Nach ihrem größten Wahlerfolg stellen die Grünen nur die kleinste Fraktion im Bundestag. Trotzdem beanspruchen sie die "Oppositionsführerschaft". Aber was ist das?
Dass die Grünen Grund haben, ihren größten Wahlerfolg aller Zeiten mit gemischten Gefühlen zu beäugen, wurde in vielen ersten Kommentaren hervorgehoben. Es ist sicher eine bittere Erfahrung, als Mehrheitsbeschaffer überhaupt nicht gebraucht zu werden, weder von rechts noch von links. Und sie starten als kleinste aller Bundestagsparteien in die neue Legislaturperiode. Die ersten Reaktionen der Parteiführung spiegeln den Frust denn auch wider: Man wolle die Oppositionsführung erlangen, denn man sei der "Think-Tank" des Landes, und man beharre darauf, sich nicht in ein linkes Lager eingemeinden zu lassen.
Aber nicht nur Erwartungen sind enttäuscht worden, sondern eine neue Lage ist entstanden, die nicht verfehlen wird, die Grünen zum Nachdenken
ttäuscht worden, sondern eine neue Lage ist entstanden, die nicht verfehlen wird, die Grünen zum Nachdenken zu zwingen. Man kennt das: Jemand will an seinem Standpunkt nicht rütteln lassen, aber er ist plötzlich in eine andere Struktur geworfen, die sich als stärker erweist. Die Grünen bleiben zwar eine von drei Oppositionsparteien. Aber sie bleiben nicht das schwer definierbare Mittelding zwischen der Linken und der FDP. Die Frage, ob sie zum linken Lager gehören oder nicht, war bisher eine sozusagen rein geistige. Jetzt hat sie eine materielle Basis, weil die gesamte sonstige Opposition zweifelsfrei links ist. Mal mehr, mal weniger links, aber das tut hier nichts zur Sache. Solange sie FDP und Linke zu Nachbarn hatten, konnten sie die Antwort auf jene Frage verweigern, jetzt müssen sie Farbe bekennen.Grün heißt nicht per se linksDie Farbe ist eben grün, werden sie sagen. Und es ist ja wahr, grün heißt nicht per se links. Verheerend wäre es, wenn nur die linke Hälfte unserer Gesellschaften sich zu ökologischem Handeln aufraffen, die rechte es aber blockieren wollte. Eine ökologische 51-Prozent-Mehrheit wäre zu wenig, wie man jetzt wieder an der Frage des Atomausstiegs ermessen kann. Was nützt es, wenn eine linke Regierung ihn ab 1998 in die Wege leitet, eine rechte ab 2009 die Laufzeiten verlängert? Die Grünen haben recht, wenn sie sagen, auch die rechte Bevölkerungshälfte müsse überzeugt werden. Dann muß man in der Tat prinzipiell bereit sein, auch mit Union und FDP als den Parteien dieser Hälfte zusammenzuarbeiten. Aber das ist nur eine allgemeine Wahrheit. Die Grünen sagen selbst, ihre Übereinstimmung mit der SPD sei am größten. Diese Partei denkt in der Tat immer noch ökologischer als die Union. Für Politiker wie Hermann Scheer und selbst Sigmar Gabriel, bei aller Halbherzigkeit seiner Linie, gibt es in den rechten Parteien keine Entsprechung. Die SPD ist aber jetzt gezwungen, das Bündnis mit der Linkspartei zu suchen. Ökologische Opposition kann daher heute konkret nur heißen: Gegnerschaft zu Schwarzgelb in Gemeinsamkeit mit diesem Bündnis. Zumal die Grünen diese Gegnerschaft im Bundestagswahlkampf immerzu betont haben.Gestern noch waren sie sehr frei. Sie schienen eine Scharnierfunktion zwischen den Lagern zu haben und nach Gutdünken realisieren zu können. Heute nicht mehr, jedenfalls nicht im Bundestag. Nicht in der Bundesrepublik, wenn auch vielleicht in einzelnen Bundesländern. Sie streben die Oppositionsführerschaft an? Das mögen sie tun. Aber wenn sie sich umblicken im Bundestag, werden sie sehen, in der Opposition gibt es außer ihnen nur Linke. Diese also, wenn überhaupt jemanden, müssen sie zu führen versuchen. Wenn sie das nicht laut sagen, sondern weiter so tun, als wäre da noch eine Entscheidung zu treffen und der Ausgang sei ungewiss, dann ist "Oppositionsführerschaft" nur heiße Luft. Sie sollten anerkennen, dass SPD und Linke jetzt ihre Lebensabschnittspartner sind.Leitfragen der Oppositionspolitik"Führen", wenn man es so nennen will, wäre notwendig genug: die besten Leitfragen der Oppositionspolitik formulieren; befähigt sein, die Verschiedenheit der Antworten zu überwinden, sie wenigstens kompatibel zu machen. Ein Blick auf die derzeitigen Koalitionsverhandlungen im Saarland kann das exemplarisch zeigen. Dort gab es das Problem, dass die Linkspartei zur Kohleförderung zurückwollte, die von den Grünen aus guten ökologischen Gründen abgelehnt wird. Da die SPD in dieser Frage auf der grünen Seite stand, wurde daraus kein politischer Stolperstein. Aber die Haltung der Linkspartei, und vielleicht ja auch ihrer Wähler, ist unverändert. Überdies ist auch die saarländische SPD nur zähneknirschend dabei. Wenn Politik mehr heißt als Koalitionsarithmetik, bleibt das Problem also im Grunde ungelöst. Es könnte aber gelöst werden. Man schaue sich das Wahlprogramm der saarländischen Linkspartei an: Dort findet man die problematischen Strukturen, die das Problem verursachen. Sie warten darauf, überführt zu werden, insofern warten sie auf "Führung".Dieses Programm wirkt in den ökologischen Abschnitten wie aus grünen Programmen abgeschrieben. Man darf ruhig sagen, da wird es grüne "Führung" schon in der Vergangenheit gegeben haben. "Bei der Nutzung erneuerbarer Energien soll das Saarland eine Vorreiterrolle spielen", lesen wir in den "20 Programmatischen Thesen". Und: "Aus ökologischer und sozialer Verantwortung muss der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden." Und: "Wir setzen uns für eine ökologische Landwirtschaft ohne Gentechnik ein." Aber dann mischt sich völlig inkonsequent die Befürwortung der Kohleförderung ein: "Wir wenden uns gegen den beabsichtigten Kahlschlag" – obwohl es zwei Sätze vorher noch heißt: "Innovative Industriepolitik stellt einen Schwerpunkt unserer Wirtschaftspolitik dar." Das ist die Matrix der ökologischen Konfusion nicht nur an der Saar, sondern in Deutschland. Hier ist Rhodos, hier springe! Man hätte erwartet, die Grünen würden nun Vorschläge zur Umrüstung der Kohleindustrie unterbreiten, damit die Kohlearbeiter und –ingenieure nicht schlecht wegkommen, wenn im Saarland ökologische Erneuerung geschieht. Das wäre "Führung" gewesen. Wenn sie in solcher Weise im Bundestag "Oppositionsführer" würden, es wäre großartig. Aber eine solche Partei sind sie nicht.