Mit der Zahl der Daddelkisten wächst auch die Sucht danach. Der Schutz ist löchrig und die Spielautomatenwirtschaft unterhält exzellente Verbindungen zur Politik
Nicht einmal zwei Kilometer liegen zwischen dem Hermannplatz und dem Hotel Estrel im Berliner Bezirk Neukölln. Es ist eine triste Straße, trotzdem blinkt es alle paar Meter. Die Spielhallen haben die Meile übernommen. Allein 14 will eine Zeitung gezählt haben: macht alle 120 Meter eine.
Seit 2005 ist die Zahl der Spielautomaten in Deutschland um etwa ein Viertel gestiegen. Rund 3,4 Milliarden Euro holten die Betreiber allein im vergangenen Jahr aus den blinkenden Kästen. Nur beim Lotto verzockten die Deutschen noch mehr. Doch verglichen mit „Sechs aus 49“ sind Spielautomaten viel gefährlicher. Sie verfügen über ein wesentlich höheres Suchtpotential als die meisten anderen Glücksspiele.
Beispiel Schleswig-Holstein: Rund 50 Menschen
Rund 50 Menschen sind dort süchtig nach Lotto, 7.000 hingegen nach den Daddelgeräten. Rund 80 Prozent aller Spielsüchtigen in Behandlung hängen am Automaten. In Deutschland gibt es laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 242.000 Spielsüchtige sowie 347.000 Spielsucht-Gefährdete.Zwar werden die Spielhallen durch die Spielverordnung des Bundes reguliert. Doch eine Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums kam im vergangenen Dezember zu erschreckenden Ergebnissen. Die Untersuchung des Münchner Instituts für Therapieforschung (IFT) zeigt, dass sich die Spielhallenbetreiber zwar an die Auflagen halten, welche die Aufstellung der Automaten betreffen. Andere Beschränkungen aber können sie ebenso so legal wie leicht umgehen.Negative AuswirkungenSo hatte der Bund eigentlich festgelegt, dass Spieler am Automaten nicht mehr als 80 Euro pro Stunde verlieren beziehungsweise 500 Euro gewinnen können. Die Spielhallenbetreiber wandten einen einfachen Trick an: Statt um Geld wird an manchen Automaten um Punkte gespielt, die sich später in Geld umtauschen lassen. Und für Punkte gilt keine Beschränkung. Die IFT-Studie sieht dadurch „zumindest den Geist der SpielV (...) verletzt“. Das Wirtschaftsministerium schreibt hierzu in einem eigenen Bericht, die Punktespiele könnten „negative Auswirkungen auf den Spielerschutz“ haben.Welche, das hat Gerhard Meyer von der Universität Bremen festgestellt. Für eine Studie schickte seine Forschungsgruppe einen Testspieler los. In fünfeinhalb Stunden verzocke dieser 1.450 Euro. „Da stehen richtige Vermögenswerte als Spielanreize im System“, so Meyer. Dem müsse man beikommen – sonst sei an einen effektiven Spielerschutz nicht zu denken.Spielerschutz ist nun gerade nicht der Zweck einer Spielhalle. Zwar sind in die Automaten mittlerweile Vorrichtungen eingebaut, die nach einer Stunde ununterbrochenen Spielens für eine Zwangspause von fünf Minuten sorgen. Doch niemand hält den Spieler davon ab, sich einfach an die nächste Daddelkiste zu setzen. Während sich Spieler, die ihr Problem erkennen, in den landeseigenen Spielbanken sperren lassen können, gibt es in den privaten Spielhallen keine solche Schutzmöglichkeit. Die Spieler werden mit ihrer Sucht allein gelassen.Dass es so nicht mehr weitergehen kann, hat mittlerweile auch mancher in der Politik verstanden. Demnächst stehen die Verhandlungen über den neuen Glücksspielstaatsvertrag an, doch inwieweit sich die Bundesländer auch mit den Spielhallen befassen werden, ist noch nicht sicher.Bisher unterstanden die Automaten allein der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Doch die Föderalismusreform schob den Ländern das Recht zu, Spielhallengesetze zu erlassen. Bislang hat noch kein Land von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht – lediglich Berlin hat eine Regelung angekündigt. Der rot-rote Senat beschloss vor wenigen Wochen, dass künftig Mindestabstände zwischen zwei Spielhallen eingehalten werden müssen und weniger Automaten aufgestellt werden dürften. Zugleich kündigte Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) eine entsprechende Bundesratsinitiative an.Auch auf der Bundesebene gibt es erste Vorstöße. So forderte die Drogenbeauftragte er Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), das Aufstellen von Spielautomaten in Gaststätten generell zu verbieten. Zwei Parteifreunde mit Ministerium distanzierten sich prompt: Gesundheitsressortchef Philipp Rösler, in dessen Ministerium die Drogenbeauftragte angesiedelt ist, wollte von Dyckmans Idee nichts wissen, und der zuständige Fachkollege Rainer Brüderle kann sich höchstens vorstellen, die Zahl der Automaten pro Gaststätte zu verringern.Doch im Hause Brüderle haben andere schon weiter gedacht. So liegt dem Freitag die aktuelle „Evaluierung der Novelle der Spielverordnung“ des Wirtschaftsministeriums vor. Darin wird vorgeschlagen, durch eine personalisierte Spielerkarte „illegale Spielpraktiken“ wie das Mehrfachbespielen von Automaten zu beschränken. Auch für eine Höchstgrenze für Tagesgewinne und -verluste sind die Ministerialen offen.Spielerkarten mit FingerabdruckFür Gerhard Meyer gehen diese Vorschläge nicht weit genug. In Australien gebe es bereits die Spielerkarten – mit dem Ergebnis, dass viele Spielsüchtige sich von Familienangehörigen mehrere Karten besorgten. Jetzt soll Spielen dort nur noch nach einer Identifikation via Fingerabdruck möglich sein. Das, so Meyer, sei ein möglicher Weg: „Spielerkarten funktionieren nur, wenn sicher ist, dass jeder Spieler nur eine Karte hat.“Dass aus dem Ministerium ein wirklich effektiver Spielerschutz kommen würde, wäre allerdings auch eine Überraschung. Die Spielautomatenwirtschaft verfügt über exzellente Verbindungen in die Politik. Sie zählt zu den einflussreichsten politischen Partnern der FDP. Aber auch in die anderen Parteien stimmen die Drähte. Erst vor wenigen Wochen hielt der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) eine Rede vor der Automatenindustrie, in der er das staatliche Glücksspielmonopol unter Beschuss nahm. Zum 70. Geburtstag des Gründers der Spielhallenkette Merkur kam vor einigen Jahren noch der damalige Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, Rainer Wend (SPD). Und auch zu Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) werden dem Merkur-König beste Verbindungen nachgesagt.An den Automaten kleben derweil vor allem junge Männer. Laut einer Studie spielen zwei Drittel von ihnen auch, um schon verlorenes Geld zurückzugewinnen. Doch das ist so gut wie unmöglich. Die Automaten spucken maximal 60 Prozent von dem wieder aus, was man in sie hineinwirft. Die Bank und ihre Betreiber gewinnen immer. In den Spielhallen werde, sagt Frank Wolf von der Gewerkschaft Verdi, „Hartz IV umverteilt“. Auch Gerhard Meyer erklärt: „Der Anteil der Arbeitslosen ist unter den Spielern höher als an der Gesamtbevölkerung.“