Weil die Garantiesummen im Rettungsfonds nicht reichen, soll der nun eine „Hebelwirkung“ entfalten. Ein Spiel mit hohem Risiko, sagt der Ökonom Rudolf Hickel
Freitag: Wie beurteilen Sie Pläne aus dem Dunstkreis der EU-Finanzminister, eine so genannte „Hebelwirkung“ des Euro-Rettungsfonds an den Finanzmärkten zu inszenieren, um mit den Garantiesummen des EFSF mehr Kapital einzuwerben, als damit gedeckt ist?
Rudolf Hickel: Mich überraschen diese Vorschläge keineswegs, eine Hebelung der EFSF-Garantiesumme durch die Aufnahme von Fremdkapital oder eine Versicherungslösung erreichen zu wollen. Diese Vorhaben sind das Eingeständnis, dass die im Bundestag beschlossene Maximalsumme für Garantien bei der Kreditvergabe an Krisenländer nicht ausreicht. Auf diesen unzureichend kalkulierten Garantierahmen habe ich in der Anhörung des Haushaltsausschusses im Bundestag hingewiesen und vorges
schusses im Bundestag hingewiesen und vorgeschlagen, auf einen Deckel zu verzichten. Dadurch sollten auch Spekulanten die Chance verlieren, auf die Deckelsprengung zu spekulieren. Der Protest – vor allem durch den Bundesbankpräsidenten – war groß.Wenn es zu diesem Hebel-Verfahren – diesem Leverage-Effekt – kommt, tragen dann die Euroländer mit den höchsten Garantiesummen für den Rettungsfonds das höchste Risiko, weil die Garantien nicht nur gezogen, sondern möglicherweise erhöht werden müssen? Das hängt entscheidend davon ab, wie diese Hebelung stattfindet. Ein Modell setzt darauf, die EFSF wie eine Bank zu behandeln. Sie könnte dann Liquidität bei der Europäischen Zentralbank gegen die zeitlich befristete Abgabe von Anleihen erhalten, die sie sich am Kapitalmarkt besorgt hat. Das Risiko wäre dann auf die EZB abgewälzt. Ein weiteres Muster setzt auf eine Zweckgesellschaft, die bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) angesiedelt wird. Sie begibt Anleihen, die durch die EFSF verbürgt werden. Mit diesem Hebel der Fremdfinanzierung ließe sich die Euro-Garantiesumme verachtfachen. Das Risiko läge am Ende beim Euro-Rettungsfonds EFSF. Und wenn der pleite geht, sind die deutschen Steuerzahler mit 20 Prozent der Gesamtsumme in der Pflicht. Schließlich wird noch eine Versicherungslösung diskutiert, bei der die Gesamtsumme der EFSF durch Investoren wie die Banken, Versicherungen und Fonds genutzt wird. Das heißt, diese Akteure kaufen die Staatsschuldtitel und erhalten selbst im Fall der Pleite 20 Prozent erstattet. Mit 100 Milliarden Euro ließen sich 500 Milliarden Euro hebeln. Alle Vorschläge zusammengenommen, ist die Antwort klar: In allen Fällen werden die durch die garantierenden Staaten eingegangen Risiken erheblich ausgeweitet. Hat diese Debatte über die Effektivierung der EFSF eine negative Signalwirkung für Staaten wie Spanien und Italien mit ihren Schulden- und Haushaltsproblemen? Effektivierung der EFSF ist der vornehme Begriff von Wolfgang Schäuble. Ich hätte mir gewünscht, dass auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 9. September das Parlament über die Vorschläge zur Hebelung und damit die Ausweitung der Risiken informiert worden wäre. Allerdings wird es für die Spekulanten jetzt schwerer, wenn sie testen wollen, ob andere Krisenländer noch unter den Rettungsschirm passen. Insgesamt wirkt diese Debatte jedoch nicht vertrauensbildend. Sie offenbart eher die Fragilität der Rettungsschirme. Warum wurde trotz der dramatischen Lage Griechenlands und trotz eines fallenden Euro die Entscheidung über die nächste Kredittranche für Athen verschoben? Es ist davon die Rede, dass der so genannte Banken-Beitrag für die Griechenland-Rettung, wie ihn der EU-Gipfel am 21. Juli fixiert hat, nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei. Es werden quasi höhere Bankenverluste prognostiziert. Was bedeutet das für die derzeitige Höhe des Euro-Rettungsfonds? Ich habe die am 21. Juli beschlossene freiwillige Beteiligung der Banken immer als Mogelpackung bezeichnet. Einerseits verdienen die Banken daran, soweit sie gegenüber dem Abschlag von 20 Prozent auf den Nominalwert griechischer Anleihen höhere Abschreibungen vorgenommen haben. Andererseits kommt gemessen am griechischen Schuldenberg nur ein mickriger Betrag zustande. Schließlich verdienen die Banken am Rettungsfonds. Die Banken und Versicherungen müssen jetzt endlich in die Pflicht genommen werden. Sprechen nicht alle Zeichen dafür, dass noch 2011 die ganz große Umschuldung für Griechenland fällig ist?Ja, ein obligatorischer Schuldenschnitt („hair cut“) wäre ein wirksames Instrument, die bisherigen Gewinner – die Banken, Versicherungen und Fonds – beim nachhaltigen Abbau des Schuldenbergs zu beteiligen. Unlängst hat sich Bankmanager Josef Ackermann massiv gegen diesen Vorschlag gewandt. Jetzt wird auch klar, dass sein Einfluss auf die freiwillige Lösung am 21. Juli dem Ziel galt, einen obligatorischen Schuldenschnitt zu verhindern. Natürlich ist der Schuldenschnitt auch mit Risiken verbunden. Diese gilt es abzuschätzen und schließlich auch zu bewältigen. Wenn Griechenland 50 Prozent der Staatsschulden verliert, dann werden die Zinslasten halbiert. Das wäre doch ein Anfang der Sanierung. Aber dieser Schuldenschnitt reicht nicht aus. Hinzukommen müssen Eurobonds mit der finanziellen Gesamtverantwortung aller Euroländer, so dass ein Ausweg aus der Austeritätsfalle zugunsten einer mittelfristigen ökonomischen und sozialen Sanierungsstrategie gefunden wird.