Ein Hinweis gibt das im Bundesinnenministerium erarbeitete „Konzept zur Bekämpfung linker Gewalttaten“. Das Papier schlägt den Einsatz „virtueller Agenten“ vor – Beamte könnten sich durch den Aufbau von
ähig sein. Fragt sich nur, für was?Ein Hinweis gibt das im Bundesinnenministerium erarbeitete „Konzept zur Bekämpfung linker Gewalttaten“. Das Papier schlägt den Einsatz „virtueller Agenten“ vor – Beamte könnten sich durch den Aufbau von Blogs in das Milieu einschleusen, bestimmte Personengruppen ansprechen, Diskussionen anregen und Kontakte knüpfen. In den USA gehören Soziale Netzwerke wie Facebook, Linked-In, Myspace und Twitter längst zum Standardrepertoire des FBI. Nun fordert auch der BDK-Vorsitzende Jansen „gesetzliche Befugnisse für offene und verdeckte Ermittlungen im Internet, speziell in Sozialen Netzwerken“. Sollte er Gehör finden, könnten deutsche Ermittler bald ähnlich im Netz agieren wie ihre US-Kollegen.Laut Unterlagen, die der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation vorliegen, beobachten die Fahnder die Online-Aktivitäten von Verdächtigen, analysieren deren Bekanntenkreis, schleusen sich dort ein und versuchen Verdächtigen oder ihren Bekannten Informationen zu entlocken. In einem Aufsatz der Fachzeitschrift Kriminalistik schreiben die Autoren Axel Henrichs und Jörg Wilhelm, Dozenten der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz, dass die Offenheit der Nutzer in Sozialen Netzwerken für Sicherheitsbehörden von großem Interesse sei: „Zur präventiven Aufgabenerfüllung sind die Plattformen wahre Fundgruben an Textinformationen, Bildern und Videos.“Der Polizist als ProvokateurDie Netzwerke wachsen rasant und damit auch die zur Verfügung stehenden Informationen: Facebook hat nach eigenen Angaben weltweit über 500 Millionen Nutzer, darunter knapp 10 000 Millionen deutsche Mitglieder. Die VZ-Gruppe soll auf StudiVZ, MeinVZ und SchülerVZ zusammen über 16 Millionen vereinen, 8 Millionen nutzen Wer-kennt-wen, bei Xing und den Lokalisten sind jeweils rund drei Millionen Nutzer registriert. Natürlich sind auch Kriminelle unter den Mitgliedern von Sozialen Netzwerken – das können Autoknacker sein, die ihr Diebesgut in Bildergalerien präsentieren, Stalker, Pädophile, die online den Kontakt zu Jugendlichen suchen, Dealer, rechtsextremistische Vereinigungen, aber auch Nutzer, die offline Straftaten begangen haben – und online vielleicht ein Detail zu viel über sich verraten.Der Vorteil der Ermittler: Die meisten Menschen haben den Überblick verloren, was sie posten und mit wem sie online befreundet sind. Der durchschnittliche Facebook-Nutzer hat 130 Freunde, ist mit 60 Seiten, Gruppen und Veranstaltungen verbunden und veröffentlicht im Monat 70 Links, Posts, Blog-Einträge oder Fotos. Aktuell sind bei Facebook viele Daten für jeden Nutzer einsehbar – auch für Staatsschützer. Informationen wie Benutzername, Profilbild, Wohnort, Geburtsort, Ausbildungsstätten, Arbeitsstelle, Interessen, Freundeslisten und Seiten, die der Benutzer mit dem „Like“-Button mit seinem Profil verbunden hat, sind öffentlich. Die mehr als 170 Kontrolloptionen sind für die Nutzer kompliziert zu handhaben.Manchmal spielt auch der Zufall den Behörden in die Hände: Im bekannt gewordenen Fall des Kameruners Maxi Sopo