In diesen Tagen, in denen der Ruf der Journalisten der News of the World seinen absoluten Tiefpunkt erreicht hat, muss gesagt werden, dass der verstorbene ehemalige Showbusiness-Korrespondent des Blattes, Sean Hoare, ein liebenswürdiger Mensch war. Als er im Vorjahr der New York Times erzählte, dass sein früherer Freund und Redakteur, Andy Coulson, ihn dazu ermuntert habe, Anrufbeantworter zu hacken, war Sean Hoare der erste News-of-the-World-Reporter, der mit dieser Geschichte an die Öffentlichkeit ging. Das erforderte Mut. Er hatte ein ganz besonders starkes Motiv zu reden. Er wusste, wie zerstörerisch News of the World nicht nur für die von ihr ins Visier genommen Personen sein konnte, sondern auch für gewöhnliche Journalisten, die für sie ar
Politik : Zerstörungskraft des Boulevards
Sean Hoare redete als erster öffentlich über die Abhörpraktiken beim Murdoch-Imperium. Viele hatten Angst vor dem, was er wusste. Am 18. Juli ist er gestorben
Von
Nick Davies
The Guardian
Übersetzung: Holger Hutt
rnalisten, die für sie arbeiteten und in einer unerbittlichen Jagd auf Schlagzeilen gefangen waren.Bis an die Nasenspitze Zur Erklärung seines Schrittes, an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte er mir: „Ich möchte ein Unrecht wieder in Ordnung bringen und den Deckel lüften. Ich weiß, wir alle wissen, dass das Hacken und andere Dinge weit verbreitet waren.“ Die Leute hätten unter extremem Druck gestanden und seien sehr eingeschüchtert gewesen: „In der Redaktion kriegt man mit, wie Leute gefeuert werden, in Tränen ausbrechen und dem Alkohol verfallen.“Er wusste das nur allzu gut, denn er war selbst ein Opfer der News of the World. Als Showbusiness-Reporter hatte er ein Leben gelebt, das er gern ein privilegiertes nannte. Es hatte seine Gesundheit ruiniert: „Ich wurde dafür bezahlt, mit Rockstars auszugehen und Drogen zu nehmen: mich mit ihnen zu betrinken, Pillen einzuschmeißen, Kokain mit ihnen zu nehmen. Die Konkurrenz war riesig. Man tat mehr als nur seine Pflicht. Du machst Sachen, die niemand machen würde, der noch bei Trost ist. Du bist wie eine Maschine.“ – Während er es "machte", liebte er es. Er kam aus der Arbeiterklasse – war ein Arsenal-Anhänger, wählte immer Labour, bezeichnete sich stets als Clause IV-Sozialisten, der an das Gemeineigentum von Produktionsmitteln glaubte. Durch seine Arbeit als Reporter fand er sich dann plötzlich bis an die Nasenspitze in Drogen wieder. Schnell kam er zu der damals Andy Coulson unterstehenden Kolumne namens Bizarre bei der Sun. Er erinnerte sich: „Bei der Sun gab es ein System. Wir machten gute Geschichten. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu Andy. Ich konnte machen, was ich wollte, solange ich gute Geschichten brachte. Die Anweisung lautete: 'Es kümmert mich einen Scheiß ...' “1.000 Pfund für Koks Er war der geborene Reporter, konnte immer Geschichten finden. Und anders als einige seiner unangenehmeren Boulevard-Kollegen, tyrannisierte er nie seine Quellen. Er war von Natur aus ein warmherziger und freundlicher Mann, der mit seiner Rede eine Straßenlaterne zum Erleuchten bringen konnte. Von Bizarre wechselte er zu dem Klatschblatt Sunday People und dann zu News of the World, bei der Andy Coulson inzwischen stellvertretender Chefredakteur geworden war. Er ging mit Rockstars aus, freundete sich mit ihnen an, trank mit ihnen und legte nur eine Pause ein, um zu schreiben.Aus seinem schweren Drogenkonsum machte er kein Geheimnis. Einmal erzählte er mir, wie er den Tag mit einem Rockstar-Frühstück – einer Line Kokain und einem Jack Daniels - zu beginnen pflegte, für gewöhnlich in Gesellschaft eines Journalisten, der heute bei der Sun eine gehobene Position inne hat. Er vermutete, dass er damals drei Gramm Koks am Tag konsumierte und 1.000 Pfund in der Woche dafür ausgab. Dazu Unmengen an Alkohol. Wenn er zurückschaute, war ihm klar, dass ihm das enorm geschadet hat. Aber damals, erinnerte er sich, lebten die meisten seiner Kollegen auf diese Weise. „Wir wurden alle vermessen. Wir dachten, wir könnten Koks nehmen, in die angesagtesten Clubs gehen und mit Leuten wie Paula Yates und Michael Hutchence zusammensitzen.“Es muss die restliche Fleet Street in Angst versetzt haben, als er anfing zu reden – er hatte mit einigen der mächtigsten Namen im Boulevard-Journalismus Koks genommen, es ihnen ver- und abgekauft. Einer von ihnen ist ein hohes Tier beim Daily Mirror. „Zuletzt habe ich ihn im Little Havanna gesehen“, erinnerte er sich, „Um drei Uhr in der Frühe kroch er auf allen Vieren. Er hatte sein Koks verloren. Ich sagte ihm, dass dies doch wirklich nicht das Verhalten sei, das wir von einem führenden Journalisten einer großen Labour-Zeitung erwarten. Er erwiderte nur: „Hast du verdammt nochmal was dabei?“Und das Hacken der Anrufbeantworter war eben Teil dieses großen Spiels. Der Vorstellung, es sei ein Geheimnis gewesen oder allein das Werk eines „bösartigen Reporters“, widersprach er entschieden: „Alle haben es gemacht. Alle haben sich ein wenig von der Macht, die sie besaßen, mitreißen lassen. Nie gerieten wir auch nur in die Gefahr, erwischt zu werden.“ Er hörte Nachrichten ab und löschte sie dann, so dass kein anderer mehr in ihren Besitz kommen konnte.Auf Gedeih und VerderbAm Ende machte sein Körper nicht mehr mit. Er sagte, er habe begonnen, Anfälle zu kriegen, und seine Leber sei in einem solch schrecklichen Zustand, dass der Arzt zu ihm sagte, er müsse eigentlich tot sein. Als es mit seiner Gesundheit zu Ende ging, schmiss sein alter Freund Coulson ihn bei der News of the World einfach raus. Als er öffentlich über das Abhören von Mailboxen sprach, wurde er schnell von einigen konservativen Abgeordneten wegen seines Drogenkonsums angeschwärzt, als sei dies ein Indiz für seine Unaufrichtigkeit. Die Lügen, die News International verbreitete, stießen ihn wirklich ab, und er war immer bereit, mir und anderen Journalisten zu helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. In gleicher Weise traf es ihn, dass der mittlerweile zurückgetretene Scotland-Yard-Vizechefs seine Beamten anwies, ihn nicht als Zeugen, sondern als Verdächtigen zu verhören. Alles, was er sage, könne gegen ihn verwendet werden, beschied man ihm. Es gereicht ihm zur Ehre, dass er sich weigerte, irgendetwas mit ihnen zu tun zu haben.Gesundheitlich sollte er sich nie wieder erholen. Er sprach gern davon, er habe aufgehört zu trinken, genehmigte sich aber noch das ein oder andere Glas Rotwein. Er sagte zwar, er habe aufgehört zu rauchen, auf dem Nachhauseweg hielt er dann aber doch an, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er war auf Gedeih und Verderb ein Mann der Fleet Street.