Von wegen Demokratiepotenzial: Viele private nicht-kommerzielle Sender haben es in Deutschland schwer. Die Länder verteidigen ihr Frequenzmonopol zum Schaden der Öffentlichkeit
Von den demokratischen Potenzialen der Mediennutzung ist derzeit oft die Rede. Unlängst war auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann voll des Lobes darüber, „dass der Konsument eben nicht nur normaler Nutzer ist, sondern aktiver Gestalter“. Er sprach von Medienkompetenz und Bildungsarbeit, niedrigschwelligem Zugang und der Stärkung des lokalen Gemeinwesens durch neue Verbundenheit und Verantwortungsbereitschaft.
Es ging nicht nur ums Internet. Nein, Neumann sprach vom Radio, genauer: vom Bürgerrundfunk. Dass der eine nachhaltige Förderung seitens der zuständigen Landesmedienanstalten verdiene, mahnt nicht nur „der in der Bundesregierung für Medien Zuständige“ an. Auch EU-Parlament und Ministerkomitee des Europarates halten diese
lten diesen Gedanken hoch.Das ist auch sehr nötig. Denn während in anderen Zusammenhängen ständig die Rede ist von Web 2.0 und Facebook-Revolutionen, von Whistleblowern und Leserreportern, verwalten die meisten Bundesländer ihr Monopol über die Radiofrequenzen zum Schaden der Öffentlichkeit. Sie behindern eine aktive Beteiligung des Volkes.Dabei ist terrestrisches Radio das hinsichtlich Konsum und Produktion niedrigschwelligste Medium. Zwar gibt es auch über das Internet alle möglichen Radios – doch nicht alle Haushalte haben Internet, und wenn, dann nicht in jedem Raum. Und ein Radio bedienen können heute sicherlich auch technisch extrem Unbedarfte. Niedrigschwelliger geht es auch in der Produktion kaum, denn wer Radio macht, kann, im Gegensatz zur Schriftsprache, ganz normal sprechen und wird dabei noch nicht einmal wie beim TV gesehen.Um dem gesetzlichen Auftrag zur Ermöglichung von privaten nicht-kommerziellen Radios (PNKR) zu entsprechen, haben einige Bundesländer so genannte Offene Kanäle eingerichtet: Dienstleistungseinrichtungen, die Infrastruktur bieten. Das Programm wird dabei typischerweise von der übergeordneten Sender-Leitung festgelegt. Das von vielen politischen Gruppen vorgezogene Gegenmodell ist ein selbstverwaltetes Freies Radio. Nicht zuletzt, da es auch Mischformen gibt, ist es fast unmöglich, in einem Zeitungsartikel die föderale Vielfalt der Regelungen für PNKR zu umreißen. Die negativen Entwicklungen sind aber nicht zu übersehen.So fordert die breit unterstützte Kampagne „Medienvielfalt für Bayern“ die Verankerung einer „Strukturförderung“ für die so genannte Dritte Säule des Mediensektors (neben der öffentlich-rechtlichen und der kommerziellen) im dortigen Landesmediengesetz. Hier wie auch in Sachsen können die wenigen Freien Radios, wenn überhaupt, nur durch Spenden und Mitgliedsbeiträge überleben.Musikalische GlättungPNKR ohne Selbstverwaltung sehen sich anderen Zwängen ausgesetzt: Zwecks „Durchhörbarkeit“ werden die Kanäle mancherorts am typischen Sound der Kommerz-Radios ausgerichtet. Vermeintlich um die Hörer am Wegschalten zu hindern, wird auf interne Vereinheitlichung gesetzt, bei Radio Leinehertz in Hannnover sogar auf musikalische Glättung. Dort hat die Einschränkung der Mitbestimmung bereits zu Diskussionen bis auf Landesebene geführt – und manche (eigentlich) Sendebegeisterten zum Ausstieg bewogen. Leinehertz ist übrigens seit 2009 der Nachfolger von Radio Flora, dem seinerzeit einzigen Freien Radio Niedersachsens. In dessen Internetauftritt ist mit Bezug auf die Landesmedienanstalt zu lesen, dass es damals „zwei wesentliche Gründe zur Verweigerung der Lizenz“ gab: Flora „orientiere sich immer noch zu sehr am Konzept der Freien Radios“, und es würden „zu wenig die Meinungen aus dem ‚wirtschaftlich-unternehmerischen Bereich‘ berücksichtigt“.Ähnlichen Unmut wie bei Leinehertz gibt es beim „Bürger- und Ausbildungskanal“ Tide in Hamburg. Und in Berlin, wo seit 2010 auf dem von der Landesmedienanstalt eingerichteten Mischsender 88vier die Freien Radiogruppen zu hören sind. Auch hier gibt es bei der Programmplanung kein Mitspracherecht. 88vier soll überdies auch kommerziellen Anbietern einen Raum zur Erprobung neuer Formate geben, was die knappe Sendezeit für die vielen Freien Gruppen potenziell noch weiter einschränkt. Ohnehin kann der Sender nicht einmal von einem Drittel der Berliner empfangen werden – zu wenig für ein Radio, das der Selbstverständigung einer Stadtbevölkerung dienen soll.Diesen Anspruch müsste die „Dritte Säule“ im Rundfunk nämlich haben. Sie ist einerseits eine Ergänzung zu den Kommerziellen – denn nicht nur, wer viel Kapital hat, soll senden dürfen und empfangen werden. Andererseits braucht es einer publizistisch nötigen Zugabe angesichts der blinden Themenflecken der Öffentlich-Rechtlichen, die zudem mit einer alternden Hörerschaft kämpfen – im Gegensatz zu den PNKR. Für die lässt der mit viel Geld ausgestattete öffentlich-rechtliche Rundfunk auch journalistisch eine Lücke: umfassende Lokalberichterstattung kann (und will) er nicht leisten.Ganz im Gegensatz zu Argentinien, Großbritannien und den USA, wo, wie der Journalist und Radio-Aktivist Stefan Tenner schreibt, in den letzten Jahren Gesetze zur Ausdehnung von PNKR gerade auf die lokale (auch Stadtteil-) Ebene gemacht worden sind. Entwicklungen, die Deutschland als geradezu rückständig erscheinen lassen.