Die Glaubwürdigkeit von Bürgerinitiativen ist für Unternehmen eine große Verlockung. Im eigenen Interesse hängen sie sich das Mäntelchen sozialer Bewegungen um
Fast 600.000 Fans hat Karl-Theodor zu Guttenberg auf Facebook. Doppelt so viele, wie Dieter Bohlen in neun Jahren zusammenbrachte. Und allesamt Anhänger, die seinen Rücktritt ungeschehen machen wollen. Oder nicht?
Dass sich binnen Stunden derart viele Unterstützer im Internet zusammenfanden, hatte schnell Skepsis ausgelöst. Blogger wie Jens Berger oder Sascha Lobo fragten sich, was hinter der Zahlenexplosion steht. Schließlich kamen auch nachts minütlich 40 Fans dazu. Andere hielten den Verdacht, es könne sich um gekaufte oder nur virtuelle Guttenberg-Unterstützer handeln, für überzogen.
Grund zur Skepsis gibt es allemal. Immer wieder sind in den vergangenen Jahren Kampagnen aufgetaucht, die mit viel Finanzkraft politische Entscheidungen erwi
tscheidungen erwirken wollten – und sich dabei ins Mäntelchen der Basisbewegung kleideten. Lobbyismus-Kritiker erinnern sich noch gut daran, wie zum Beispiel im Frühjahr 2005 Aktivisten gratis Eiscreme vor dem EU-Parlament verteilten und mit Transparenten auf einer Motoryacht in den Kanälen von Straßburg patrouillierten.Hinter der „Campaign for Creativity“ standen aber keineswegs Künstler, Musiker und Entwickler, die sich für die Einschränkung freier Software und einen strikten Umgang mit Patenten einsetzten, sondern finanzkräftige Softwareriesen wie Microsoft und SAP. Orchestriert wurde der kreative Protest von Campell Gentry, einer Londoner PR-Agentur, die auch schon erfolgreich für Biopatente in der EU ins Rennen gegangen war.Perfekte ImitationDie möglichst perfekte Imitation von Graswurzel-Bewegungen, sagt die Hamburger Kommunikationsexpertin Kathrin Voss, versucht, sich die Glaubwürdigkeit eines Protestes zu eigen zu machen, der von ganz unten kommt, von der gesellschaftlichen Basis. Voss berät ausschließlich Verbände oder Vereine im Non-Profit-Bereich bei der Entwicklung von Grassroots-Kampagnen. Die Eigeninitiative von Menschen, ihre Spontaneität und Kreativität sind dabei zentrale Elemente. Und die große Stärke ist die Glaubwürdigkeit.Für die Lobbyindustrie ist das eine große Verlockung. Die Imitation der Graswurzel-Bewegungen ist unter dem Begriff Astroturfing bekannt – entlehnt vom Markennamen einer amerikanischen Kunstrasensorte. Bei den künstlich initiierten Bürgerinitiativen werden Unterstützer meist unter falschen Voraussetzungen und ohne Wissen um die wahren Drahtzieher akquiriert. Für das nötige PR-Kapital sorgen Unternehmen.Astroturfing sei schwer nachzuweisen, sagt Kathrin Voss. Trotzdem sind immer wieder Fälle aufgedeckt worden. Der Verein „Bürger für Technik“ etwa, der unter anderem an Schulen aktiv ist und um mehr Verständnis für Technik und Naturwissenschaften wirbt – aber eng mit der Atomlobby verwoben zu sein scheint. Schon in den neunziger Jahren machten die „Waste Watcher“ Schlagzeilen: Auf Umweltmessen kippten sie eimerweise Müll vor die Stände von BUND und Greenpeace, um gegen deren Kritik an Müllverbrennungsanlagen zu „protestieren“. Hinter den „Waste Watchern“ stand das Unternehmen Tetra Pak.Oder die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die 2007 mit dem Internetportal unicheck.de auffiel. Universitäten sollten von Studenten danach bewertet werden, wie gut oder schlecht sie die Studiengebühren verwenden – auf einer Webseite „von Studenten für Studenten“, die gleichzeitig die Einführung von Studiengebühren als positive Mitbestimmungsmöglichkeit darstellte.Mehr Regeln gefordertBisweilen bleiben die Strippenzieher auch im Hintergrund und lassen echte Bürgerinitiativen die Arbeit machen. Für Ulrich Müller, Vorstand von „LobbyControl“, ist die „Gesellschaft für umweltgerechte Straßen- und Verkehrsplanung“, kurz GSV, ein gutes Beispiel. Die Initiative tritt für mehr Straßenbau ein und unterstützt Bürgerinitiativen, die sich für Umgehungsstraßen in ihrem Heimatort starkmachen. „Die GSV gibt zum Teil Anregungen, solche Bürgerinitiativen zu gründen“, sagt Müller. „Andererseits sind es auch echte Bürgerinitiativen, die sowohl strategisch als auch finanziell von diesem Verbund aus Asphalt-, Bau- und Straßenlobby mit unterstützt und gefördert werden.“LobbyControl ist den verdeckten PR-Kampagnen und Denkfabriken schon länger auf der Spur. Die Möglichkeiten des Internet haben die Meinungsproduktion für die Lobbyorganisationen erleichtert, die Methoden sind aber meist die gleichen wie vor 20 Jahren. Wenn Information früher über klassische Medienkanäle nach dem Prinzip top-down produziert wurde, geschieht das jetzt scheinbar völlig basisdemokratisch im Internet. Das macht sich Astroturfing zunutze.Müller wirbt deshalb für mehr Regeln, die Gesetzgebung sei gefordert. Ein erster Schritt in Richtung Transparenz, so Müller, könnte ein verpflichtendes Lobbyregister sein, das aufführt, welche Agenturen für welche Kunden die Politik zu beeinflussen suchen (s. Text links). Bisher hinkt Europa im Vergleich hinterher. In den USA gibt es ein zentrales Register, das Abgeordneten wie Bürgern Informationen über die Lobbyorganisationen zur Verfügung stellt. Versuche, Methoden wie Astroturfing transparenter zu machen, sind indes auch dort bisher gescheitert.