Das Regime Mubarak hat bei den Wahlen am 28. November das letzte demokratische Deckmäntelchen fallen lassen, um künftig gänzlich ohne Opposition regieren zu können
Mit der inszenierten Parlamentswahl, von der die Opposition förmlich ausgelöscht wurde, hat Ägyptens autoritäre Regierung der internationalen Gemeinschaft auf dramatische Weise ihre Entschlossenheit vor Augen geführt, jeder Herausforderung entgegenzutreten. Bei gewaltsamen Zusammenstößen kam es zu acht Toten. Ersten Prognosen zufolge kommt die regierende Nationaldemokratische Partei auf 96 Prozent der Stimmen, während die Mitglieder der Muslim-Bruderschaft, die bislang als Unabhängige mit 88 Sitzen im Parlament vertreten waren, gänzlich leer ausgehen könnten. Ein Ergebnis, das in- und ausländische Beobachter „atemberaubend“ nennen, was Dreistigkeit und Ausmaß des Betrugs betrifft. Ein derart klarer Wahlbetrug d
ang als Unabhängige mit 88 Sitzen im Parlament vertreten waren, gänzlich leer ausgehen könnten. Ein Ergebnis, das in- und ausländische Beobachter „atemberaubend“ nennen, was Dreistigkeit und Ausmaß des Betrugs betrifft. Ein derart klarer Wahlbetrug dürfte in den Hauptstädten des Westens für Bestürzung sorgen, hatte man Mubarak doch mit Nachdruck gedrängt, eine Demokratisierung einzuläuten. Das jetzige Vorgehen düpiert besonders die Obama-Administration, von der Ägyptens Regierung erst in der vergangenen Woche dazu aufgefordert wurde, einen glaubwürdigen Verlauf des Votums sicherzustellen.Kein designierter Nachfolger„Wir sind bestürzt und tief besorgt wegen der Übergriffe und Einschüchterungen durch die Sicherheitskräfte“, heißt es aus dem State Departement, das Ägypten mehr finanzielle Hilfen zur Verfügung stellt als jedem anderen Land des Nahen Ostens (von Israel abgesehen). „Wir wussten, dass es schlimm werden könnte, aber ich glaube, niemand hätte gedacht, dass es so schlimm wird“, sagt Shadi Hamid, Ägypten-Experte am amerikanischen Brookings Institution. „Ägypten ist zu einem der autokratischsten Länder der Welt geworden. Wir sprechen nun von einer ausgewachsenen, ungenierten Diktatur.“Die Parlamentswahl wurde weithin als Vorlauf für die Präsidentschaftswahlen 2011 gesehen, bei denen der 82-jährige und mutmaßlich kranke Hosni Mubarak wohl nicht noch einmal antreten kann. Er regiert das bevölkerungsreichste arabische Land sei drei Jahrzehnten und war – trotz Berichten über systematische Menschenrechtsverletzungen, trotz eines extrem aufgeblasenen Sicherheitsapparates und verschleppter Reformen – stets ein enger Verbündeter des Westens. Dennoch scheint die politische Elite des Landes äußerst nervös zu sein: Mubarak hat noch keinen designierten Nachfolger, und die Wut in der Bevölkerung wächst angesichts sich verschlechternder Lebensbedingungen und der alle Lebensbereiche durchdringenden Repressionen. Shadi Hamid: „Das Wahlergebnis lässt erkennen, dass die Regierung sich vor dem bevorstehenden Übergang fürchtet und keine Lust hat, während einer der schwierigsten Phasen in der jüngeren ägyptischen Geschichte ihr politisches Überleben aufs Spiel zu setzen. Bisher war die Repression in Ägypten nie mit der in Syrien, Tunesien oder dem Irak vergleichbar – man war immer darauf bedacht, einige oberflächliche demokratische Versatzstücke zu bewahren. Jetzt aber macht die Regierung unmissverständlich klar, dass sie keine Opposition mehr duldet.“Unbehagen der Streitkräfte Bei den Wahlen am 28. November gab es weitreichende Verstöße gegen geltendes Wahlrecht: mehrfache Stimmabgabe, Stimmenkauf oder Ausschluss von Vertretern der Opposition, der Zivilgesellschaft und von Journalisten aus den Wahlbüros. In einigen Städten hielten Einheiten der Bereitschaftspolizei die Menschen davon ab, die Wahlkabinen zu betreten. Acht Menschen starben bei Zusammenstößen, Dutzende wurden verletzt. Politiker der Regierungspartei wiesen alle Vorwürfe zurück. „Die NDP hat ihr Bestes getan, um sicherzustellen, dass die Wahlen sauber und frei von Unregelmäßigkeiten sind“, so Generalsekretär Safat el-Sherif.„Es ist wirklich ein Zeichen, dass die herrschende Clique kein Interesse daran hat, die internationale Gemeinschaft zu besänftigen, und darauf spekuliert, dass der Westen nicht so reagiert, wie man es bei einem so offensichtlichen Wahlbetrug erwarten würde“, so Hamid.Die Aufmerksamkeit wird sich nun auf Rangeleien um die Nachfolge Mubaraks richten, bei denen dessen Sohn Gamal ganz vorn liegt. Der ehemalige Banker und Architekt vieler der polarisierenden, neoliberalen Wirtschaftsreformen des Landes, wird schon seit langem auf die Machtübernahme vorbereitet. Seit kurzem schlägt ihm jedoch Widerstand aus den Reihen der mächtigen Streitkräfte entgegen, wo man besorgt darüber ist, dass ein Zivilist die Geschicke des Landes bestimmen könnte, und bei dessen Auswahl ein entscheidendes Wörtchen mitreden will. Wie die Wahlen gezeigt haben, dürfte es hierzu wenig Gelegenheit geben. „Dieses Abstimmung war gefälscht und ungültig“, sagte Essam el-Arian für die Muslim-Bruderschaft. „Sie zerstört jede Hoffnung auf friedliche Veränderungen.“Übersetzung: Holger Hutt