Um wat geht’s euch eigentlich?“, will der Mann mit der Schiebermütze wissen. Vier Piratenparteimitglieder stehen hinter einem Infotisch in Dortmunds Fußgängerzone. „Um mehr Transparenz in der Verwaltung“, erfährt der Mann als erste Antwort. Worauf sich seine Augenbrauen zusammenziehen: „Transparenz“? Die zweite Antwort der wahlkämpfenden Freibeuter ist leichter zu verstehen: „um ein besseres Bildungssystem“.
Die Piraten wünschen sich „Laptops für alle Schüler ab Klasse 5“, und „die Abschaffung der Studiengebühren“. Veränderungen in der Schule fordern alle Parteien vor den NRW-Wahlen am 9. Mai auch, denn Bildung ist Ländersache. Sogar die SPD ist für die Geb
ie Gebührenfreiheit an den Universitäten, jene Partei, die das kostenfreie Studieren hier vor Jahren abgeschafft hatte. Am Wahlkampfstand der Piraten hört der Schiebermützenmann noch eine Weile zu, greift sich dann zwei Kugelschreiber vom Tisch und läuft in Richtung Kaufhaus davon. „Ich muss jetzt weiter, meine Frau wartet.“ Kaum zu sagen, ob er nun wirklich weiß, um was es den Piraten eigentlich geht.„Wir müssen noch am Offlinewahlkampf arbeiten“, gibt Birgit Rydlewski gerne zu. Die Berufsschullehrerin ist Landesvorsitzende der noch jungen Piraten an Rhein und Ruhr. Zwei Parteitage waren nötig, um einen Katalog von Wahlforderungen aufzustellen. Bildung, Verbraucherschutz, Bürgerrechte, Demokratie – und doch ist das Papier nicht das „volle Programm“. Arbeit und Soziales, bei den etablierten Parteien stets ganz vorn auf der Agenda, rangiert bei den NRW-Piraten ganz am Schluss: Zurück zur sozialen Marktwirtschaft will man, das alte Personalvertretungsgesetz des Landes soll wieder in Kraft gesetzt werden. Und die Empfänger von Arbeitslosengeld II möchte man von allen Zuzahlungen zu Lehrmitteln und Kosten für den Schulweg befreien.Themenspezialist oder Vollpartei?Dem Wahlprogramm ist eine gewisse Zerrissenheit anzumerken: Sollen die Piraten voll und ganz auf zwei, drei Themen setzen, die sich um Datenschutz, Internet und digitale Demokratie drehen. Oder versteht man sich dreieinhalb Jahre nach der Gründung als „Vollpartei“?Rydlewski ist erst seit einem knappen Jahr bei den Piraten dabei. Jedes fünfte der bundesweit rund 11.000 Mitglieder ist im nordrhein-westfälischen Landesverband registriert. Ihre Vorsitzende ist erfrischend anders als andere Politiker – nicht zuletzt durch eine entwaffnende Ehrlichkeit: „Das ist doch gut, dann haben wir unser Ziel doch erreicht“, entgegnet Rydlewski auf den Einwand, dass die großen Parteien, und dazu gehören aus ihrer Perspektive auch FDP und Grüne, inzwischen doch erhebliche Anstrengungen unternehmen, das lange vernachlässigte Thema Internet nun doch zu beackern. Neulich erst konnte die twitternde CDU-Familienministerin Kristina Schröder beim Berliner Politcamp punkten, einer Zusammenkunft von Netzmultiplikatoren und Politikern, dem große Beachtung geschenkt wurde. Das größte Dilemma der Piratenpartei ist, dass sie einerseits immer noch als Ein-Themen-Partei wahrgenommen wird, aber die anderen Parteien dieses Thema längst nicht mehr so stiefmütterlich behandeln.Existenzielle Fragen Das sah vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst noch anders aus. Damals sorgte die 2006 gegründete Partei für Furore. Über das Feindbild, das der seinerzeit amtierende CDU-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in der Netzcommunity darstellte, konnten die Piraten prima Wähler mobilisieren. Schäuble stand für staatliche Eingriffe ins Private und für die verhasste Vorratsdatenspeicherung. Auch seine Parteifreundin Ursula von der Leyen half den Piraten: Schröders Vorgängerin wurde wegen ihrer Vorstöße für Internetsperren zu einer Art Anti-Marke, zur „Zensurusla“. Viele junge Menschen, die internetaffinen Jahrgänge, entschieden sich bei der Bundestagswahl für die