Die Verantwortlichen bei der National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP) fielen aus den Wolken, als sie von diesem Brief hörten. Nicht viel anders ist es Creciendo Juntos gegangen, einer Latino-Organisation. Auch verschiedene Seniorengruppen konnten sich nur noch wundern,als sie aus den Büros dreier demokratischer Kongressmitglieder die Rückfrage bekamen, warum sie denn so sehr gegen Klimaschutz seien. Die Politiker hatten Briefe mit den jeweiligen Organisations-Logos bekommen, in denen sie aufgefordert wurden, Präsident Barack Obamas Klimagesetzgebung abzulehnen. Doch wusste keiner der vermeintlichen Absender davon. Mindestens 13 derart gefälschte Briefe sind im August aufgetaucht.
Nun hat der Lobby-kritische desmogblog einen weiteren PR-Lap
t gefälschte Briefe sind im August aufgetaucht.Nun hat der Lobby-kritische desmogblog einen weiteren PR-Lapsus der Klimaschutzgegner enthüllt. Es dreht sich um "FACES" ("Federation for American Coal, Energy, and Security"), eine Bürgerinitiative "von Menschen aus allen Lebensbereichen", die sich zusammengefunden haben will, um in Öffentlichkeit und die Politikfür die US-Kohleindustrie zu kämpfen. Doch stellte sich heraus, dass FACES weitgehend eine PR-Ente ist. Die auf der Initiativen-Webseite abgebildete freundliche Floristin, die Feuerwehrfrau, eine Gruppe sympathischerGeschäftsleute und zahlreiche andere Fotos zeigen nicht die suggerierten Kohle-Unterstützer – sondern wurden einfach auf einer Fotostock-Webseite gekauft.Rache der RepublikanerGegen keine US-Regierung seit den Siebzigern hat es derartige „Grassroots“-Mobilisierungen gegeben wie gegen George W. Bush. Nun drängen minorisierte und radikalisierte Republikaner darauf, es der "liberalen" Obama-Administration heimzuzahlen. Da gibt es "Birthers", die an seinem Inländer-Status zweifeln, da gibt es "Deathers", die eine Mär verbreiten, nach der es bei der Gesundheitsreform darum ginge, betagte Bürger vor ein staatliches „Death Panel“ und dann um die Ecke zu bringen. Andere sehen in einem Freiwilligenprogramm "Konzentratios-" oder "Umerziehungslager". Nichts ist dran an all dem, doch tief verwurzelt und "echt" ist der Hass bei Teilen der Rechten allemal – oft genug zielen die Horror-Schlagworte, die von Bloggern, Think Tanks und Politikern ins Spiel gebracht werden, letztlich auf rassistische Ressentiments.Auch die "Liberals" sehen diese Konstellation. Trotzdem vergeht kaum ein Tag, ohne dass ihre Sprecher wie die Polit-Moderatorin Rachel Maddow vom Kabelsender MSNBC über "gefälschte Bewegungen" klagte, die man in den USA in Anspielung an die "Grassroot-Bewegungen" als "Astro Turf movements" bezeichnet - nach einer verbreiteten Kunstrasen-Marke. Und tatsächlich haben sich in der PR-Industrie der USA längst Experten für Bewegungs-PR und PR-Bewegungen etabliert. Die Agentur Adfero etwa, die offenbar hinter "FACES" steht, bietet als „Grassroots Grasstops Mobilization“ unverblümt an, einfache Bürger – Grassroots – und lokale Schlüsselfiguren – Grasstops – für jedwedes Anliegen auf die Straße zu bringen. Der Slogan von Bonner Associates, die für die gefälschten Briefe verantwortlich sind, lautet: "Strategic Grassroots Grasstops support you to win".Herangekarrte DemonstrantenNicht immer sind diese Kampagnen so plump wie die gefälschten Briefe, die heruntergeladenen "Gesichter" oder die jüngst in Houston mit angekarrten Demonstranten in Erscheinung getretenen "Energy-Citizens", die gleichfalls gegen die Klimagesetzgebung zu Felde zieht, diesmal für das "American Petroleum Institute". Im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform ist der Stil behutsamer. Zum einen verhehlen