Jan Korte gehört zu den jüngeren Abgeordneten der Linken. Die Themen, die der Innenpolitiker mit Hingabe verfolgt, sind allerdings schon etwas älter. Der Politikwissenschaftler ist so etwas wie der Historiker seiner Fraktion: Schwerpunkt Geschichte der NS-Zeit und der frühen Bundesrepublik. Korte hat über den Antikommunismus und die deutsche Erinnerungspolitik publiziert, er hat die Rehabilitierung der „Kriegsverräter“ im Bundestag durchgesetzt. Im Moment beschäftigt sich Korte mit der braun durchwirkten Vorgeschichte der Geheimdienste.
Anfang dieser Woche hat der Spiegel die BND-Kooperation mit dem Nazi-Verbrecher Klaus Barbie enthüllt. Der erhielt als „politische Quelle“ im Jahr 1966 Honorare für mindesten 35 Berichte. A
sten 35 Berichte. Als dem Geheimdienst der Bund mit dem „Schlächter von Lyon“ zu heikel wurde, brach er die Verbindung ab, um „spätere Komplikationen zu vermeiden“.Barbies BND-Connection ist symptomatisch für die NS-Kontinuitäten in der frühen Bundesrepublik, die späte Entdeckung verrät den erbärmlichen Stand der historischen Aufarbeitung. „Je länger die Bundesregierung die Öffnung der Geheimdienstakten aus den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik blockiert“, meint Korte, „umso mehr nährt sie den Verdacht, dass noch viele braune Leichen im Keller des BND versteckt werden sollen.“Wenn einige von diesen Leichen nun an die Oberfläche gelangt sind, dann weil Journalisten und unabhängige Historiker darum gekämpft haben. Gerade erst wurde bekannt, dass der BND schon Jahre vor der Verhaftung Adolf Eichmanns wusste, wo sich der Bürokrat des Holocaust aufhielt. Um geheime Unterlagen zu dem Fall musste vor Gericht gestritten werden. Auf die Akte des Agenten Barbie war der Historiker Peter Hammerschmidt gestoßen. Einsicht erhielt der Mainzer Forscher vom BND erst nach einer Beschwerde beim Kanzleramt.Abgebrochene VorgeschichteVor welchen Mauern selbst jene Forschung steht, die den Segen der Behörden hat, zeigt die Vorgeschichte einer Kommission, die nun Licht in die frühen Jahre des BND bringen soll. Im April 2006 hatte dessen Präsident Ernst Uhrlau in Aussicht gestellt, die Aufarbeitung der Amtsgeschichte voranzubringen. Dass es fünfzig Jahre dauern musste, bis an der Spitze des Pullacher Dienstes dazu Anstrengungen unternommen wurden, spricht für sich. Und zunächst blieb es ja auch beim Wollen: Mit Gregor Schöllgen war zwar ein Experte auserkoren, der als Herausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes große Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen mitbrachte. Doch das Projekt scheiterte an Meinungsverschiedenheiten über den Geheimhaltungsstatus von Akten aus den sechziger und siebziger Jahren.Der heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat dabei als Kanzleramtschef eine Rolle gespielt. Nun will sich Uhrlau für einen neuen Anlauf der Unterstützung von dessen Amtsnachfolger Ronald Pofalla versichert haben. Eine Kommission unter Leitung von vier Historikern – Jost Dülffer (Köln), Klaus-Dietmar Henke (Dresden), Wolfgang Krieger (Marburg), Rolf-Dieter Müller (Potsdam) – soll für den BND „die Entstehungs- und Frühgeschichte sowie sein Personal- und Wirkungsprofil von 1945 bis 1968“ untersuchen. Der Vertrag sei unterschriftsreif, heißt es, der Spiegel frohlockte bereits über den „Start für das wohl ungewöhnlichste und spannendste Geschichtsprojekt der vergangenen Jahre“. Beim Geheimdienst arbeitet eine Arbeitsgruppe an dem Thema. Ob diese den Historikern „zur Seite“ steht, oder doch „vielleicht auch gegenüber“, wie die Frankfurter Allgemeine fragt, wird sich in vier Jahren Projektdauer zeigen.Grenzen der OffenheitDas organisationslogische Moment spricht für die zweite Variante. BND-Chef Uhrlau hat zwar zugesagt, die Historiker könnten ihre Arbeit „unabhängig von inhaltlichen sowie politischen Vorgaben“ vorantreiben. Auch werde die Kommission „alles sehen, ohne Einschränkung“. Und Klaus-Dietmar Henke, der Anfang der neunziger Jahre die Abteilung Bildung und Forschung der damaligen Gauck-Behörde leitete, will „bis zum Beweis des Gegenteils“ auch daran glauben. Tatsächlich ist es aber eher unwahrscheinlich, dass alle Akten auf den Tisch der Historiker kommen: wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und behördliches Geheimschutzbedürfnis stehen in unauflösbarem Widerspruch zueinander. Die Experten sollen „grundsätzlich umfassenden Zugang zu dem vorhandenen Archivbestand“ bekommen, teilte die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen mit. Seine „Grenzen“ finde der Zugang jedoch dort, „wo Bestimmungen des Archivgesetzes, des Persönlichkeitsrechts oder des Geheimschutzes diesen beschränken“.Am Beispiel der DDR-Staatssicherheit wird erkennbar, wie weit dieser einschränkende Rahmen reicht: Selbst nach dem Zusammenbruch eines Staates wird volle Transparenz bei Geheimdienstakten nicht erreicht. Doch soweit muss man gar nicht gehen. Wenn die Entscheidung über die Offenlegung von Unterlagen wie im Fall des BND ausgerechnet der Behörde obliegt, über die geforscht werden soll, wird man kaum von wissenschaftlicher Freiheit sprechen können. Die Liste denkbarer Argumente gegen den Zugang zu Akten ist lang: Die könnten von anderen Nachrichtendiensten stammen, die eine Veröffentlichung ablehnen. Oder es könnte der Schutz von Informanten gefährdet sein. „Solche Akten durch Sperrerklärungen zu schützen ist sinnvoll“, findet der CDU-Politiker Clemens Binninger, und er sehe „keinen vernünftigen Grund, an dieser Praxis etwas zu ändern“. Nicht alles, meint auch der Sozialdemokrat Michael Hartmann, „kann einfach an die Öffentlichkeit gezerrt werden“.Was gemeint ist, wenn der Grüne Wolfgang Wieland vom „falsch verstandenen Schutz der Geheimdienste“ spricht, der bei Regierung und Behörden schon System habe, lässt sich auch am Beispiel des Verfassungsschutzes zeigen. Das Bundesamt hat ebenfalls eine Nazi-Vergangenheit. Seit 2007 hat der Kölner Geheimdienst intern Voraussetzungen für die Aufarbeitung geschaffen. Im vergangenen November wurde schließlich ein Forschungsprojekt ausgeschrieben, mit dem die Organisationsgeschichte der Jahre 1950 bis 1975 „unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase“ erforscht werden soll.Plumpe GeschichtspolitikDoch schon im Vorfeld beklagen Historiker wie Christoph Luther und Daniel Siemens erhebliche Restriktionen. Mit der Ausschreibung für das dreijährige Forschungsprojekt versuche sich der Verfassungsschutz Einfluss auf das Ergebnis zu sichern, der über Sicherheitsinteressen „weit hinaus“ gehe. Das Ganze vermittele „den Eindruck einer Geschichtspolitik“, kritisierten die Wissenschaftler aus Potsdam und Bielefeld, „die plumper ist, als die Verfassung es erlaubt.“ Man dürfe gespannt sein, „welche renommierten Wissenschaftler sich unter diesen Umständen“ bewürben. Gerade musste die Antragsfrist bis Anfang Februar verlängert werden.Für seine Behörde sieht BND-Chef Uhrlau trotzdem „eine Art Kulturwandel“. Die „Bereitschaft, sich mit Kritik auseinanderzusetzen“, sei inzwischen größer, „als das eine Generation früher der Fall gewesen ist“. Linkenpolitiker Korte glaubt indes nicht, dass es bloß eine Frage der Zeit ist, ob Aufarbeitung bei Geheimdiensten möglich wird oder nicht. „Geschichtspolitischen Fortschritt“, sagt der Abgeordnete, gebe es „nur durch gesellschaftlichen Druck“.Wo die Linien in der politischen Öffentlichkeit verlaufen, hat die Debatte um einen Antrag der Linksfraktion gezeigt. Die forderte im Mai 2010, „alle Einschränkungen des freien Zugangs zu den Akten des BND“ aufzuheben, in dieser Woche stand die Initiative auf der Tagesordnung des Innenausschusses des Bundestags. Unterstützung erhielt die Partei lediglich von den Grünen. Der FDP gingen die Vorstellungen der Linken „doch zu weit“, die SPD kritisierte „billige ideologische Feindbilder“ und Unions-Mann Binninger präsentierte „beeindruckende Zahlen“: Der BND habe „bisher rund 2.000 Akten, 300 Mikrofilme, 74.000 Fotos und 129.000 Negative“ an das Koblenzer Bundesarchiv übergeben, was beweise, „dass der Bundesnachrichtendienst sich keineswegs der Aufarbeitung seiner Geschichte widersetzt, sondern sich aktiv darum bemüht“.Nach eigener Darstellung verfügt der BND in Wahrheit über ein „bislang in weiten Teilen noch gänzlich unerschlossenes beziehungsweise nur grob geordnetes Archiv“. Erst 5.000 Akteneinheiten sind erschlossen – bei 15.000 steht diese für die Forschung grundlegende Voraussetzung weiterhin aus.