Was Hannelore Kraft veranlasst hat, sich zwei Monate vor der so wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ausgerechnet mit diesem Vorstoß zu Wort zu melden, wird ein Rätsel bleiben. Sie fühlte sich offenbar gedrängt, auch einmal etwas zur Sozialstaats-Debatte beizutragen. Die wurde von Kontrahent Jürgen Rüttgers schon früh mit dem Ruf nach einer „Generalrevision“ von Hartz IV angeheizt. Auch die Liberalen sind seit Wochen an der Front präsent. Nun hat es die Sozialdemokratin, die sich mehrfach beklagt hatte, mit ihren Themen in der Öffentlichkeit so schwer durchzudringen, in die Schlagzeilen geschafft. Das Echo war miserabel.
Von fast allen Seiten wurde die SPD-Spitzenkandidatin für ihre Idee kritisiert, Erwerbslosen „m
n fast allen Seiten wurde die SPD-Spitzenkandidatin für ihre Idee kritisiert, Erwerbslosen „mit besonderen Handicaps“ das Angebot zu machen, gemeinnützige Arbeit gegen einen „symbolischen Aufschlag“ zu leisten, eine „Lösung ohne Mehrkosten für den Staat“, wie Kraft anfangs betonte. Bundesweit gelten zwischen 400.000 und 600.000 Arbeitslose aus verschiedenen Gründen als chancenlos auf dem regulären Erwerbsmarkt. Ihnen ein Angebot zu machen, etwa auf einem „sozialen Arbeitsmarkt“, ist die Debatte durchaus wert. Aber keineswegs auf der Basis dessen, was die NRW-Sozialdemokratin vorgeschlagen hat. Daran ändern auch die späteren Abschwächungen und Interpretationen der SPD-Politikerin und ihrer um die Vermeidung von Wahlkampffehlern besorgten Partei.Ein „sozialer Arbeitsmarkt“ existiert bereits, es handelt sich weder um ein Erfolgsmodell noch eine von Nebenwirkungen freie Einrichtung. Rund 700.000 Menschen arbeiten nach Angaben des Deutschen Städtetags jährlich in einem so genannten Ein-Euro-Job. In diese Richtung zielt auch Krafts Vorschlag. Die Gewerkschaften haben jedoch vor den Verdrängungseffekten für reguläre Jobs durch niedrig oder gar nicht entlohnte Arbeitskräfte gewarnt. Die Kommunen fragen sich stellvertretend für regionale Kleinbetriebe: „Wie bekommt man das so hin, dass den Handwerkern nicht gleichzeitig die Luft abgedreht wird?“Beispiel: BürgerarbeitDas ist eines der Probleme: Kraft schlägt vor, dass Erwerbslose „in Altenheimen Senioren Bücher vorlesen, in Sportvereinen helfen oder Straßen sauber halten“. Es mögen dies relativ einfache Tätigkeiten sein, dennoch stellt sich die Frage, warum sie nicht regulär entlohnt werden sollen. Ein Teil davon klingt ohnehin nach „normalen“ Stellen. Und wenn soziale, kommunale und kulturelle Dienstleistungen als „gemeinnützig“ angesehen werden, dann muss die Gemeinschaft diese Nützlichkeit auch angemessen vergüten.Die grüne Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer hat im Zuge der Debatte erklärt, Stellen wie „Assistenzkräfte für Schulhausmeister“ oder in anderen Projekten könnten „für Menschen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen neue Erwerbs-Perspektiven“ geben. Pilotprojekte wie jener zur „Bürgerarbeit“ im sachsen-anhaltischen Bad Schmiedeberg haben das Gegenteil gezeigt: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nannte den Versuch „nur bedingt erfolgreich“, Übergänge in reguläre Beschäftigung würden kaum verzeichnet, wobei es „weniger an der Aktivierung von Arbeitslosen gemangelt hat, sondern schlicht an Arbeitsplätzen“ (zur Studie). In Berlin haben sich gerade erst 25.000 Erwerbslose bei der Arbeitsagentur auf 650 Stellen zum Schneeräumen beworben. Die Stadt war teilweise unbegehbar – die Stadtreinigung allein war offensichtlich unterbesetzt.Da klingen solche Worte besonders fatal: „Wir müssen endlich ehrlich sein“, hat Kraft erklärt, „rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden.“ Liegt es daran, dass sie die Anforderungen nicht erfüllen können. Oder doch eher daran, dass Bund, Länder und Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihnen eine Stelle zu bieten. Schlanker Staat, lautet das Stichwort. Die Entwicklung im öffentlichen Dienst spricht Bände: 1991 waren hier noch rund 6,7 Millionen Menschen beschäftigt, 2008 dagegen nur noch 4,5 Millionen.Beispiel: Kommunal-Kombi2008 hatte der damalige SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering den Kommunal-Kombi ins Leben gerufen, ein Beschäftigungsprogramm für Regionen mit hoher Erwerbslosenquote, bei dem Städte und Gemeinden über drei Jahre einen Lohnzuschuss von maximal 500 Euro erhalten, wenn sie Langzeitarbeitslose in zusätzliche Beschäftigung bringen. Doch die klammen Kommunen konnten sich ihren 50-Prozent-Anteil bei der Ko-Finanzierung offenbar nicht leisten. Müntefering hatte Jobs für 100.000 Menschen erwartet – in Wirklichkeit wurden nicht einmal 16.000 Erwerbslose eingestellt.Hannelore Kraft könnte zumindest eines erreicht haben: Die sozialpolitische Debatte bei den Sozialdemokraten anzufeuern. Für den 15. März hat die SPD-Spitze „einen eigenen Vorschlag zur Reform des Arbeitsmarktes“ angekündigt. Eine Woche später sollen Grundzüge der Korrekturen an der Agenda-Politik auf einer Betriebsrätekonferenz besprochen werden, danach soll die Basis diskutieren. Im Programm des SPD-Vorstandes für 2010 wird als eine Leitidee der „Zukunftswerkstatt Arbeit – Innovation – Umwelt“ formuliert: „die Stärkung von regulärer Beschäftigung und Binnennachfrage und der Ausbau von Beschäftigung im Bereich der sozialen Dienstleistungen“. Wer das fordert, muss auch sagen, wie er dieses Ziel erreichen kann. Hannelore Krafts Vorstoß für Null-Euro-Jobs liegt in der entgegengesetzten Richtung.