Jörg Tauss ist ein Mann des Internets. Kaum hatte der Bundestag auf Antrag der Karlsruher Staatsanwaltschaft seine Immunität aufgehoben, damit diese Anklage wegen Beschaffung von Kinderpornos erheben kann, twitterte er schon: "Immunität einstimmig (!) aufgehoben. Drei Wochen vor Ende der Legislaturperiode m.E. wohl eher peinlich für den Deutschen Bundestag." Am nächsten Tag legte er nach: "...ich hatte nur nicht 100%ig damit gerechnet, dass sich Immunitätsausschuss mitsamt Volker Beck tatsächlich instrumentalisieren lässt". Glaubt man Tauss ist die Strafanzeige nur Vorwand um ihn politisch kalt zu stellen. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folgt, ist nicht zu übersehen, dass das juristische Verfahren von der politischen Figur Jörg Tauss
Politik : Die Strafklage
Nicht die Gerichte werden über die politische Zukunft von Jörg Tauss entscheiden. Die Öffentlichkeit hat es längst getan - was nur die Piratenpartei nicht erkannt hat
Von
Marcus Engler
von der politischen Figur Jörg Tauss nicht zu trennen ist.In seiner vorläufig letzten Rede im Bundestag, kurz vor der Aufhebung seiner Immunität, hatte dieser sich beschwert, dass er seine Flug-Bonusmeilen nicht zu Rettung eines ehemaligen Praktikanten und dessen Bloggerfreunden, die derzeit in Aserbaidschan inhaftiert sind, verwenden durfte. Die Bundestagsverwaltung habe ihm gesagt, er könne die Meilen nur für Bildungsreisen, nicht aber "in Sachen Menschenrechte" verwenden. Daraufhin twitterte Volker Beck, Vertreter der Grünen im Immunitätsausschuss : "was erzählt der @tauss da? Die Ausschüsse genehmigen selbstverständlich auch Einzeldienstreisen mit dem Focus Menschenrechte". Beck streitet gern über Twitter mit Kollegen anderer Parteien, liefert sich "eine Podiumsdiskussion im Internet", wie er es nennt. Bezüglich der Immunitätsaufhebung zwitscherte er an Tauss: "Sie sollten wissen, dass das Immunitätsrecht kein Abgeordnetenprivileg zur Verhinderung von Strafverfolgung ist. peinliche Jammerei". Versöhnlicher fügte er hinzu, dass sich der "Ausschuss bei der Staatsanwaltschaft - auf meine Anregung hin - über deren Pressearbeit beschweren" wird. Tauss reagierte prompt: "Ich bleibe dabei, dass ich mich am Ende der Legislaturperiode, an dieser Schmierenkomödie der Staatsanwaltschaft nicht mehr beteiligt hätte". "Soziale Exekution"Schon in der Vergangenheit hatte Tauss die Staatsanwaltschaft kritisiert, ihr seine "soziale Exekution" vorgeworfen. Nun legte sein Rechtsanwalt, der SPD-Politiker Jan Mönikes, in einer Stellungnahme nach: "Die Nachricht über die Erhebung der Anklage ist keine Überraschung, nachdem diese schon vor Wochen via Bild-Zeitung angekündigt wurde. Die Anklage markiert vielmehr den Endpunkt einer unsäglichen medialen Inszenierung, die von der Staatsanwaltschaft von Beginn der Ermittlungen an befördert worden ist." Ist das nur eine Abwehrstrategie des Beklagten, oder steckt mehr dahinter? Jens Seipenbusch, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, vermutet ein "wahltaktisches Manöver" hinter der Aufhebung der Immunität. Spätestens an dieser Stelle vermischt sich die juristische Affäre um die Ermittlungen mit der politischen Ebene. Seipenbusch wundert sich - wie Tauss - vor allem über den Zeitpunkt der Anklage zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Man wolle der Piratenpartei politisch schaden. Schließlich hätte Tauss seine Immunität "nach den Wahlen" ohnehin verloren - ohne Medienspektakel. Was so nicht ganz stimmt, denn die Legislaturperiode des alten Bundestags endet nicht mit der Wahl, sondern erst in knapp zwei Monaten - sobald sich der neue Bundestag konstituiert. Warum die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen allerdings so lange warten sollte, sagt Seipenbusch nicht. Dennoch wundert sich auch der stellvertretende Vorsitzende des Immunitätsausschusses, Carl-Christian Dressel (SPD), über die Informationspolitik der Karlsruher Staatsanwälte. Mit einem Brief werde sich der Ausschuss bei der Generalstaatsanwältin über die Pressearbeit beschweren. Dort ist man schon alarmiert. Anfang August hatte die damalige Generalstaatsanwältin den Umgang ihre Karlsruher Untergebenen im Fall Tauss bereits öffentlich kritisiert. Interne Infos, öffentliche Dementi"Wir haben immer auf die Unschuldsvermutung hingewiesen. Es gab keine mediale Vorverurteilung", sagt hingegen Rainer Bogs, Oberstaatsanwalt und Sprecher. Und auch dass aus seiner Behörde vorab Informationen unter der Hand weitergegeben wurden dementiert Bogs: "Wir haben zur Kenntnis genommen, dass da interne Informationen unterwegs sind, etwa aus dem polizeilichen Abschlussbericht. Wir waren es nicht." Volker Beck will dem nicht so recht Glauben schenken. "Bestimmte Sachen können nur von der Staatsanwaltschaft kommen, etwa die Information, dass die Anklage erfolgen soll." Dies hätte nicht einmal Tauss selbst gewusst, dem Beck durchaus zutrauen würde, dass er Informationen weiter gibt, um sich hinterher als Opfer darzustellen, damit er in der Internetszene politische Rückendeckung bekommt. Aus Sicht von Tauss mag seine öffentliche Vorwärts-Verteidigung Sinn machen. Aus Sicht der Piratenpartei ist sie eher wunderlich. Vielleicht hofft man dort, dass Tauss im Falle eines Freispruchs, als Märtyrer an politischen Kapital gewinnt. Ob diese Rechnung allerdings aufgeht, darüber gibt es berechtigte Zweifel. Zum einen ist ein Urteilsspruch vor der Bundestagswahl nicht zu erwarten. Zum anderen, und das wiegt schwerer, ist es alles andere als sicher, ob ein Freispruch Tauss' Image tatsächlich wiederherstellen würde. Dann wäre er zwar sowohl der juristische als auch der moralische Sieger. Politisch hingegen ist er seit den ersten Anschuldigungen und vermutlich auf lange Zeit schwer beschädigt. Denn im Falle von Kinderpornos bedeutet die Anklage bereits eine Strafe. Und es ist einer jener wenigen Fälle, den das öffentliche Gedächtnis nicht vergisst. Das nicht erkannt zu haben ist das Versäumnis der Piratenpartei, die heute ihren dritten Geburtstag feiert. Da hilft auch kein Jammern über eine angeblich politische Justiz.