einige Amtskollegen in anderen Gemeinden haben sich bereits begeistert über sein Vorgehen geäußert. „Ich bin sprachlos, dass es so wenige gibt, die es so konsequent durchziehen“, so Roland Schiefke, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Brake. Wenn momentan kein Wahlkampf wäre, würden wohl viele Kommunalchefs mit der ganzen arbeitsrechtlichen Härte gegen die streikenden Kita-Mitarbeiterinnen vorgehen. Aber im Wahlkampf lohnt es sich, ein Herz für Kinder vorzugaukeln. Als Hennig Binnewies 2006 in den Wahlkampf zog, gab er die Parole aus, er wolle die „wichtige Arbeit in den Kindertagesstätten fördern.“