Trecker aus dem Wendland sind bereits unterwegs. Sie sind wie immer als erste aufgebrochen und werden am Samstag, wenn sie am AKW Krümmel eintreffen, einen Endpunkt der geplanten Anti-Atom-Menschenkette bilden. Ob es gelingen wird, auf der 120 Kilometer langen Strecke zwischen dem AKW Krümmel und dem Meiler Brunsbüttel einige zehntausend Menschen wie an einer Perlenschnur aufzureihen, ist noch nicht ausgemacht. Die Veranstalter der Protestaktion stehen vor einer logistischen Herausforderung, Regionen und Städten haben Patenschaften für bestimmte Streckenabschnitte übernommen. Die Optimisten unter ihnen hoffen, dass am frühen Nachmittag wenigstens alle fünf Meter ein Demonstrant steht.
Es ist die erste Anti-Atom-Großdemonstration seit dem schwarz-
m schwarz-gelben Regierungsantritt. Und es hat einige Konflikte bei Aktivisten im Vorfeld gegeben. Denn mancherorts haben die Widerständler mit Argwohn beobachtet, dass auch Parteien in den Kreis der Veranstalter aufgenommen wurden, vor allem SPD und Grüne. In Elmshorn zum Beispiel will Sigmar Gabriel zu den Protestierenden sprechen. Rot-Grün hatte im Jahr 2000 den Atomkonsens ausgehandelt. Der war für viele nicht so sehr ein Ausstiegsvertrag gewesen, sondern eine Zusicherung zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Denn die flexible Regelung von Laufzeitübertragungen und Strommengen von einem AKW auf ein anderes hat den Kraftwerksbetreibern so viel Spielraum verschafft, dass bislang noch keine nennenswerte Zahl von Meilern abgeschaltet worden ist. Die Stromkonzerne hofften auf den Regierungswechsel, den sie im September dann auch bekamen. All das hat man damals schon vorausgeahnt. Deshalb sind die „Sofortisten“, also jene, die den Ausstieg sofort und ohne Kompromisse wollen, misstrauisch gegenüber parteipolitischem Gebaren. „Wir möchten nicht, dass der Widerstand von Parteien an die Kette gelegt wird,“ sagt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.Akte für Akte, Dokument für DokumentDer Widerstand im Wendland ist über 30 Jahre alt, gerade kann man sich an den Jahrestag des legendären Hüttendorfs erinnern, das im Mai 1980 auf der Tiefbohrstelle 1004 über dem Salzstock Gorleben errichtet wurde, damals wurde auch die „Republik Freies Wendland“ ausgerufen. Seit Schwarz-Gelb die Bundesregierung stellt und Umweltminister Röttgen Gorleben wieder für die Erkundung, also den weiteren Ausbau zum Endlager frei gegeben hat, weiß die Mehrheit der Menschen hier, was zu tun ist. Akte für Akte, Dokument für Dokument, Zeugenaussage für Zeugenaussage werden dem Gegner wie bei einer Gerichtsverhandlung vorgehalten. Nüchtern, ruhig und gewissenhaft wertet man Unterlagen aus, bringt brisante Dokumente an Presse und Öffentlichkeit, hält Tagungen ab, auf denen Wissenschaftler sagen, was seit vielen Jahren bekannt ist, aber kein Verantwortlicher hören wollte: Dass Gorleben als Standort für ein Endlager nicht geeignet ist, weil es nicht die Sicherheit bietet, die ein Endlager haben müsste. Es ist eine lange Beweiskette, welche die Atomgegner da zusammenlegen müssen, und in ihr darf kein Glied fehlen.Denn bei einem sind sich die Aktivisten im Wendland sicher: Es geht nicht nur darum, Gorleben als Atom-Endlager zu verhindern. Nein, es geht um die Zukunft der Energiepolitik überhaupt – sie entscheidet sich in und mit Gorleben. So formuliert es Ehmke, und das nicht das erste Mal. Denn ohne potenzielles Endlager kann man schwerlich die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern und immer mehr Müll produzieren. Jahrelang hatte der wendländische Standort gegen den Willen der Bevölkerung Pate gestanden für den Betrieb der AKW.Um weiteren Druck für einen raschen Atomausstieg aufzubauen, wurde der Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl gewählt, der 26. April 1986. Der Zeitpunkt kurz vor der NRW-Wahl ist dabei auch heikel. Denn die Parteien werden den Protest als Vehikel nutzen, um sich zu profilieren. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb Atomgegner wie die BI Lüchow-Dannenberg Parteien auf Distanz halten. Mit Formelkompromissen haben Rot und Grün Skepsis an ihrer Glaubwürdigkeit genährt. Deshalb ist es den kleineren Initiativen so wichtig, dass die Partei-Fahnen nicht das Bild bestimmen. Wolfgang Ehmke will deshalb daran arbeiten, „dass die BI, die Anti-Atom-Inis und die Umweltverbände als außerparlamentarische Kraft beim Thema Atomausstieg und Gorleben tonangebend bleiben“.Einspruch bei der IG MetallDie Menschenkette wird nicht die einzige Aktion an diesem Wochenende sein. In Biblis ist eine Umzingelung des AKW geplant, am Zwischenlager Ahaus soll es eine Demo geben. Neben diversen Umweltorganisationen sind erstmals auch Gewerkschaften bei den Großveranstaltungen aktiv vertreten: die IG Metall Küste und die IG Metall Niedersachsen sowie Verdi-Nord und der DGB-Nord hängen mit an der Ketten-Demonstration. Zwar haben die Vorstände dieser Gewerkschaften den Atomausstieg schon lange auf der Agenda stehen – dennoch ist es ein Novum, dass sie nun selbst zu Protesten aufrufen und mobilisieren. Die IG Metall Küste hat an ihrer Teilnahme an der Anti-Atom-Aktion sogar gegen den Einspruch eines Teils der Mitglieder festgehalten. Immerhin 3.000 Vattenfall-Mitarbeiter hatten sich gegen den Protest ausgesprochen.Man habe sich bewusst für eine Demonstration aus zwei gesellschaftlichen Gruppen entschieden, erklärt Jochen Stay von der Kampagne „ausgestrahlt“ das breite Demonstrationsbündnis: „Es ist ein Zusammenschluss, in dem die einen wollen, dass die Atomkraftwerke sofort stillgelegt werden und die anderen zugeben, dass der Atomkonsens zwar nicht das Beste gewesen sei, aber doch immerhin ein Ausstiegskonzept, und die erklären, jetzt gehe es darum, Laufzeitverlängerungen zu verhindern.“ Dies sei ein Bündnis auf Zeit und man mache sich keine Illusionen über die Parteien und ihre Rolle – jetzt ginge es in erster Linie darum, die breite gesellschaftliche Mehrheit gegen Atomenergie sichtbar zu machen, so Stay.Der Anti-Atom-Treck der wendländischen Bauern, begleitet von vielen Atomgegnern auf Fahrrädern und Inline-Skatern, wird am AKW Krümmel mit einer Kundgebung enden. Angekündigt haben sich Vertreter der Elterninitiative Geesthacht, der BI gegen Leukämie in der Elbmarsch, Greenpeace sowie Kirchen- und Gewerkschaftsvertreter. Politiker-Reden sind zumindest dort nicht vorgesehen.