Politik
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„Ich möchte dafür nicht das Feigenblatt sein“
Der Politologe Eckhard Jesse führe einen "Kampf gegen die demokratische Linke", sagt Bodo Ramelow und rechnet mit dem „Jahrbuch Extremismus & Demokratie“ ab
Man kann nicht sagen, es fehle einem Bodo Ramelow der Humor. Der Vorsitzende der Thüringer Linksfraktion ist sich sonst auch nicht dafür zu schade, die politische Auseinandersetzung auf dem Feld des Gegners zu suchen. In diesem Fall aber konnte und wollte der 55-Jährige nicht mitspielen: Der Bitte, für das Jahrbuch Extremismus Demokratie einen Verfassungsschutzbericht zu rezensieren, werde er „nach reiflicher Überlegung nicht nachkommen“, schreibt Ramelow – und rechnet nun in einem Offenem Brief an den Chemnitzer Politikwissenschaftler und Herausgeber Eckhard Jesse mit der Publikation ab.
Das Jahrbuch, das seit 1989 erscheint, will nach eigenen Angaben „die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Problemkreis des politischen Extremismus
des politischen Extremismus fördern“. Die Herausgeber, neben Jesse auch Uwe Backes vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und seit 2009 zudem der Rostocker Zeithistoriker Alexander Gallus, tun dies allerdings auf eine Weise, die den Linkenpolitiker empört: „Seit Jahren muss ich zur Kenntnis nehmen“, schreibt Ramelow an Jesse, „dass Sie als Vertreter der ‚Totalitarismustheorie‘ und als so genannter ‚Extremismusexperte‘ linke Positionen mit rechtsextremer und gar neonazistischer Hetze gleichsetzen.“Selbst unter BeobachtungRamelow spielt dabei nicht zuletzt auf einen Text aus dem Jahrbuch 2009 an: Die NPD und die Linke. Ein Vergleich zwischen einer harten und einer weichen Form des Extremismus. Mit dem Beitrag wollte Herausgeber Jesse „vermintes Gelände“ betreten, und es blieb der Eindruck zurück, hier habe jemand „nachweisen“ wollen, dass der „Extremismus“ der Linken gefährlich sei, weil er anders als jener der NPD gesellschaftlich weniger geächtet wird. In einem früheren Jahrbuch seien PDS und Republikaner zu „Geschwistern“ gemacht worden, beschwert sich Ramelow weiter – als „untrügerisches Kennzeichen“ für den Extremismus der Sozialisten habe schon ausgereicht, dass die PDS den Kapitalismus „diskreditiere“.Ramelows harsche Reaktion hängt auch mit seiner Biografie zusammen: Anfang 2003 war bekannt geworden, dass der Thüringer Verfassungsschutz über den aus Hessen kommenden Gewerkschafter eine Akte angelegt hatte. Später kam ans Licht, dass auch das Bundesamt den seit 1999 der PDS angehörenden Politiker beobachtet, gewissermaßen wegen „Extremisten“ in der Linken. Ramelow zog vor die Gerichte und bekam Recht – bis im Sommer 2010 das Bundesverwaltungsgericht seine Beobachtung aus allgemein zugänglichen Quellen für rechtmäßig erklärte. Inzwischen hat Ramelow Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt.Es sind nicht nur die Vergleiche der Linken mit Neonazis, die Ramelow empören. Es ist der Theorieansatz insgesamt, der im Jahrbuch wie sonst kaum noch vertreten wird. Mitherausgeber Backes bezeichnet „politische Diskurse, Programme und Ideologien“ als extremistisch, „die sich implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten“. Kritiker betonen die wissenschaftlichen Mängel des eindimensionalen und politisch aufgeladenen Begriffes „Extremismus“. Und seine staatliche Funktion.Regierung kauft anHier sieht das Jahrbuch offenbar eine seiner Rollen. Bei Gründung der Publikation, auch darauf verweist Ramelow in seinem Brief an Jesse, sei ausdrücklich als Ziel benannt worden, „Impulse für den Praktiker (Politiker, Ministerialbeamte, Sicherheitskräfte, Pädagogen usw.) anbieten“ zu wollen. Und bei der Nachfrage hilft zur Not auch die Bundesregierung: Sie hat von den Ausgaben der Jahre 2008 und 2009 insgesamt 1.400 Stück für knapp 35.000 Euro „angekauft und die Abgabe an einen Verteiler“ veranlasst, zu dem „Medien und Administration“ gehören. Vorgängerregierungen, teilt das Innenministerium mit, hätten es ebenso gehalten.Mit dem „politisch motivierten Kampfbegriff des Extremismus“, wirft Ramelow Jesse vor, „behindern Sie die notwendige Analyse rechter Ideologien“, zudem würden die NS-Geschichte relativiert und die Kritiker des Kapitalismus sowie der gegenwärtigen Form der Demokratie als Extremisten abgestempelt. Gegnern seines Denkgebäudes habe Jesse unterstellt, selbst mit dem Verfassungsstaat auf Kriegsfuß zu stehen. Und nicht zuletzt stehe der „alarmistische Ton“, mit dem im Jahrbuch vor der Linkspartei gewarnt werde, in einem deutlichen Kontrast zu Jesses eigenem Verhältnis nach rechts: Jesse gefalle sich als Vordenker des Anti-Antifaschismus und habe „mehreren ausgesprochenen Vertretern“ der Rechten in seiner Publikation ein Forum geboten.„Sie werden verstehen“, schreibt Ramelow, „dass ich Ihren Kampf gegen die demokratische Linke nicht unterstützen möchte.“ Dass namhafte Wissenschaftler und Publizisten schon für das Jahrbuch geschrieben haben, sei ihm bekannt. „Ich möchte meinen Namen dennoch nicht in die Autorenliste Ihrer Zeitschrift einreihen“, so Ramelow in seinem Brief. „Ich verweigere mich dem Versuch, mich als Ihr Feigenblatt benutzen zu lassen, um Ihrer Arbeit einen pluralen und objektiven Anstrich zu geben.“