waren die Postings, in denen der flüchtige Bankbetrüger vom Partyleben in Cancún schwärmte, zwar nicht öffentlich – die US-Ermittler fanden aber in Sopos Freundesliste einen früheren US-Justizangestellten, der wusste, wo der Gesuchte war.Nach einem Überfall auf einen Goldtransporter bei Ludwigsburg soll der Rapper Xatar, einer der Verdächtigten, einen Gruß aus Moskau gepostet haben. Auch wenn das Facebook-Profil mit der angeblichen Meldung ein Fake gewesen sein soll: der Musiker wurde mittlerweile im Irak gefasst.Die Kriminalistik-Autoren Henrichs und Wilhelm schreiben, dass Daten aus Sozialen Netzwerken für die Polizei grundsätzlich von „hohem taktischen Nutzen“ seien – gerade wenn die Informationen mit Polizei-Datenbanken und verdeckten Ermittlungen kombiniert würden. Behörden können Hinweise auf Täter erhalten, Verdächtige und ihr Umfeld analysieren, Alibis prüfen, Aufenthalts- und Wohnorte ermitteln. Am erfolgreichsten, so Henrichs und Wilhelm, seien Recherchen in Sozialen Netzwerken aber, wenn „Virtuelle Verdeckte Ermittler“ zum Einsatz kämen.Darüber wie die Ermittlungen auf Facebook Co. heute schon ablaufen und ob auch deutsche Fahnder versuchen, sich in die Beziehungsnetze von Verdächtigen einzuschleusen, geben die Kriminalämter wenig bekannt. Allein der Sprecher des Landeskriminalamtes Berlin teilt mit, dass sein LKA nur anlassbezogen, nach konkreten Hinweisen oder Anzeigen ermittle – „natürlich auch in sozialen Netzwerken“. Die Fahndung beschränke sich aber auf die Suche nach Beweisen, auf die zuvor hingewiesen worden sei. In der Regel werde der zuständige Provider kontaktiert: „Es wird nicht das ganze Netzwerk durchwühlt.“Sicher ist: Spezialabteilungen des Bundeskriminalamtes und einiger Landeskriminalämter sind auch ohne Verdacht aktiv. Seit 1999 ist zum Beispiel die „Zentralstelle für anlassunabhängige Recherchen in Datennetzen“ (ZaRD) beim Bundeskriminalamt angesiedelt. Laut Eigenauskunft spüren die Computer-Experten im World Wide Web und in Online-Diensten nach Fällen von Volksverhetzung, Betrug, Gewaltaufrufen, Kinderpornographie und sichern Beweise. Auch die Landeskriminalämter Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen haben spezielle Diensteinheiten, die im Netz patrouillieren.Bei Fragen zu ihrer Arbeit halten sich die Cybercops bedeckt. „Die Polizei nutzt die Möglichkeiten der Informationsgewinnung im Internet im Rahmen ihrer tatsächlichen und rechtlichen Befugnisse“, sagt etwa Günter Maeser, Leiter der Abteilung Netzwerkfahndung des bayerischen Landeskriminalamtes. Was das konkret heiße, könne er aus „kriminaltaktischen Erwägungen“ jedoch nicht verbreiten. Die Bayern sind bereits seit 1995 auf virtueller Streife, sie sollen auch Foren und Netzwerke durchsuchen. Grundsätzlich gehört dabei auch die verdeckte Ermittlung zu den angewandten Verfahren. Laut unbestätigten Medienberichten waren LKA-Mitarbeiter auf der Suche nach kinderpornographischen Straftaten beispielsweise in der virtuellen Welt Secondlife unterwegs – in der Rolle eines Pädophilen und eines Kindes.Laut Maeser haben die elf bayerischen Netzwerkfahnder 2009 insgesamt 2156 Fälle quer durch alle Deliktsbereiche bearbeitet, wobei fast 1400 durch Hinweise aus der Bevölkerung ausgelöst wurden. In den Jahren zuvor seien es noch