Muss die Occupy-Bewegung Forderungen entwickeln? Geht sie an der Realität vorbei? Und ist Banken-Protest eigentlich links? Eine Schneise durch den Debatten-Dschungel
Am morgigen Samstag will ein Bündnis von Organisationen und Initiativen das Bankenviertel in Frankfurt und das Regierungsviertel in Berlin „umzingeln“. Attac ist dabei, Campact – und eine bunte Unterstützer-Mischung von der katholischen Arbeitnehmerbewegung bis zu Terre des Hommes. Laut seinem Aufruf versteht sich das Netzwerk als Teil der „aktuellen Protestdynamik“ und beruft sich insbesondere auf die Occupy-Bewegung. Die Umzingelungs-Aktion wird auch auf den Webseiten der Occupy-Ablegern in Frankfurt und Berlin beworben. Während die Aktivisten in den USA eher misstrauisch gegenüber etablierten Parteien und NGOs sind, scheinen sie in Deutschland also weniger Bedenken gegenüber organisierten Strukturen zu haben.
Und damit sind wir schon
Berlin beworben. Während die Aktivisten in den USA eher misstrauisch gegenüber etablierten Parteien und NGOs sind, scheinen sie in Deutschland also weniger Bedenken gegenüber organisierten Strukturen zu haben.Und damit sind wir schon mitten in der Debatte, die seit einigen Wochen über das Phänomen „Occupy“ geführt wird. Kaum ein Kommentator von ziemlich rechts bis ganz weit links kommt derzeit ohne eine Antwort auf die Frage auf, wie denn diese Bewegung und ihre Form des Protests zu bewerten seien. Höchste Zeit für den Versuch, mit der digitalen Machete eine Schneise in den diskursiven Dschungel zu schlagen.Beginnen wir mit Slavoj Žižek. Für den slowenischen Philosoph gibt es keinen Zweifel: „Occupy“ sei eine linke Bewegung und als solche mit Sympathie zu betrachten. Unter dem Titel „Lasst euch nicht umarmen!“ rät Žižek den Aktivisten, sich mit Forderungen Zeit zu lassen: „Man sollte immer daran denken, dass jede im Hier und Jetzt geführte Debatte notwendigerweise immer eine Debatte auf feindlichem Gebiet bleiben muss: Es braucht Zeit, die neuen Inhalte in Stellung zu bringen.“ Der Frankfurter Occupy-Aktivist Costantino Gianfrancesco argumentiert im Interview mit der taz ähnlich: „Konkrete Forderungen arbeiten wir jetzt aus. Aber das dauert. (…) Es ist die Methode der Mainstream-Presse, dass sie gleich nach einem Anführer und nach Konzepten fragt. Wir widerstehen diesem Druck. (…) Wir brauchen Geduld.“ Auch das Attac-Mitglied Werner Rätz hofft, mit der Zeit werde sich aus der bisher diffusen Bewegung eine neue Dynamik internationaler Proteste entwickeln. Und Stephan Groschwitz konstatiert der Occupy-Bewegung, in den USA bereits eine ganz neue Aufmerksamkeit für soziale Probleme etabliert zu haben.Mit der Tatsache, dass die Occupy-Bewegung für konkreten Forderungen noch mehr Zeit braucht, geben sich allerdings nicht alle zufrieden . Alexandra Rojkov schreibt in der Zeit, Dagegensein sei nicht genug: „Wer auf die Straße geht und fordert, muss beweisen, dass er es ernst meint. Er muss Fakten kennen und Hintergründe. (…) Wer etwas ändern will, sollte verstehen, abwägen – erst dann hat er den Anspruch, sich zu empören.“ Mathias Greffrath geht in der taz noch weiter: Für die Wut auf die etablierte Ordnung und die regierende Elite brauche man derzeit „kein Gramm Mut“. Zorn und Protest seien wirkungslos, solange sie nicht organisiert aufträten. Daher empfiehlt Greffrath den Aktivisten, sich in Parteien zu engagieren. Sie sollten „für politische Mehrheiten (...) kämpfen – und das heißt zunächst: in nervigen Ortsvereinen Lebenszeit zu opfern.“ Auch Peter Nowak vermisst den Einfluss von organisierten Strukturen auf die Proteste. Ohne ein Bündnis mit diesen werde die Bewegung keine politische Wirkung entfalten können.Viel diskutiert wird auch die Frage, wo die Occupy-Bewegung eigentlich politisch stehe. Tissy Bruns schreibt im Tagesspiegel, „Occupy“ sei links, weil sich die Bewegung an Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit orientiere: „Wer und was links ist, kann man heute nicht definieren über Parteizugehörigkeit, eher schon über Wertbegriffe (Gerechtigkeit, Gleichheit), oder Lebenseinstellungen (Unverbesserlicher).“ Pedram Shahyar stellt in Analyse sogar die These auf, die derzeitige Proteste von Kairo bis New York könnten die weltweite Schwäche der Linken überwinden – der Wille zum Bruch mit den bestehenden Gesellschaften sei da, außerdem stelle das „urbane, gebildete Prekariat“, das die Proteste präge, eine Art neuer Avantgarde dar. Shahyar's Thesen werden allerdings in der gleichen Zeitschrift von der Redaktion der Wildcat kritisiert. Und die US-amerikanische Gruppe Research hat ein Papier zu den Protesten veröffentlicht, dass an das Manifest „Der kommenden Aufstandes” erinnert.Die Bewegung muss sich aus den Reihen der undogmatischen Linken allerdings auch viel Kritik anhören: Nicht nur das Weblog Reflexion kritisiert, die Bewegung grenze sich zu wenig von Rechtspopulisten wie der „Partei der Vernunft“ ab, in ähnlicher Weise bemängelt Manfred Dahlmann (20) in der Jungle World, dass die Kapitalismuskritik von „Occupy“ sich vor allem aus Ressentiment speise. Peter Jonas und Florian Rötzer befürchten, bei der Bewegung handele es sich sowieso um nicht mehr viel als einen Medienhype. Thomas Lohmeier argumentiert im Prager Frühling, die Occupy-Bewegung sei mitnichten links – auch wenn ihr Protest ein neues politisches Feld eröffne, das die Linke jetzt könnte.Vorerst bleibt also abzuwarten, wie sich die Occupy-Proteste weiter entwickeln. Spannend dürften die morgigen Demonstrationen auf jeden Fall werden: Erste Gruppierungen aus der radikalen Linken rufen mittlerweile in Frankfurt wie Berlin dazu auf, „Occupy“ nicht länger zu ignorieren und sich den Protesten anzuschließen.