Bisher lief es medienmäßig für die Sozialdemokraten noch ganz gut: zwei Wahlpleiten, nach denen die SPD von den Grünen gestützt oder geführt noch einmal in Landesregierungen humpelte; bundesweite Umfragewerte im Tal der Tränen des Herbstes 2009; unverhohlene Signale des Misstrauens an den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel – und trotzdem hat sich kaum jemand für den Zustand der Sozialdemokratie interessiert. Das hat einerseits die boshaften Zerfalls-Schlagzeilen verhindert, mit denen zurzeit FDP und Linke leben müssen. Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit dürfte der SPD aber langsam dämmern, dass das geringe Interesse Symptom einer existenziellen Krise sein könnte.
Die SPD ist aus dem Zentrum der deutschen Politik
n Politik verdrängt, sie ist von einer ihr Lager bestimmenden Volkspartei zu einer Parlamentsorganisation unter ferner liefen geworden. Die Alleinregierung in Hamburg ist nicht die Ausnahme von einer Regel, sondern Ausdruck einer ins beliebige reichenden Vielfalt, die von Zufällen und regionalen Besonderheiten abhängig ist, und in der sich die Partei mal als Juniorpartner der CDU, mal der Grünen präsentiert, mal mit den Linken kooperiert, mal dies auf gar keinen Fall tun will, mal durch illusionslosen Pragmatismus an der Grenze zum praktizierten Neoliberalismus auffällt, mal durch ein wenig linksgewirkte Opposition. Inhaltliche Erneuerung nach der Wahlschlappe 2009? Mitnichten.Wofür die SPD als kollektives Organisationsprojekt steht, wessen Interessen sie in welchem Zukunftssinn bündeln und repräsentieren will, das ist so unklar wie nie zuvor. Es ist kein journalistischer Zynismus, wenn sich jetzt die Bürgerblätter fragen, ob die Sozialdemokraten nun für Stuttgart 21 sind oder dagegen; für den schnellen Atomausstieg oder den langsamen. Mehr gegen- als miteinander schieben die Exponenten der Partei politische Schlagworte auf die Bühne, in der Hoffnung, sie würden dort nicht gleich als Pappkameraden erkennbar werden.Das Geräusch der Rollen-Suche„Breiter aufstellen“, „Profil schärfen“ – das ist das Geräusch, das entsteht, wenn Parteien hektisch nach einer Rolle suchen, was immer auch eine Auseinandersetzung zwischen den in ihr organisierten Lagern ist. Man hört das jetzt auch von FDP und Linken – und im Prinzip läuft es darauf hinaus, eine Antwort darauf zu finden, dass die Grünen zu einer Art Leitpartei geworden sind. Der Vorteil der Rösler-Partei und der Linken ist, dass sie mit Marktliberalismus und ökosozialem Totalumbau auf offene Plätze links und rechts neben dem „ideellen Gesamtgrünen“ vorstoßen können. Die Sozialdemokratie dagegen treffen in der „Mitte“ nicht gerade auf viel Spielraum: Dort konkurrieren CDU und SPD mit den Grünen um die parteipolitische Repräsentation jenes systemkonformen Konsenses, den man „grüner Kapitalismus“ könnte: mehr Ressourceneffizienz, weniger Rohstoffverbrauch, grünes Wachstum.Wenn Glaubwürdigkeit und Umsetzungsvertrauen die wichtigsten Währungen im Parteiengeschäft sind, stehen der SPD klamme Zeiten bevor: wegen der Wirtschaft könnten die Leute CDU wählen, wegen des Grüns die gleichnamige Partei. Mag sein, dass daraus ein Re-Trend zu Schwarz-Grün wird – Heiner Geißler, der politische Hybride zwischen diesen beiden Lagern, hat nach den Südwestwahlen darauf hingewiesen, dass Angela Merkels „größter Fehler“, die Laufzeitverlängerung, die das strategische Tort zu einer Kooperation mit den Grünen für einen geringen politischen Ertrag zugestoßen hatte, gewissermaßen von außen (Fukushima) behoben worden sei. Die Sozialdemokraten lassen sich mit der wiedergewonnenen Partnerschaftsmöglichkeit jedenfalls unter Druck setzen. Unter dem stehen sie ohnehin:Auf der einen Seite ist das klassisch sozialdemokratische Milieu geschrumpft, während zugleich eine zweite Partei darum konkurriert: die Linke. Zugleich droht die Ökologisierung des politischen Diskurses – dem die SPD nun wie andere auch nachläuft – die Zustimmung bei jenen ein für allemal zu blockieren, die einen ökologischen Umbau des Kapitalismus eher fürchten müssen, weil ihre Jobs in der Autoindustrie und fossilen Energieerzeugung bedroht sind oder weil ihnen als schon (von rot-grünen Reformen) Abgehängte steigende Strompreise, Verdrängung nach Öko-Sanierung, Anschlussverlust durch Wachsen der Wissenslücke und kulturelle Ausgrenzung (Fahrt Ihr etwa keinen Hybrid?!) drohen.Die neue "neue Mitte"Auf der anderen Seite ist auch die Hoffnung auf den Erfolg durch Re-Schröderisierung trügerisch. Was Olaf Scholz, Torsten Albig, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und andere zu repräsentieren versuchen, eine Art neue „neue Mitte“, in der sie die Aufsteiger und Etablierten zu finden hoffen, die technologisch und materiell Orientieren, das „mehr Netto vom Brutto“-Publikum, Leute mit vom Neoliberalismus geprägten Lebensläufen, in denen Privatvorsorge und Leistungschauvinismus mit der Bereitschaft einhergehen, zu Lichtblick zu wechseln und für Afrika zu spenden – in dieser „neuen Mitte“ leuchtet es derzeit vor allem grün.Gegenüber dem Herbst 2009, als die großen Worte der inhaltlichen Erneuerung der SPD gesprochen wurden, hat sich die Ausgangslage für die Sozialdemokraten also eher verschlechtert. Sigmar Gabriel, der mal ohne Not die Kohlekraft lobt, mal ein Bündnis mit der FDP für chancenlos erklärt, bekommt das zu spüren – obwohl er, da geht es in der SPD zu wie bei den Linken, als von unterschiedlichen Parteiinteressen geduldeter und eingezwängter Vorsitzender keineswegs allein verantwortlich dafür ist, dass inhaltlich bei den Sozialdemokraten seit anderthalb Jahren nicht viel passiert ist. Von den Flügeln aus nimmt jetzt der Druck auf die Parteispitze zu – wobei in der Betonung eines offenen Ausgangs jede Seite ihre Möglichkeiten gewahrt sieht.„Die Partei hat noch nicht entschieden“, sagt Juso-Chef Sascha Vogt über die wichtigen Kursentscheidungen. „Das eigene Profil zu schärfen“, sagt auch Frank-Walter Steinmeier, „bleibt die Aufgabe der SPD bis 2013.“ Die Partei könnte an ihr scheitern.