Der rassistisch motivierte Mord an einer Ägypterin in einem Dresdener Gerichtssaal löst in ihrem Heimatland große Empörung aus – auch weil es hier kein Thema ist
Von
Kate Connolly/Jack Shenker, The GuardianThe Guardian
Marwa el-Sherbini war gerade dabei auszusagen, wie der Angeklagte Alex W. sie wegen ihres Kopftuchs beschimpft hatte, als dieser den Dresdener Gerichtssaal durchquerte und mit einem Messer 18 Mal auf sie einstach. Der dreijährige Mustafa musste mit ansehen, wie seine Mutter auf dem Boden des Gerichtssaals in sich zusammensackte. Auch ihr Ehemann Elvi Ali Okaz konnte den Mord des 28-jährigen russischen Lagerkontrolleurs an seiner schwangeren Frau nicht verhindern. Als Okaz zu ihr rannte, um ihr beizustehen, wurde er von einem Polizisten niedergeschossen, da dieser ihn mit dem Angreifer verwechselte. Er befindet sich nun auf der Intensivstation eines Dresdener Krankenhauses.
Während dieser schreckliche Vorfall, der sich heute vor einer Woche ereignete, in Europa wenig Aufmerksa
Übersetzung: Holger Hutt
Aufmerksamkeit erfuhr und in Deutschland lediglich unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten diskutiert, die rassistische Motivation der Tat aber so gut wie gar nicht zur thematisiert wurde, erhielt die 32 Jahre alte Pharmazeutin in ihrem Heimatland Ägypten den Titel „Kopftuch-Märtyrerin“ . Für viele Ägypter wurde sie zum nationalen Symbol von Verfolgung und Diskriminierung. Sie gingen auf die Straße, um auf die ihrer Wahrnehmung nach zunehmende Islamophobie des Westens zu protestieren. Tausende nahmen am Montag am Begräbnis in Frau el-Sherbinis Heimatstadt Alexandria teil, darunter führende ägyptische Politiker. Es gibt Pläne, eine Straße nach ihr zu benennen.Die ehemalige Handball-Nationalspielerin Sherbini und der Gentechniker Okaz, der gerade dabei war, seine Doktorarbeit einzureichen, lebten seit 2003 in Deutschland und hatten offenbar geplant, gegen Ende des Jahres wieder nach Ägypten zurückzukehren. Im Januar erwarteten sie ein zweites Kind.Das Messer im GerichtssaalDer arbeitslose Deutschrusse Alex W. wurde im vergangenen November für schuldig befunden, Sherbini auf einem Spielplatz als „Terroristin“ und „Islamisten-Schlampe“ beleidigt zu haben, nachdem diese ihn gebeten hatte, eine Schaukel für ihren dreijährigen Sohn zu räumen. Er wurde zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt, legte aber Berufung ein, weshalb sich die beiden vor einer Woche erneut vor Gericht gegenüber standen. Obwohl er seine anti-muslimische Haltung offen zum Ausdruck gebracht hatte, gab es vor Gericht keine verschärften Sicherheitsvorkehrungen und die Frage, wie es ihm möglich war, ein Messer mit in den Gerichtssaal zu bringen, bleibt nach wie vor ungeklärt.Beim Begräbnis in Alexandria beschuldigten wütende Trauergäste Deutschland des Rassismus und riefen Parolen wie „Deutsche sind die Feinde Gottes“. Ägyptens Großmufti Mohammed Sajjid Tantawi forderte von den deutschen Gerichten eine harte Strafe für Alex W. „Die Wut ist groß“, sagt Joseph Mayton, Redakteur der englischsprachigen Website Bikya Masr. „So viele Menschen sind nicht mehr wegen eines gemeinsamen Anliegens zusammengekommen, seit Ägypten den Afrika-Cup gewonnen hat.“In Deutschland wurde die Regierung Angela Merkels scharf für ihre späte und zurückhaltende Reaktion auf den ersten anti-islamischen Mordfall des Landes kritisiert. Die Vorsitzenden des Zentralrats der Juden und der Muslime, Stephan Kramer und Aiman Mazyek, besuchten am Montag den verletzten Ehemann der Ermordeten im Krankenhaus. Sie sprachen von einer „unerklärlich dürftigen“ Reaktion von Medien und Politik. Trotz der ganz offensichtlich rassistischen Motivation habe man sich in Deutschland mehr mit der Frage nach mangelnder Sicherheit in Gerichtsräumen beschäftigt als mit dem rassistischen Hintergrund der Tat.Vizeregierungssprecher Thomas Steg wies die Vorwürfe mit dem Hinweis zurück, es sei noch nicht genug über den Vorfall bekannt. "In diesem konkreten Fall haben wir uns mit einer Stellungnahme zurückgehalten, weil die Umstände nicht hinreichend klar gewesen sind, um eine so weitreichende politische Erklärung abzugeben. Sollte in diesem Fall ein fremdenfeindlicher, ein rassistischer Hintergrund gegeben sein", sei es keine Frage, dass die Bundesregierung dies "natürlich aufs Schärfste verurteilt."Ägypten vermutet TrendWährend hunderte Araber und Muslime in Deutschland an Demonstrationen teilnahmen und Beobachter schon Vergleiche zum dänischen Karikaturenstreit zogen, wiesen ägyptische Regierungsvertreter in Berlin darauf hin, dass man den Fall im Zusammenhang sehen müsse. „Es handelte sich um eine kriminelle Tat, die nicht bedeutet, dass Muslime allgemein verfolgt werden würden“, sagte Magdi el-Sayed, der Sprecher der ägyptischen Botschaft in Berlin. Da sich der Mord aber nur wenige Tage nach Nicola Sarkozys Anti-Burka-Rede ereignet hat, sehen ihn viele Ägypter als Teil eines breiteren Trends der Diskriminierung von Muslimen in Europa.Die deutsche Botschaft in Kairo bemühte sich darum, die Situation zu beruhigen, organisierte einen Kondolenzbesuch des Botschafters bei der Familie des Opfers und veröffentlichte eine Erklärung, wonach der Angriff nicht die grundsätzliche deutsche Haltung gegenüber Ägyptern widerspiegele. Demonstranten forderten wiederholt, eine Mahnwache vor der Botschaft abzuhalten. Die Gewerkschaft der ägyptischen Pharmazeuten erklärte, sie erwäge einen einwöchigen Boykott deutscher Medikamente.Der Bruder des Opfers, Tarek el-Sherbini sagte in einer beliebten Talksendung Deutschland sei „kalt“. Medienexperten erklärten das Desinteresse der deutschen Medien mit einer rassistischen Haltung und argumentierten, dass der Fall bestimmt mehr Aufmerksamkeit erhalten hätte, wäre Sherbini Jüdin gewesen. In Ägypten bemühten sich die Politiker nach Kräften, auf der Welle der öffentlichen Entrüstung mit zu schwimmen. Einige Kommentatoren kritisierten die Reaktionen allerdings als willkommene Ablenkung für das unbeliebte Regime von Präsident Hosni Mubarak, das gerade mit einer Reihe landesweiter Streiks und Besetzungen zu kämpfen hat.„Die Tragödie um Marwla el-Sherbini ist ebenso real wie der anti-arabische Rassismus in Europa und anderswo, aber .... ihr Tod wurde dazu instrumentalisiert, im Stile der Cartoons in dänischen Zeitungen anti-westliche Stimmungen anzuheizen“, schrieb der populäre Blogger The Arabist.