Die USA stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer Nahost-Politik. Für Präsident Barack Obama ist dies die bisher größte außenpolitische Herausforderung seiner Amtszeit
Wenn eine der wichtigsten Einflusssphären der USA dermaßen aus den Fugen gerät, hängt das politische Schicksal eines amerikanischen Präsidenten zwangsläufig davon ab, ob es ihm gelingt, die eigenen Interessen in dieser Region zu wahren – oder neu zu definieren. Barack Obama und Hillary Clinton werden sich dabei an George Bush senior und James Baker messen lassen müssen, die es 1989/90 verstanden, aus den Umwälzungen in Osteuropa geopolitisches Kapital zu schlagen. Die Dramatik der Eruptionen von Tunis über Kairo bis Amman mag nicht vergleichbar sein mit denen in Warschau, Prag, Berlin und Moskau vor 20 Jahren. Sicher ist jedoch, dass es Obama heute ungleich schwerer hat.
Denn nach den geplatzten Omnipotenz-Phantasien einer Neuen Weltordnung
eltordnung und beladen mit den Kollateralschäden eines verfehlten Krieges gegen den Terror stehen die USA deutlich schwächer da. Ihrer Außenpolitik mangelt es an Strategie, Mut und diplomatischem Know-how. Das wird in keiner Region der Welt so deutlich wie im Nahen Osten. Beim Sturz von Ben Ali und auch jetzt beim Aufstand gegen Hosni Mubarak verharrt Amerika in der Rolle des staunenden, des mahnenden Zaungastes. Wenn es – neben der Verteidigung Israels – eine Kontinuität in der Regionalpolitik des Weißen Hauses gibt, dann besteht sie in einer jahrzehntelangen Vorliebe für arabische Autokraten, solange die auf Ölquellen sitzen oder sich als Bollwerk gegen – früher: Kommunismus und heute: Islamismus – gerieren. Dieser Widerspruch zwischen realer Politik und politischer Rhetorik von Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und Wohlstand rächt sich jetzt. Vorrangig unter der Jugend wächst der Frust – auch auf Amerika und den Westen. Dabei wäre die Generation Facebook wie keine vor ihr prädestiniert, in einer globalisierten Welt den „Clash of Civilizations“ abzusagen.Dazu müsste sie freilich eine Chance auf soziale und politische Teilhabe in ihren Ländern wenigstens erahnen können. Stattdessen werden sogar gut Ausgebildete aufs Abstellgleis gesetzt und von einem System gegängelt, dessen Machtelite sich als strategische Partner des Westens umfangreicher Wirtschafts- und Militärhilfe erfreut. Ägypten unter Mubarak war dafür ein klassisches Beispiel. Von den 1,5 Milliarden Dollar, die Washington jedes Jahr überwiesen hat, kam bei der Mittel- und Unterschicht nichts an. Dafür umso mehr bei der amerikanischen Rüstungsindustrie, Ägyptens Sicherheitsapparat sowie hohen Regierungsbeamten, die beim Transfer die Hand aufhielten.Wenn Obama zuletzt bedrängt war, die Milliardenhilfe in Frage zu stellen, konnte das als Zeichen dafür genommen werden, dass sich in Washington der Daumen über Mubarak zu senken begann. „Kontrollierter Wandel“, heißt die Losung der Stunde. Sie beschreibt den hilflosen Spagat zwischen dem Aufruhr der Straße und der Angst, Geschichte könnte sich wiederholen. Denn während der Islamischen Revolution im Iran 1979 hatte Washington zu lange am Schah festgehalten. Als Jimmy Carter einen vorsichtigen Kurswechsel einleitete, war es zu spät. Amerika verlor einen wichtigen Verbündeten und ein Präsident seine Wiederwahl. Barack Obama hat zumindest verbal viel getan, um sich dies zu ersparen. Wie keinem anderen US-Präsidenten ist es ihm mit seiner Kairoer Rede im Juni 2009 gelungen, die Herzen vieler Muslime zu erreichen. Er sprach von Demokratie, Würde und Respekt; seine ausgestreckte Hand galt ausdrücklich der Bevölkerung – und nicht nur den Regierungen. Diese Geste hat ihm einen Friedensnobelpreis und zu Hause viel Häme und Hass einer reaktionären Rechten eingetragen. Steht er angesichts des Aufstands von Kairo nun als Maulheld dar?Schon während der Demonstrationen gegen die Wiederwahl Ahmadinedjads seinerzeit in Teheran war Obama zum große diplomatische Zurückhaltung vorgeworfen worden. Was damals als Akt politischer Klugheit durchgehen durfte, erweist sich im Fall Mubaraks als schwerer Fehler. Obama scheute aus Rücksicht auf einen alten Verbündeten klare Worte, agierte zu zögerlich und verlor so Einfluss und persönliches Standing. Als er vor zwei Jahren ins Amt kam, hat er bemerkenswerte Bausteine einer neuen Nahostpolitik erkennen lassen, die wegführen sollte von der Ölabhängigkeit, von militärischen Abenteuern und dem Beistand für despotische Regimes. Obama wollte mehr regionale Sicherheit durch mehr Demokratie und fairen Interessenausgleich. Eine wirkliche Strategie ist daraus nicht geworden. Im Gegenteil, Amerika laviert und setzt im Sog der Krise mit den Armeen in Tunesien und Ägypten auf bewährte Ordnungsmächte, um ein Machtvakuum zu verhindern, in das islamistische Kräfte stoßen könnten.Möglich, dass die Rechnung diesmal noch aufgeht. Über kurz oder lang wird sich Washington jedoch auf arabische Regierungen einstellen müssen, die für sich und ihre Palästina-Politik ein eindeutiges Mandat ihrer Bevölkerung brauchen. Es stehen drei Jahrzehnte Nahost-Politik auf der Kippe, die einst mit dem Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel begann. Wie viel davon übrig bleibt, wird sich in Kairo entscheiden.