Nach dem Auffliegen der Neonazi-Mordbande wird der Ruf nach einem NPD-Verbot wieder lauter. Aber hilft das gegen rechtsradikale Militanz? Das Problem ist der Verfassungsschutz
Es war ein Feldzug des Todes durch die ganze Republik – und dass die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei ihrer rassistischen Mordserie nicht noch mehr Menschen töteten, verdankt sich nur glücklicher Umstände. Die beiden Thüringer haben eine DVD hinterlassen und sich darauf auch zu einem Bombenattentat in Köln bekannt. 2004 waren dabei mehr als 20 Menschen verletzt worden. Ermittler suchen jetzt nach weiteren Verbindungen – in Nordrhein-Westfalen wird unter anderem der Anschlag auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf neu aufgerollt.
Die Attacke sorgte im Jahr 2000 nicht nur für Entsetzen und viele Schlagzeilen. Sie bildete auch einen wichtigen Hintergrund für das erste NPD-Verbotsverfahren. Bekannt
eilen. Sie bildete auch einen wichtigen Hintergrund für das erste NPD-Verbotsverfahren. Bekanntermaßen scheiterte der Versuch, dem politischen Problem des organisierten Rechtsradikalismus mit juristischen Mitteln beizukommen an einem ebenso politischen Skandal: Führungskader der Partei waren V-Leute des Verfassungsschutzes, der Verbotsantrags war wesentlich mit Zitaten von Leuten begründet, die für den Staat spitzelten. Seither wird ein ums andere Mal eine Neuauflage gefordert – so wie jetzt unter anderem von Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden in Deutschland oder dem schleswig-holsteinischen SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner.Es ist die falsche Antwort. Gegen die mörderische Militanz von der Art des Thüringer Neonazis-Trios wird ein NPD-Verbot einerseits nichts ausrichten. Zur Demokratie gehört es andererseits auch, wie es der Jurist Horst Meier einmal formuliert hat, dass die schlechten Leute gute Rechte haben. Allein auf rechtlichem Wege ist ohnehin nicht zu leisten, was die politische Auseinandersetzung zum Ziel haben müsste. Und wer die Tatsache beklagt, dass die NPD über die Parteienfinanzierung mit Steuergeldern subventioniert wird, der müsste sich dafür einsetzen, dass antifaschistische Netzwerke und Toleranz-Projekte besser gefördert werden – statt ihnen die Arbeit vor Ort durch Extremismusklauseln zu erschweren.Arbeitsgruppe zum NPD-Verbot tagtEnde November trifft sich erstmals eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern um zu prüfen, ob ein neuerlicher Anlauf, die NPD zu verbieten, aus Sicht der zuständigen Ministerien juristisch und politisch sinnvoll ist. Es geht, vor allem, um die V-Leute in der Organisation. Und hier, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und seinen Ablegern in den Ländern, liegt auch das zentrale Problem. Die Behörde, die ihre V-Leute nicht abziehen will, blockiert nämlich nicht nur ein neues Verbotsverfahren. Sie ist offensichtlich auch nicht in der Lage, das tödliche Treiben von Neonazis zu verhindern, die dem Amt jahrelang gut bekannt gewesen sind.Oder sogar noch mehr? Wenn jetzt der Chef eines Landesamtes zugeben muss, dass bei einer Prüfung der Neonazis auf Verfassungsschutzkontakte „letzte Zweifel nicht beseitigt“ werden konnten; wenn der zuständige Innenminister sagt, auch er habe Zweifel, dass die Behörde in dem Fall richtig gehandelt habe; wenn Innenpolitiker der Union sagen, es sei „nicht ausgeschlossen, dass sich aus all dem noch ein Verfassungsschutz-Problem ergibt“ – dann sollte nun eine ernsthafte Debatte über die Existenz der Behörde auf die Tagesordnung gesetzt werden.Das ist schon deshalb nötig, weil bereits versucht wird, die Diskussion nach dem Auffliegen der Neonazi-Bande in eine bestimmte Richtung zu zwingen: Niedersachsens CDU-Innenminister Uwe Schünemann etwa fordert nun die Schaffung von „so etwas wie“ ein „Terrorabwehrzentrum auch für den Bereich des Rechts- und Linksextremismus“. Hier findet erstens die krude Gleichsetzungslogik ihre Fortsetzung, derzufolge linke und rechte „Extremisten“ einerseits als gleichrangige Bedrohung dargestellt werden, deren Vertreter aber andererseits für eine Sicherheitspolitik zuständig sind, die sich oft auf dem rechten Auge als blind erwiesen hat und lieber linke Aktivisten verfolgt. Und zweitens ist das Problem des Verfassungsschutzes, seine Tendenz zum Eigenleben, die strukturelle Unkontrollierbarkeit, die in jeden Geheimdienst eingebaute Entfernung zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln, nicht damit zu lösen, dass man noch eine weitere Institution schafft, in der die Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Aufgaben verschwimmt, die geheim agieren muss und politischen Voraussetzungen unterliegt, die von einer Mehrheit möglicherweise gar nicht geteilt werden."Herrschaft des Verdachts"Wozu braucht die Bundesrepublik diesen Verfassungsschutz überhaupt? Allein das Bundesamt verschlingt im Jahr fast 174 Millionen Euro – für die jährliche Herausgabe eines Heftes, in dem nachzulesen ist, was man auch anderswo erfahren kann? Zur Verhinderung einer der schlimmsten politischen Mordserien der vergangenen Jahrzehnte reichte es jedenfalls nicht. „Der Thüringer Verfassungsschutz hatte 24 Aktenordner, aber keine Ahnung“, wird SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann zitiert. Immer wieder hat das Amt stattdessen mit Skandalen und Affären auf sich aufmerksam gemacht – hat Unbescholtene bei ihren Arbeitgebern angeschwärzt, Rechtsanwälte und Abgeordnete bespitzelt und eine „Herrschaft des Verdachts“ (Dietrich Murswiek) etabliert, die weder in Gesetzen noch im Namensgeber der Behörde eine Grundlage findet: in der Verfassung.Das Bundesamt und die Länder-Ableger gehören aufgelöst. Die Forderung ist nicht neu und noch weniger ist sie absurd, wie denen gern unterstellt wird, die sie erheben. Die Grünen haben die schrittweise Auflösung aller Geheimdienste noch 1998 in ihr Wahlprogramm geschrieben; später wurde immerhin noch die Auflösung der Landesämter in der Partei diskutiert. Auch die Linke hat sich für ein Ende des Verfassungsschutzes stark gemacht. Und nicht zuletzt in der SPD findet das Ansinnen Unterstützer. „In einer demokratischen Gesellschaft sind auch extreme und aus unserer Sicht widerliche Meinungsartikulationen möglich, die im Meinungsstreit – und nicht durch geheimdienstliche Bearbeitung – zurückgewiesen werden müssen“, forderten Thüringer Sozialdemokraten im März. „Wenden solche Zusammenschlüsse Gewalt an oder begehen sie sonstige Straftaten, sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig.“ Es gibt keine guten Gründe, am Verfassungsschutz festzuhalten – und warum sollte man den schlechten folgen?