Das Institut Solidarische Moderne (ISM) verfolgt zwei Ziele, die zusammengehören und deren Verhältnis doch spannend, ja gespannt ist: eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene vorbereiten, das Konzept einer alternativen Politik entwickeln. Die Spannung wird auffällig im Rückblick auf das Crossover-Projekt der neunziger Jahre, denn damals gab es die beiden Ziele auch, man hielt sie aber für identisch. Heute ist das Bewusstsein sehr stark, dass die Koalition, wenn sie denn zustande kommt, das wünschenswerte Konzept vielleicht gar nicht umsetzt. Infolgedessen nimmt die Idee der Alternative eine Eigendynamik an. Sie wird nicht auf die Koalitionsfrage reduziert, obwohl im ISM durchaus Parteienvertreter zusammentreffen – neben Wissenschaftlern und Bewe
Politik : Ungesuchte Ergebnisse
Eine Regierung, die in gewollter Opposition zu sich selbst stünde? Verrückt ist das nicht: Zur Arbeit des Instituts für Solidarische Moderne
Von
Michael Jäger
ewegungsaktivisten –, etwa die Sozialdemokratin Andrea Ypsilanti, der Grüne Sven Giegold und Katja Kipping von der Linkspartei.Dass es schwer fällt, ohne ein Alternativkonzept den Neoliberalismus zu bekämpfen, wird heute an vielen Orten beklagt. Das hat primär mit Koalitionsfragen gar nichts zu tun, sondern liegt an der Wirtschafts- und Finanzkrise: Der Neoliberalismus müsste durch sie als widerlegt gelten, behält aber seine Hegemonie. Dieser Widerspruch bewegt auch das ISM und hat es im Dezember das Grundprojekt „Solidarische Arbeitsverhältnisse“ beschließen lassen. Die Idee ist, dass zuerst dem harten Kern des Neoliberalismus, eben seiner Codierung von Arbeit, etwas entgegengesetzt werden müsse. Die am Projekt Beteiligten wie Sonja Buckel und Stefan Lessenich wollen den „erweiterten Arbeitsbegriff“ ausformulieren, der neben Erwerbsarbeit auch Reproduktionsarbeit, gemeinwohlorientierte Arbeit und informelle Arbeit umfasst. Mit diesem Kernthema hängen die anderen immer wieder diskutierten Themen zusammen: der Sozialstaat, der die „erweiterte Arbeit“ einbettet (wo sich die Frage des Grundeinkommens stellt), die notwendige ökologische Produktionsweise und die notwendige Demokratisierung.Nicht ohne SelbstblockadeDieses Konzept könnte an und für sich einen kohärenten wissenschaftlichen und politischen Forschungsprozess ermöglichen, denn alle, die am ISM mittun, sind in einem der genannten Themenkomplexe aktiv. Auch die Schrittfolge ist angedacht, in der wissenschaftliche Ergebnisse zu politischen Vorschlägen umgearbeitet werden können. Als gute Gelegenheit zur Präsentation des gegenhegemonialen Entwurfs wird die Wahlkampfzeit vor der nächsten Bundestagswahl angesehen. Doch bisher läuft der Prozess nicht ohne Selbstblockade. Es stellt sich die Frage, was mit den schon vorhandenen Ansätzen zu Ökologie, Demokratisierung und Sozialstaat geschehen soll, solange das Grundprojekt läuft, als dessen Ableitungen sie am Ende erscheinen sollen. Ansätze, die teilweise weit entwickelt sind: etwa das Konzept von Ypsilanti und Hermann Scheer, zur Förderung des sozialökologischen Umbaus gezielte öffentliche Investitionshilfen zu vergeben. Es wurde in die Arbeit des ISM integriert, ist als „Denkanstoß“ des Instituts veröffentlicht neben anderen ebenfalls weit entwickelten Ansätzen – etwa zur Wachstumskritik von Birgit Mahnkopf oder zur Demokratie in der EU von Andreas Fisahn und anderen. Doch eine themenübergreifende Debatte findet (noch) nicht statt.Dabei könnte sich in ihr erst das bestimmte Gemeinsame der Ansätze herausschälen. Man wüsste, ob es das ist, was der Institutsname anzudeuten scheint: „solidarische Moderne“, Solidarität in einer individuierten statt kollektiven Gesellschaft?Manche Beteiligte fürchten einen Interessengegensatz: „Die Wissenschaft“ ist zu zögerlich, „die Politik“ will zu sehr beschleunigen. Das Institut macht es sich deshalb nicht leicht, über lokale Standbeine seiner bisher nur in Berlin verorteten Existenz zu entscheiden. Eigentlich sind alle dafür, aber es soll nicht wie die Gründung einer neuen politischen Organisation aussehen. Deshalb wird man wohl von der Notwendigkeit eines auch lokalen wissenschaftlichen Netzes sprechen. Wie auch immer, man braucht die Standbeine. Es muss ja Orte geben, wo die „einfachen“ Instituts-Mitglieder ihre Beiträge einbringen. Die Summer Factory 2010 zum Thema Bildung war schon ein Schritt in diese Richtung. Sie beweist die Originalität des ISM-Ansatzes, denn hier wurden nicht nur Vorträge gehalten, sondern die Präsentationsgruppen waren nach dem Crossover-Prinzip zusammengesetzt und bereiteten die Veranstaltungen gemeinsam vor.Den Wertehimmel verlassenEs ist eigentlich nicht wenig, was im ersten Jahr erreicht wurde. Zumal es Ergebnisse gibt, nach denen man gar nicht gesucht hat. So die scheinbar schiefe Stellung, in die sich das Institut manövriert: Es hängt keinen rot-rot-grünen Wunschträumen nach und wirkt ohnehin kaum in die Parteien hinein. Gerade die Enttäuschung, die linke Regierungen so oft bereiten, will es zum Thema machen. Manche verbinden damit die Idee einer Regierung, die in gewollter Opposition zu sich selbst stünde. Verrückt ist das nicht, denn eine Regierung ist in der Tat kein gesellschaftliches Allmachtssubjekt, man darf sie nicht einmal als das Zentrum einer Gesellschaft ansehen.Wenn die Instituts-Mitglieder über ungesuchte Ergebnisse sprechen, gebrauchen sie Bilder des emergenten (Instituts-) Ganzen, das mehr sei als die Teile. Tatsächlich liegt schon darin, dass Vertreter dreier Parteien sich zusammensetzen, um nach der politischen Alternative zu suchen, eine solche Emergenz. Denn in den Parteien selbst werden Ziele oft nicht hinreichend geklärt oder gar nicht mehr gesucht. Ihren Platz nehmen folgenlos gefeierte „Werte“ ein, Freiheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. Das ISM hat den bloßen Wertehimmel verlassen. Nach der Enttäuschung durch Regierungen wie Parteien ist es hier gleichsam zum Outsorcing der Zielfrage gekommen. Als ausgelagerte kann sie in die Gesellschaft wieder hineinwirken: neben den Parteien, mit ihnen aber verbunden, und neben dem engen Handlungsspielraum einer Regierung. Da ist es dem Institut schon einmal gelungen, eine Hoffnung zu präzisieren.