Es ist ein paar Wochen her, da erlebte der sächsische Landtag einen interessanten Streit: Ausgerechnet die schwarz-gelbe Koalition verweigerte dem Evangelischen Kirchentag den Dresdner Plenarsaal als Veranstaltungsort. Vertreter der Opposition waren empört, Abgeordnete von Linken, SPD und Grünen verließen gar aus Protest eine Sitzung. Die Koalition verwies auf ein Gutachten der Parlamentsverwaltung, die Linkspartei sprach von einem „kleinkarierten und unangemessenen“ Umgang.
Der Konflikt um die geplanten Podiumsrunden wird auf seine Art dem Kirchentag gerecht – als politisches Treffen unter dem Kreuz. Die Liberalen hatten bei Inhalt und Referenten jedoch eine zu „linke“ Ausrichtung entdeckt. Wahrscheinlich zählt die Freistaat-FDP auch j
FDP auch jenes Podium über die „Krise der Demokratie“ dazu, zu dem Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler und Renate Künast von den Grünen eingeladen werden sollten und das nun unter der Überschrift „Wir sind das Volk“ woanders stattfinden muss.Im Landtag wird nun nur ein Podium stattfinden: über das Religiöse im säkularen Raum. Das ist durchaus passend. Und eigentlich hätte man eine Entscheidung wie jene von CDU und FDP, die letztlich den parlamentarischen Raum gegen übermäßigen Kirchenzugriff verteidigt, wohl auch eher von der Opposition erwartet – weil ein laizistischer Gedanke darin steckt. Doch SPD, Grüne und Linkspartei haben sich mit ihrer Empörung lieber für einen Kirchentag starkgemacht, dessen Programm über weite Strecken, sieht man vom alles überwölbenden religiösen Aspekt ab, tatsächlich nach Attac-Konferenz klingt. Es gibt Veranstaltungen zur Steuergerechtigkeit, Gespräche über die Globalisierung, Debatten über Macht und Staat. Und eine „feministisch-theologische Basisfakultät“ gibt es auch.„Wir wollen den großen Zusammenhang von Klima und Wirtschaftswachstum aufzeigen“, hat die Kirchentagspräsidentin und Grüne Katrin Göring-Eckardt die inhaltliche Mission umrissen. Es solle um die großen Krisen gehen, „die nach dem Empfinden vieler Menschen Schlag auf Schlag kommen und kaum Zeit zum Luftholen lassen“. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise, Atomkrise, Klimakrise – „die Menschen“, sagt Göring-Eckardt, „suchen nach Austausch, Orientierung und Einordnung. Dafür ist der Kirchentag der richtige Platz“.Zur Hälfte öffentlich bezahltDas sieht man bei der Dresdner Gesellschaft zur Förderung von Aufklärung, Humanismus und Religionsfreiheit ein wenig anders. Die Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung hat zwar nichts gegen den Kirchentag an sich. Aber dagegen, dass das evangelische Treffen den öffentlichen Raum vereinnahmt. Die „religionsfreie Zone“, die von der Gesellschaft während des Kirchentages in einem Dresdner Kino eröffnet wird, will man daher nicht als Gegenveranstaltung, sondern eher als kritische Begleitung verstanden wissen, wie es Vorstandssprecher Sacha Hanig formuliert. „Missionsfreie Kinderbetreuung“, Talkrunden über Glaube und Wissen, Lesungen – der atheistische Kontrast finanziert sich vor allem aus privaten Spenden.Im Gegensatz zum Evangelischen Kirchentag, der 1949 als Laienbewegung ins Leben gerufen wurde und dessen diesjährige Dresdner Ausgabe zur Hälfte öffentlich bezahlt wird: Bund, Land und Kommune übernehmen mit knapp acht Millionen Euro etwa die Hälfte der Kosten. Mehr als 100.000 Besucher aus über 80 Ländern werden in der Elbestadt erwartet, sie würden, wie es heißt, „auf Straßen und Plätzen und in den öffentlichen Gebäuden feiern, diskutieren und beten“.Mehr als 20 Jahre nach der Wende und obwohl es schon zuvor Kirchentage im wiedervereinigten Osten gegeben hat, gilt der 33. Evangelische dem sächsischen Landesbischof Jochen Bohl als „erster wirklich gesamtdeutscher“ Kirchentag – weil er nun zahlenmäßig aufgeschlossen hat: genauso groß, genauso viele Veranstaltungen wie bei den Treffen im Westen. Was, für Bohl jedenfalls, „ein Zeichen dafür“ ist, „dass gängige Vorurteile“ über das kirchliche Leben in den neuen Ländern nicht zutreffend seien.An den statistischen Unterschieden hat sich in Wahrheit aber nichts geändert: Nur jeder Vierte im Osten glaubt einer aktuellen Umfrage für den MDR zufolge an Gott, im Westen sind es demnach zwei Drittel. Ähnlich sieht es mit der Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgemeinschaft aus. Der Glaubensgraben lässt sich nicht allein mit den politischen Verhältnissen in der früheren DDR erklären, die konfessionelle Erosion setzte sich auch nach der Wende fort. Seit Anfang der neunziger Jahre, so der Münsteraner Religionssoziologe Olaf Müller, ist die Zahl derer, die keiner Kirche mehr angehören, im Osten noch einmal um zehn Prozent gewachsen.Bibeln vor Schulen verteiltEs handelt sich dabei zuallererst um eine wachsende Distanz gegenüber der Glaubens-Institution in einem ziemlich engen Sinne. Das Vertrauen in die Kirchen hat sich in den neuen Ländern seit der Wende noch einmal halbiert, zugleich zeigen sich in Studien über 70 Prozent der Befragten aufgeschlossen gegenüber der Funktion der Kirchen als soziale Dienstleister. Die „kirchlichen Werte“ – etwa Nächstenliebe oder Barmherzigkeit – stehen auch im Osten hoch im Kurs. Und zwar ganz unabhängig von konfessionellen Ansichten.Das will sich die Evangelische Kirche zunutze machen, nicht überall wird das so direkt formuliert wie etwa auf dem EKD-Portal evangelisch.de. „Glaube und christliche Werte sind nicht zu trennen“, schlägt dort Kirchensprecher Reinhard Mawick einen Bogen zu den empirischen Befunden. Und Dietrich Bauer, Dezernent für Gemeindeaufbau in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, sagt, der Kirchentag 2011 werde „eine wunderbare, riesige Missionsveranstaltung“. Präsidentin Göring-Eckardt formulierte es in der Sächsischen Zeitung etwas zurückhaltender: Es werde in Dresden „nicht so sein, dass Passanten auf der Straße angesprochen werden, mit einer Beitrittserklärung zur evangelischen Kirche in der Hand“. Allerdings hofften Christen ja immer darauf, „dass sie andere Menschen begeistern können und dass ihre Leidenschaft sich überträgt“.Der Begeisterungsfähigkeit allein will die Kirche dies aber offenbar nicht überlassen. Eine Nachrichtenagentur zitierte vergangene Woche einen Schüler: „Solange die einfach ihr Ding machen, finde ich es okay“. Dann aber seien vor seiner Schule Bibeln verteilt worden. „Das fand ich dann zu aufdringlich.“