zwischen 4000 und 8000 Fälle jährlich gewesen. Der Grund: Das Bundesverfassungsgericht hatte die Nutzung von Verbindungsdaten zunächst auf „erhebliche Straftaten“ wie etwa Mord beschränkt. Im März 2010 dann stoppte es die deutsche Praxis der Vorratsdatenspeicherung erst einmal komplett.In Nordrhein-Westfalen durchsuchen zehn Beamte der Diensteinheit „Zentrale Internetrecherche“ (ZIR) seit 2007 das Netz. 1143 Strafverfahren hat die ZIR im letzten Jahr initiiert, die Schwerpunkte waren Kinderpornographie mit 450 Verfahren, Arzneimittelkriminalität mit 387 Fällen und 229 „politisch motivierte Sachverhalte“.Für 2009 kann Nordrhein-Westfalen mit 77,3 Prozent noch eine hohe Aufklärungsquote vorweisen. Doch das Internet sei das „Tatmittel der Zukunft, ein Riesenraum“, sagt der Sprecher des hiesigen LKA. „Wir können es nicht durchforsten – auch wenn wir virtuell Streife fahren, können wir nicht alles sehen“.Dossiers verbotenAuf Anfrage des Freitag gaben Sprecher der VZ-Netzwerke, von Facebook, MySpace sowie den Lokalisten an, auf Grundlage von richterlichen Beschlüssen oder offiziellen Auskunftsbitten mit Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Welche Daten dabei herausgegeben werden, hänge vom Einzelfall ab. Facebook gab zu Art und Umfang von Ermittlungen keine Informationen. Die Sprecher der VZ-Netzwerke, von Myspace und Lokalisten dementierten, dass die Unternehmen Rechercheprofile für Behörden einrichten würden. Dass auf Studi-VZ auch Ermittler unterwegs sein können, schloss ein VZ-Sprecher jedoch nicht aus: „Wir sind ein offenes Netzwerk, wo sich jeder anmelden kann, so dass es für uns nicht ersichtlich ist, ob Polizisten mit einem privaten Account auf der Suche sind.“Laut Thomas Stadler, Fachanwalt für IT- und Onlinerecht, sei es mittlerweile Konsens, dass die Polizei im frei zugänglichen Teil des Netzes recherchieren darf. „Virtuelle Streife ist wie die Streife auf der Straße – sie kann gucken, ob sie irgendetwas sieht, was strafrechtlich relevant ist und das dann weiter verfolgen“, bestätigt das Bundesjustizministerium. Die Ermittler dürften öffentliche Daten einsehen, aber nicht speichern oder personenbezogene Dossiers anlegen.Für eine verdeckte Ermittlung – also wenn sich ein Beamter ein Profil bei Facebook anlegt oder sich bei einem registrierungspflichtigen Chat unter einer falschen Identität anmeldet, um dort zu ermitteln – müssen laut Thomas Stadler bestimmte Voraussetzungen vorliegen: Es müsse sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung, also aus dem Bereich der organisierten Kriminalität handeln und es sollten Anhaltspunkte für eine solche Straftat vorliegen. Undercover-Recherchen sind laut Stadler dagegen nur mit Zustimmung eines Staatsanwalts zulässig. Sollten sie sich gegen eine bestimmte Person richten, braucht es die Anordnung eines Richters. „Ich bezweifle aber, dass tatsächlich häufig ordnungsgemäß eine verdeckte Ermittlung angeordnet wird“, sagt Stadler. „Zugleich muss man davon ausgehen, dass in Sozialen Netzen systematisch ermittelt wird.“ Die Europäische Agentur für Internetsicherheit jedenfalls empfiehlt Nutzern von Sozialen Netzwerken grundsätzlich nur noch unter Pseudonym aufzutreten. Schließlich könnten Kriminelle sonst allerhand Daten ausspähen. Oder eben der Staat.