Westliche Medien scheinen in ihrer Syrien-Berichterstattung an einem differenzierten Bild nicht interessiert. So häufen sich die Hinweise auf einen verdeckten Krieg
Stellen Sie sich vor, eine seriöse Meinungsumfrage würde zu dem Ergebnis kommen, dass eine Mehrheit der syrischen Bevölkerung sich dafür ausspricht, Bashar al-Assad solle im Amt bleiben. Wäre das nicht eine Hauptnachricht? Besonders, wenn man bedenkt, dass sie dem herrschenden Trend der Berichterstattung über die syrische Krise zuwider läuft, und die Medien das Unerwartete für gewöhnlich als berichtenswerter erachten als das Offensichtliche?
Nun, dem ist nicht immer so. Wenn die Berichterstattung über einen Konflikt tendenziös wird und zu einem Propaganda-Instrument verkommt, werden unangenehme Fakten gern unterschlagen. So verhält es sich mit den Ergebnissen einer jüngsten Umfrage, die vom The Doha Debates in Auftrag gegeben
Übersetzung: Holger Hutt
g gegeben und von der Qatar Foundation finanziert wurde. Vor dem Hintergrund , dass Katars Königshaus sich Assad gegenüber äußerst aggressiv gibt – der Emir hat erst jüngst die Intervention arabischer Truppen gefordert – ist es gut, dass es die Sendung The Doha Debates war, die die Umfrage auf ihrer Website veröffentlicht hat. Nur schade, dass fast alle Medien der westlichen Welt, deren Regierungen den Rücktritt Assads fordern, sie ignoriert haben.Die wichtigste Erkenntnis bestand darin, dass – während die meisten Auslandssyrer glauben – Assad müsse zurücktreten, die Haltung im Lande eine andere ist. Ungefähr 55 Prozent der Syrer wollen, dass Assad bleibt, weil sie Angst vor einem Bürgerkrieg haben. Ein Gespenst, das für die Einheimischen nichts Theoretisches an sich hat. Weniger erfreulich für das Regime dürfte sein, dass die Hälfte der Syrer, die wollen, dass er bleibt, der Meinung sind, er müsse in naher Zukunft freie Wahlen abhalten. Assad behauptet, er werde dies tun. Das hat er auch in seiner jüngsten Rede wiederholt. Es ist aber unerlässlich, dass er so schnell wie möglich das Wahlgesetz veröffentlicht, politische Parteien zulässt und unabhängigen Beobachtern die Überwachung ermöglicht.Wie Beirut und Sarajevo Auch die Berichterstattung über die Beobachtermission der Arabischen Liga verzerrt die Sachverhalte. Als die Liga im März 2011 der Verhängung einer Flugverbotszone über Libyen zustimmte, wurde sie im Westen dafür in den höchsten Tönen gelobt. Ihre Entscheidung, in Syrien zu vermitteln, war den westlichen Regierungen und syrischen Oppositionsgruppen, die immer mehr einer militärischen Lösung den Vorzug vor einer politischen geben, weniger willkommen. Der Schritt wurde von westlichen Regierungschefs sofort infrage gestellt und westliche Medien beteten dies nach. Die Glaubwürdigkeit des sudanesischen Vorsitzenden der Mission wurde angezweifelt und das Vorgehen ihrer 165 Mitglieder kritisiert.Die Kritiker fürchteten vermutlich, die arabischen Beobachter könnten darüber berichten, dass die Gewalt nicht mehr allein von den Regierungstruppen ausgeht und das Bild von den friedlichen Protesten, die von Polizei und Militär brutal unterdrückt werden, nicht stimmt. Homs und einige andere syrische Städte ähneln immer mehr Beirut in den achtziger oder Sarajevo in den neunziger Jahren mit Kämpfen zwischen Milizen, entlang religiöser und ethnischer Linien. Was die Militärintervention des Auslands angeht, so hat diese bereits begonnen. Sie folgt nicht dem libyschen Vorbild, da Russland und China über den letztjährigen Betrug im Sicherheitsrat so erzürnt sind, dass sie nicht noch einmal einer Resolution zustimmen werden, die den Gebrauch von Gewalt erlaubt. Das Modell ist älter. Es geht in die Zeit des Kalten Krieges zurück, bevor „humanitäre Interventionen“ und „Schutzverantwortung“ erfunden waren und missbraucht werden konnten. Erinnern Sie sich an Ronald Reagans Unterstützung für die Contras in Nikaragua, die er ausbildete und bewaffnete, um die Sandinisten von Basen in Honduras aus zu stürzen? Sie brauchen für Honduras nur Türkei einzusetzen.Gaddafis Waffen Das diesbezügliche Schweigen der westlichen Medien ist dramatisch. Kein Reporter ist dem Artikel des ehemaligen CIA-Offiziers Philip Giraldi nachgegangen, der heute für den American Conservative schreibt – einem Magazin, das den militärisch-industriellen Komplex der USA von einer nicht-neokonservativen Seite aus kritisiert. Giraldi berichtet davon, dass nicht gekennzeichnete NATO-Kriegsflugzeuge in Iskenderum, nahe der syrischen Grenze mit libyschen Freiwilligen und Waffen aus den Beständen Gaddafis eingetroffen seien. „Französische und britische Ausbilder von Spezialeinheiten befinden sich vor Ort“, schreibt er, „sie unterstützen die syrischen Rebellen, während die CIA und US-Spezialisten Kommunikationsausrüstung und Informationen bereitstellen, damit die Rebellen größeren Truppenverbänden der Armee aus dem Weg gehen können.“Vor dem Hintergrund der wachsenden Gefahr eines vollumfänglichen Krieges wollen sich die Außenminister der Arabischen Liga am Wochenende in Kairo treffen, um die Zukunft der Mission in Syrien zu besprechen. Zweifellos wird es in den westlichen Medien Berichte über Bemerkungen derjenigen Minister geben, die der Ansicht sind, die Mission habe „ihre Glaubwürdigkeit“ verloren, sei „vom Regime düpiert“ worden oder habe „nicht vermocht, der Gewalt Einhalt zu gebieten“. Gegenargumente wird man herunterspielen oder unterdrücken.Trotz der Provokationen von allen Seiten sollte die Liga sich nicht beirren lassen. Ihre Delegation wurde in Syrien Zeuge friedlicher Demonstrationen für wie gegen das Regime. Sie wurde Zeuge und in manchen Fällen auch Opfer der Gewalt auf beiden Seiten. Sie hatte aber noch nicht genügend Zeit, mit allen relevanten Protagonisten zu sprechen, um daraufhin klare Empfehlungen auszusprechen. Vor allem hat sie noch nicht einmal damit angefangen, den Teil ihres Mandates zu erfüllen, der darin besteht, einen Dialog zwischen dem Regime und seinen Kritikern zu ermöglichen. Die Mission muss in Syrien bleiben und sollte nicht hinaus gemobbt werden.