Informant enttarnt? Unkontrollierte Finanzen? Unsichere Technik? Statt über sie zu schimpfen, sollte Wikileaks sich schon im Eigeninteresse seinen Kritikern stellen
Das US-Militär hat den mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley M. angeklagt, der vermeintlich das Video eines Massakers einer US-Helikopter-Besatzung an irakischen Zivilisten und einem Reuters-Fotografen weitergegeben haben soll (collateralmurder.com). Zugleich mehren sich im Internet die fragenden Stimmen, wie die Aktivisten denn eigentlich mit den Spenden umgingen, die sie aufgrund des Videos bekommen haben. Schließlich seien die Grundfunktionen der Seite seit Monaten nicht oder kaum benutzbar.
Offenbar stellt die Veröffentlichung des Collateral-Murder-Videos die Macher der Aufklärer-Plattform vor ebenso schwierige wie für sie neue Herausforderungen. Sich darüber zu beklagen ist freilich müßig, schließlich ergeben sich die aktuellen Pro
3;ig, schließlich ergeben sich die aktuellen Probleme aus der Neuausrichtung von Wikileaks, welche sie seit der Veröffentlichung des Videos betreiben.Solange sich Wikileaks darauf beschränkte, ausschließlich als Veröffentlichungsportal zu agieren, war die Seite eine reiche und vorzügliche Quelle von ansonsten unzugänglichen Informationen. Zwar waren die veröffentlichten Papiere Anlass für einige Medienberichte, aber den Durchbruch und vor allem ausreichende Spenden schafften die Kämpfer für die Informationsfreiheit so aber nicht herbei. Anders beim Collateral-Murder-Video. Seine Veröffentlichung begleiteten die Aktivisten mit einem viralen PR-Dauerfeuer, inklusive handfesten, wenn auch bis heute nicht untermauerten Bespitzelungsvorwürfen gegen die US-Regierung (Der Freitag berichtete zum Beispiel hier und hier). Mit sowohl publizistischem wie finanziellem Erfolg: Medien aus aller Welt nahmen die Geschichte auf, die Bekanntheit von Wikileaks und seinem Frontmann Julian Assange stieg, vor allem aber ergoss sich auf die Treuhänderkonten ein Geldstrom von hundertausenden von Euro für den Aktivisten-Zusammenschluss.Neue HerausforderungenDavon werden die Macher nun wohl auch einiges für die Verteidigung von Bradley M. ausgeben müssen, selbst wenn es schon einen eigenen Spendenaufruf, eine Unterstützerhomepage und eine Soli-Facebook-Gruppe gibt. Die größere Herausforderung ist freilich, wie sich Wikileaks nun verhält. Denn einerseits sind die Aktivisten in einer moralischen Pflicht, den Angeklagten zu unterstützen - der nachzukommen sie auch bereit sind. Andererseits kann jede Unterstützung als Bestätigung gewertet werden, dass Bradley M. wirklich der Informant war - für eine Whistleblower-Plattform, die den Quellenschutz als absoluten Wert betrachten muss, ein Angstfall.Bisher sagt Wikileaks-Kopf Julian Assange, dass Wikileaks einfach jeden unterstützen wird, der wegen eines auf der Webseite veröffentlichten Papiers angeklagt wird. Ob die Freiwilligen diese Form der Prozesskostenhilfe per Blanko-Scheck finanziell durchhalten können, muss sich erweisen. Es ist nur eines der Probleme, die paradoxerweise gerade der aus finanziellen Erwägungen getätigte Schritt von Wikileaks in den Kampagnen-Journalismus nach sich zieht. Ein anderes ist die Frage, wie die eingenommen Mittel denn in der verschwiegenen Gruppe nun genau verwendet werden - und wer die Verwendung kontrolliert.Kritik in dieser Richtung, wie sie auf dem Konkurrenz-Portal Cryptome aufgekommen sind, bezeichnet Wikileaks auf Twitter als "Schmierenkampagne" und bittet seine Unterstützer um Hilfe gegen die "opportunistischen Kritiker". Ebenso bei Fragen danach, warum trotz des eingenommenen Gelds die Wikileaks-Seite seit Februar monatelang nicht erreichbar war, und bis heute niemand weitere Dokumente verschlüsselt einreichen kann.Keine Zeit für Glaubwürdigkeit?Der deutsche Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt kann diese Diskussionen nicht verstehen. "Beim Einreich-Formular ist uns ein Problem mit dem SSL-Zertifikat aufgefallen, an dem wir gerade arbeiten. Deshalb geht es im Moment noch nicht. Und zumindest in Europa laufen unsere Finanzen über die gemeinnützige Wau-Holland-Stiftung, die deutschem Recht und der Kontrolle durch das Finanzamt unterworfen ist", sagte Schmitt auf Anfrage des Freitag. Jeder könne ja bei der Stiftung nachfragen, wie die Finanzen verwendet werden. Ein Angebot, das bisher wohl wirklich niemand angenommen hat.Schon im eigenen Interesse wäre es jedoch sicher richtig, wenn Schmitt, Assange und Co. sich auch selbst aktiv um mehr Transparenz in den angesprochenen Kritikpunkten bemühten. Für eine Organisation, die für die Veröffentlichung auch von heiklen Daten eintritt, ist es keine Nebensache, wie sie mit Informationen über sich selbst umgeht. Das größte Kapital, das Wikileaks immer noch besitzt, ist: Glaubwürdigkeit. Die Macher sollten es besser nicht verspielen, indem sie behaupten, sie hätten im Moment doch wichtigeres zu tun.