nach "Grassroots" aussehende Projekte wie die Seite "Recess Rally", die Demonstranten zu den Town-Hall-Meetings demokratischer Politiker schickt, ihre Nähe zu republikanischen Vorfeldgruppen wie "American Majority", "Americans for Prosperity" oder "Patients first" gar nicht – wenn auch dunkel bleibt, ob und wie diese mit der Gesundheitsindustrie verbandelt sind. Zum anderen betreiben die Auftrggeber Camouflage: Der Krankenversicherungsriese United Health Group etwa betreibt einerseits eine Webseite, auf der die Reform bejaht wird – lanciert aber andererseits über den Ableger Lewin Group Studien über deren üble Folgen, die Republikanischer gerne zitieren. Klassischer Astro-Turf ist dagegen die Gruppe "Right Principles", die eine Anweisung zum Verhalten in den Town Halls verbreitet: Hinter ihr steht der Thinktank "Freedom works", der von dem früheren Spitzen-Republikaner Dick Armey geleitet wird. "Astrotrurfing heisst, einen neutralen Dritten vorzutäuschen, der die eigene Position unterstützt", sagt Heidi Klein von der NGO Lobby Control. Sie sieht aber weite Grauzonen rund um Taktiken wie "strategic grassroots". Erstmals benutzt worden sein soll der Ausdruck 1985 von Senator Lloyd Bentsen, der sich plötzlich mit einem Berg von Briefen identischen Inhalts konfrontiert sah, in denen er aufgefordert wurde, sich für die Versicherungsindustrie stark zu machen. Im Internet-Zeitalter haben solche Strategien einen wahren Siegeszug angetreten, weil sich im Netz wenige leicht als viele ausgeben können – via Leser-E-Mails, Blogs, Crossposts, Trackbacks. Dass derartige Kampagnen in den USA so verbreitet sind, erklärt sich Klein aber auch mit einem politischen System, in dem Meinungsbildung weit weniger in instutionalisierten Kanälen wie Parteien, Gewerkschaften und Verbänden stattfindet als etwa in der Bundesrepublik. Zudem, sagt sie, ist das traditionelle Lobbying bei Exekutive und Legislative in den USA stark reguliert: Lobbyisten müssen sich registrieren und dabei angeben, wer für sie arbeitet, mit welchen Geldvolumen in wessen Auftrag. PR in die Gesellschaft hinein ist dagegen nicht meldepflichtig. Dennoch, so Klein, hilft ein verpflichtendes Lobby-Register auch beim Aufklären von Astroturfing. Man sehe immerhin, „welche Themen in der Mache sind“.Zweite Rüge binnen MonatenIn Deutschland, wo Lobbyismus kaum reguliert ist, haben die Meinungsfirmen in den letzten Jahren viel von den Adferos und Bonners gelernt. Vor wenigen Tagen erst musste der Deutsche Rat für Public Relations seine zweite Astroturfing-Rüge innerhalb weniger Monate erteilen. Es geht um die Agenturen berlinpolis und "European Public Policy GmbH" (EPPA), die 2007 eine verdeckte Deutsche-Bahn-Kampagne für die Privatisierung gefahren hatten: Untergeschobene Leserbriefe, lancierte Umfragen mit einseitigen Fragen, scheinbar aus neutraler Sicht verfasste Gastkommentare. EPPA betrieb eine Internetsite namens "meinebahndeinebahn", die gar als Bürgerinitiative auftrat. 2008 folgte der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie, der ebenfalls EPPA und berlinpolis mit einer Kampagne beauftragte. Berlinpolis lancierte daraufhin Leserbriefe, die unter anderem in Tageszeitung und Junge Welt gedruckt wurden.Doch werden Agenturen wie berlinpolis mit Rüge leben können. Ihr Geschäftsführer erklärte zynisch, man habe gar nicht gewusst, dass der PR-Kodex auch für "Think Tanks" gelte. Und wenn es ernster würde, könnte man es machen wie Bonner. Der Brief-Fälscher wurde entlassen. Er sei nur ein übermotivierter Zeitarbeiter gewesen, hieß es. Desmogblog hat allerdings herausgefunden, dass der Einzeltäter einen schönen Bonus zum Abschied bekam.