Eine Branche profitiert von der Medialisierung von Justizprozessen und befördert diese: Die so genannte Litigation-PR. Der Rechtsstaat bekommt zunehmend ein Problem
Für vier Jahre und drei Monate soll Jörg Kachelmann nach dem Willen der Staatsanwälte ins Gefängnis. Das ist wenig, bedenkt man, dass dem Wetterunternehmer besonders schwere Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen werden. Die Anklagebehörde geht allerdings von einem „minderschweren Fall“ aus – weil der 52-Jährige in besonderem Maße Belästigungen durch die Presse ausgesetzt gewesen sei.
Durchgestochene Gutachten, Gerichtsreporter als öffentliche Nebenkläger – der Kachelmann-Prozess war schon zum Medienfall geworden, bevor er überhaupt begonnen hatte. „Man wird ernsthaft diskutieren müssen“, befand Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge nun kurz vor dem Ende, „wie wei
22;wie weit die Pressefreiheit zu gehen hat, wenn Rechte der Beteiligten aufseiten von Täter und Opfer missachtet werden“. Oltrogge sprach von „rechtswidrigen Veröffentlichungen“.Der Mannheimer Prozess ist Symptom einer Entwicklung: der Medialisierung von Justizverfahren. Und er zeigt, wie schmal der Grat zwischen rechtsstaatlicher Öffentlichkeit und versuchter Beeinflussung, zwischen dem Schutz von Beschuldigten sowie Opfern und der schlagzeilenträchtigen Verwertung von Schicksalen geworden ist. Wirtschaftliche Interessen sind dabei ebenso ausschlaggebend wie ein Wandel in der Rechtskultur – der Trend von der Saalöffentlichkeit zur Medienöffentlichkeit.Dabei geraten beide Seiten unter Druck: Von einem gewandelten Selbstverständnis von Staatsanwaltschaften und Gerichten im Umgang mit der Öffentlichkeit spricht der Mannheimer Professor Lars Rademacher in einer Studie. „Standen früher die Angeklagten und einzelne Staranwälte im Mittelpunkt, so inszenieren sich heute zunehmend Staatsanwälte und sogar Richter in Ausübung ihres Amtes öffentlich.“ Was sich einer Untersuchung zufolge nicht zuletzt darin zeigt, dass Behörden ihre Pressestellen aufrüsten.Zum Teil ist das eine Reaktion auf die wachsende Zahl von Spezialisten, die sich im Auftrag von Angeklagten um prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Litigation-PR, wie die Branche genannt wird, profitiert von der Medialisierung der Justizverfahren – und befördert diese. Und: Litigation-PR ist umstritten, der Kommunikationsexperte Klaus Streeck hat sie „beauftragte Beeinflussungsdienstleistung“ genannt, der Präsident des Bundesgerichtshofes, Klaus Tolksdorf, sprach sogar vom „Sturmangriff auf die Rechtsfindung“.An der Grenze der VerfassungIn der Branche hört man das nicht gern. Rechtsanwalts-Tagungen und wissenschaftliche Sammelbände befassen sich inzwischen mit der Frage, ob eine „Öffentlichkeit als Richter“ die Rechtskultur nicht doch überdehnt. Der Litigation-PR-Experte Stephan Holzinger weiß um die wachsende Macht der außergerichtlichen Beeinflussungsversuche, sieht die Zahl schwarzer Schafe aber als gering an. Es fehle allerdings „eine Selbstverpflichtung“ der Branche, in der „unerlässliche Spielregeln“ festgelegt sein müssten.Juristisch bewegt sich Litigation-PR auf einer Grenze. Der Berliner Medienrechtler Volker Boehme-Neßler hält die „strategische Prozessführung in den Medien“ einerseits für eine „der Mediengesellschaft angepasste Möglichkeit“, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, wie dies im Grundgesetz garantiert ist. „Andererseits kann Litigation-PR des einen Prozessbeteiligten durch ihre Wirkungsmacht aber die Äußerungsmöglichkeiten der anderen Prozessparteien einschränken.“ Wer bessere Kontakte zu den Medien hat, ist im Vorteil.Das zeigten bereits vor einiger Zeit die Ergebnisse einer Studie des Mainzer Kommunikationswissenschaftlers Hans Mathis Kepplinger: Der hatte über 700 Richter, Staatsanwälte und Verteidiger gefragt, wie die Berichterstattung sich auf ihr Verhalten im Prozess auswirkt – mehr als die Hälfte der Richter und Staatsanwälte gab an, durch das Medienecho beeinflusst zu werden. Zwar habe sich „der Kern des Verfahrens“, also die Frage nach Schuld oder Unschuld, „als weitgehend resistent erwiesen. Ganz anders“ sehe es aber mit dem Strafmaß aus, so Kepplinger. 42 Prozent der Staatsanwälte und 58 Prozent der Richter sagten, sie würden an die Reaktion in den Medien denken, wenn sie die Strafhöhe fordern bzw. zumessen. Auch für die Bewilligung einer Bewährung spiele die Berichterstattung eine Rolle.Immer öfter gehen Staatsanwälte inzwischen sogar selbst in die mediale Offensive. Im Fall der Popsängerin Benaissa machte die Staatsanwaltschaft deren HIV-Infektion öffentlich. Im Kachelmann-Fall waren Vernehmungsprotokolle und Gerichtsgutachten an die Medien gelangt – die Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen meinte, die Staatsanwaltschaft habe „wirklich in einer unglaublich einseitigen Weise die Öffentlichkeit informiert“, was die Mannheimer Staatsanwaltschaft bestritt.In Kepplingers Studie hatte ein Viertel der befragten Staatsanwälte zugegeben, gezielt Informationen zu lancieren, um ihre Position im Verfahren zu verbessern. Ein Unding, meint der Hallenser Rechtswissenschaftler Andreas Raschke in einem Fachaufsatz: „Bezweckt die Staatsanwaltschaft eine Beeinflussung der gesellschaftlichen Meinungsbildung, so überschreitet sie ihren Aufgabenbereich“ und stoße an die Grenzen der Verfassung. Von der sprichwörtlich „objektivsten“ Behörde der Welt könne dann nicht mehr die Rede sein.Der Mannheimer Staatsanwalt Oltrogge hat in seinem Plädoyer übrigens nicht ausschließen wollen, dass „auch staatliche Quellen“ Informationen aus dem Prozess an die Medien gegeben haben. Es stelle sich angesichts dessen die Frage, „inwieweit man ein solches Verfahren künftig überhaupt noch führen könne“. Aus rechtsstaatlicher Sicht sei man auf einem „sehr gefährlichen Weg“.