Piratenpartei. Bei den Erstwählern lag die Zustimmung sechsmal höher als das Gesamtergebnis von 1,9 Prozent. In den Universitätsstädten Aachen und Münster enterten die Piraten bei der NRW-Kommunalwahl im August 2009 jeweils einen Sitz im Stadtrat.Darauf gründen sich nun die Hoffnungen einer Partei, die inzwischen vor der existenziellen Frage steht, ob und wie es mit ihr weitergehen soll: Als Feuilletonthema taugen die Piraten 2010 nicht mehr. Das merkt man gerade in Nordrhein-Westfalen. In den wichtigen Lokalzeitungen gibt es kaum Erwähnungen. Für den Straßenwahlkampf fehlt es an Erfahrung, für den Flächenwahlkampf an Geld. Und für den Zug durch die Gemeinde an lokaler Verwurzelung: „Wir werden kaum zu irgendwelchen Veranstaltungen eingeladen“, beschwert sich Hanns-Jörg Rohwedder, der in Dortmund antritt – wo ihn kaum jemand kennt. Während Pirat Rohwedder über Naturschutz redet und gegen Atomkraft schwadroniert, engagieren sich die Grünen seines Wahlkreises in einer Bürgerinitiative gegen den umstrittenen Flughafen und versammeln immer mehr junge Familien und Häuslebauer hinter sich. Die Präsenz der Piratenpartei in NRW ist vor allem deshalb kaum spürbar, weil sie nicht in den Vereinen vertreten ist.Handzettel im GepäckHinzu kommen die Wachstumsprobleme einer jungen Partei. Intern schwelen Auseinandersetzungen um Genderfragen, politische Ausrichtung und die Organisation. In Nordrhein-Westfalen setzen die einen auf das bisherige Modell so genannter Crews, andere wünschen sich Kreisverbände, wie sie auch in anderen Bundesländern schon existieren. Die einen sagen, dass kleine und eigenständige Teams das beste Mittel gegen das Funktionärswesen sind. Die anderen meinen, dass auch die Piraten nur mit einem breiten Fundament arbeitsfähig werden könnten. Die Entscheidung darüber wurde vertagt – auf den Bundesparteitag im rheinischen Bingen, eine Woche nach der Landtagswahl.Wie die Piraten bei der „kleinen Bundestagswahl“ abschneiden, ist ungewiss. In Umfragen laufen die Piraten unter „Sonstige“ – zusammen mit Splitterparteien, einer Szene, die man schon verlassen glaubte. Da kämpft die Westfalenpartei gegen die rheinische Vorherrschaft im Land; Pro NRW nagt am rechten Rand der CDU und wildert bei der rechtsextremen NPD. „Wir wissen ja selbst nicht, wo wir stehen“, sagt Rydlewski, „weil wir keinen messbaren Wert aus den Umfragen haben.“Rat holt sie sich gelegentlich bei einer, die reich ist an politischer Erfahrung. Denn Angelika Beer, die ehemalige Grünenvorsitzende, die nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr zu den Piratenpartei stieß, blickt auf ein Leben als Berufspolitikerin zurück: Aus dem Stegreif bedient sie das Instrument der selbsterfüllenden Prophezeiung: „Nur weil jetzt alle anderen von uns kopieren, macht das die Piratenpartei noch lange nicht überflüssig“.Treffen im InternetBeer kommt aus Schleswig-Holstein und gehört zu den wenigen Politprofis der Partei. Demnächst wird sie mit ein paar Kollegen aus dem hohen Norden in den tiefen Westen nach Köln reisen, um dort zu helfen. Beer wird Handzettel für ein paar tausend Euro im Gepäck haben und Plakate. Auch aus Berlin kommen Helfer, was wichtig ist, denn die NRW-Piraten arbeiten ehrenamtlich. 30.000 Euro darf der Wahlkampf kosten, soviel geben andere Parteien in einem einzigen Wahlkreis aus.Trotz der nicht gerade prallen Parteikasse haben die NRW-Piraten ein Problem mit dem Finanzamt. Die Behörde hat Birgit Rydlewski unlängst nach der Adresse der Geschäftsstelle der Piratenpartei gefragt. „Gibt’s nicht“, hat die Landeschefin geantwortet. – „Wie: Gibt’s nicht, Sie müssen sich doch irgendwo treffen?“, bohrte die Dame vom Amt nach. „Tun wir auch“, sagte Rydlewski, „nämlich im Internet.“ Das klappt gut. Aber an ihrer Offlinepräsenz müssen die Piraten noch arbeiten. Aus ganz verschiedenen Gründen.