Wenn die Sozialdemokraten wie angekündigt Ende Januar im Bundestag wieder einmal eine Verlängerung des Bundeswehr-Mandats abnicken, kann das Verursacher-Prinzip geltend gemacht und auf reuige Verantwortung erkannt werden. Es war schließlich eine rot-grüne Bundesregierung, die im Dezember 2001 das Parlament über einen ersten Auftrag zur Verschickung deutscher Soldaten nach Zentralasien abstimmen ließ. Warum sollen die Täter den Folgen ihrer Tat entkommen, solange es welche gibt (und das kann dauern). Anderen hängen alte und jüngste Geschichten auch wie ein Klotz am Bein.
Allerdings wäre zu fragen, ist in den vergangenen zwölf Monaten wirklich nichts geschehen, was Gabriel und Steinmeier an ihrem Burgfrieden mit Merkel und Westerwelle zweifeln lässt? Wäre keine Ausnahme von der Regel gerechtfertigt? Immerhin scheint es über alle Lager- und Partei-Grenzen hinweg den Konsens zu geben, dass Afghanistan nicht von Missionare befriedet, sondern von Krieger verunstaltet wird. Auch weiß man dank Minister zu Guttenberg, die Operationen der Bundeswehr werden immer offensiver und sind damit riskanter, weil ihr die Strategie von Oberbefehlshaber Petraeus und die Dislozierung von 5.000 US-Soldaten nach Nordafghanistan keine andere Wahl lassen. Mit anderen Worten, 2011 muss mit Kampfhandlungen gerechnet werden, die alles in den Schatten stellen, was es in neun Jahren NATO-Präsenz am Hindukusch gab. Furchtbar, aber möglich, dass 2010 als bisher verlustreichstes Jahr der NATO mit über 700 Gefallenen noch übertroffen wird.
Davon unbeeindruckt suggerieren führende Sozialdemokraten, es stehe 2011 für die Bundeswehr vorrangig der Einstieg in den Abzug an. Als sei mit einem Rückzugstermin auch dem Krieg eine Deadline zugestellt, an die er sich halten werde. Also beginnt für die deutschen Soldaten das große Einpacken, Abbauen und Aufräumen. Dem neuen Mandat kann man folglich getrost zustimmen, gilt es doch einer Übergangszeit, die nun einmal gebraucht wird, damit sich regierungstreue Afghanen und abzugsbeflissene Deutsche auf anstehende Übergabezeremonien ohne Zeitdruck vorbereiten können – den Austausch von Erinnerungsgeschenken und das Einholen von Truppenfahnen etwa. Krieg wird zur Nebensache. Nicht zu ignorieren, aber doch zusehends eine Randerscheinung und auf dem Rückzug, wenn es ans Abziehen geht.
Komischerweise hat Angela Merkel im Dezember bei ihrem Truppen- und Front-Besuch in Kunduz formuliert: Bei dem, was sie gesehen und gehört habe, fühle sie sich an das erinnert, „was man von den Eltern aus dem Zweiten Weltkrieg erfahren hat“. Was ist gemeint? Menschliches Leid, Zerstörung, Not? All das, was die Kriegsfurie anrichten kann, wenn man sie lässt? Bombengriffe und deren Folgen, Straßenkämpfe, sittliche und moralische Verwahrlosung – was sonst? Man sollte meinen, bei allen Parteien des Bundestages wird davon das Votum für oder gegen ein neues Afghanistan-Mandat zumindest beeinflusst, wenn nicht geprägt.
„Für die Zustimmung der SPD muss der Beginn des Rückzugs im Mandat enthalten sein“, hatte deren Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier Ende Dezember mitgeteilt. Schwarz-Gelb tat ihm den Gefallen mit der Abzugsperspektive und versah den neuen Mandatstext lediglich mit dem Zusatz, „soweit die Lage dies erlaubt“. So ganz übergehen, lässt sich der zur Beiläufigkeit herunter geredete Krieg wohl nicht. Er wird sogar über die Aussetzung des Einstieg in den Ausstiegs entscheiden dürfen. Doch wird sich die SPD-Bundestagsfraktion davon am 28. Januar nicht beirren lassen und wissen, was zu tun ist.