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Dialog mit dem Drachen

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Politik : Von Varvarin nach Kunduz

Die Vorgeschichte des Kunduz-Massakers beginnt 1999 mit der Aggression gegen Jugoslawien, die zum Gründungscode der Berliner Republik gehörte

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Gezieltes Töten zählte bislang zu den Spezialitäten anderer Armeen, etwa der der israelischen, wenn es galt, palästinensische Führer auszuschalten. Nun weist auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr nach, auch sie beherrscht das Auslöschen von Gegnern. Wie der 4. September in Kunduz bezeugt, gilt dabei Rücksicht gegenüber Zivilisten als überflüssig.

Narkotisiert

Was ist daran erschreckender? Die Kaltblütigkeit von Militärs, die derart handeln, oder der Zustand einer Gesellschaft, aus deren politischer Mitte heraus ein solches Handeln toleriert und geduldet wird? Wer Krieg führt, ist in der Regel nicht zimperlich, schätzt Tarnung und Täuschung, hat eigene Opfer zu beklagen und sorgt für Kollateralschäden, verübt Kriegsverbrechen und bricht Menschenrecht – der Setzkasten des Grauens ist bekannt. Nur redet man nicht gern darüber. Wenn es irgendwann unausweichlich wird wie jetzt beim Kunduz-Massaker, gerät eine demokratisch genormte Gesellschaft, die sich gern zum vorletzten Wort der Geschichte erklärt, in einen unauflösbaren Zwiespalt: Weil der Krieg für zivilisatorischen Standards nur Hohn und Spott übrig hat, wird sie auf Herz und Nieren geprüft.

Acht Jahre Afghanistan-Besatzung und -krieg unter deutsche Beteiligung sind insofern auch ein demokratischer Reifetest, der bisher weder angenommen noch bestanden wurde. Die Mehrheit des Bundestages, ausgenommen die PDS beziehungsweise Linkspartei, hat seit 2001 nichts dagegen, durch gefilterte Informationen über die Lage in Afghanistan narkotisiert zu werden, weil es so leichter fällt, bei jeder Mandatsverlängerung die Hand zu heben. Diese Mehrheit wäre Jung, zu Guttenberg und deren ministeriellen Handlangern auch heute noch dankbar, weiter geschont zu werden, hätte es in Kunduz am 4. September nicht ein schockierendes Kapitalverbrechen gegeben, das letzte Zweifel ausräumt, wie sehr Deutschland sich mit Schuld belastet, um kriegstauglich zu sein.


Die vielbeschworene Rückkehr zur außenpolitischen Normalität nach 1990 ist für die Berliner Republik eben auch eine Rückmeldung zum Krieg gewesen. Zu dieser Normalität gehören der militärische Overkill von Kunduz ebenso wie der Umgang damit, der skandalöser kaum sein kein, aber wiederum nicht skandalöser ist, als es der Jugoslawiens-Krieg von 1999 war. Es rächt sich, dass die Berliner Republik Wert darauf legte, den Jugoslawien-Krieg von 1999 als Grundstein in ihrem Fundament zu vermauern. Erstmals seit 1945 führten die Deutschen ab dem 20. März 1999 wieder Krieg und taten es, indem sie Recht brachen. Ein Verfassungsorgan wie die Bundesregierung, zu diesem Zeitpunkt rekrutiert aus sozialdemokratischen und grünen Ministern, legte das Völkerrecht und der Grundgesetz einfach beiseite und wurde dafür von einer sich demokratisch nennenden Gesellschaft, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht zur Verantwortung gezogen. Weder das Verfassungsgericht noch das Parlament geschweige denn die Öffentlichkeit oder Zivilgesellschaft nahmen Anstoß daran, dass ein souveräner Staat wie die damalige Bundesrepublik Jugoslawien ohne Kriegserklärung und ohne UN-Mandat angegriffen wurde.

Auch damals grassierten Kriegslügen en masse. NATO-Regierungen gaben vor, im Namen der Moral zu handeln und im Recht zu sein, wenn sie gegen Recht verstießen. Es führt ein schnurgerader Weg von den NATO-Bomben auf die Brücke von Varvarin am 30. Mai 1999, die zehn Zivilisten töteten, zu den auf deutschen Befehl abgeworfenen Bomben auf Menschen in Kunduz gut zehn Jahre später und den 142 Toten dort. Der Sündenfall von 1999, der als praktizierte Geschichtsmächtigkeit daher kam, als sich Außenminister Joschka Fischer dazu verstieg, die Bomben auf Belgrad einen Beweis für die Lehren von Auschwitz zu nennen, wirkt nach. Ein Werteverfall, der unter die Haut ging und seither darunter festsitzt. Heiligt der Zweck des Afghanistan-Krieges seine Mittel? Kunduz lehrt, wie das Mittel den Zweck auslöschen kann. Das von Kriegsapologeten gern und häufig strapazierte Argument, man ermögliche Kindern, wieder in die Schule zu gehen, hat sich für die Kindern erledigt, die im Feuerball von Kunduz verglühten.

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