Die Zeitung Rheinische Post muss in Pjöngjang sagenhafte Quellen haben. Ihr Nordkorea-Kommentator weiß heute: „Es war nicht sein siechendes und geknechtetes Volk, das den selbst ernannten 'Großen Führer' zum Teufel jagte; es war der Teufel, der ihn geholt hat.“ Wenigstens das ist geklärt.
Ansonsten weiß man gerade nicht viel über Nordkorea, strotzt aber vor hellseherischer Urteilskraft. Im Leistungssport der medialen Bescheidwisser ist seit dem Tod Kim Jong-Ils eine Befundsucht ausgebrochen, die ihresgleichen sucht. Es werden Zukunftsvisionen halluziniert, die jeder seriösen Analyse entbehren. Achillesferse dieser entrüstungseifrigen Darstellungskunst ist ihre Fakten-Blässe, aber das stört nicht weiter. Was vermögen Tatsachen gegen Gewissheiten, notfalls müssen eben die Fakten daran glauben. Und wenn es die gar nicht gibt? Dann erst recht! Denn leider bleibt auch die Rheinische Post nähere Erklärungen über die Umstände schuldig, unter denen Kim Jong-Il zur Hölle fuhr. Nur dass er fuhr, darf als gesichert gelten. Und dabei der Teufel seine Hand im Spiel hatte? Warum noch groß danach fragen? Schurken-Staaten haben es allemal verdient, das ein journalistischer Hokuspokus-Tausendsassa darüber schreibt.
Die nordkoreanische Führung beschränkte sich in den letzten 48 Stunden darauf, die Nachricht über den Verlust ihres "Geliebten Führers" zu verbreiten und eine zehntägige Staatstrauer anzuordnen, sonst wurde nichts unternommen, was irgendwelche Rückschlüsse über den künftigen Kurs des Landes zulässt. Es gibt keine Entscheidung über den Nachfolger, keine Erklärung, dies oder jenes zu tun, keine sonstigen Dekrete – jedenfalls keine, die bekannt geworden wären.
Noch im Kriegszustand
Man weiß nichts, kann aber trotzdem vorhersagen: Erstens – Nordkorea wird garantiert, und garantiert beschleunigt, sein Atomprogramm vorantreiben. (Die Welt: „Ostasien stehen turbulente Monate und vielleicht Jahre bevor“) Zweitens – der neue Führer heißt Kim Jong-un und wird noch rücksichtsloser, noch brutaler, noch unberechenbarer, noch verschlagener als sein Vater sein. Er muss schließlich "die Militärs von seiner Verlässlichkeit überzeugen", indem "er aggressiv nach innen und nach außen agiert" (Die Welt). Drittens – Südkorea muss damit rechnen, wieder aus dem Norden beschossen zu werden. Auch das ist klar und gerinnt zu felsenfester Gewissheit. Schließlich befinden sich die beiden koreanischen Staaten noch im Kriegszustand. Seit 1953 immerhin. Dass es nicht zuletzt so ist, weil sich seinerzeit der südkoreanische Präsident Syngman Rhee weigerte, den Vertrag über eine Waffenruhe zu unterzeichnen und dies bis heute kein Nachfolger nachholte, tut nichts zur Sache. Der systemgeißelnde Zeigefinger ist wichtig, bleibt steif und weist nach Norden. Feindbildpflege von weltanschaulich gefestigten Positionen her und aus Erleichterung darüber, nicht den vierten Kommentar über die vermeintliche Fehlbesetzung im Schloss Bellevue oder die nächste Kolumne über die Eurokrise schreiben zu müssen. Der hohe Ton der üblichen Entrüstungsethik fällt leicht, die Worte sind vorgestanzt – ist das mediale Publikum auch vorgewarnt? Nein, leider nicht. Aber es hat gelernt, was es über Nordkorea zu denken hat. Das gehört zur Verabredung. Und wer sich nicht daran hält, den holt der Teufel.