Mit der Überwachung von Linken-Abgeordneten greift der Geheimdienst auf eine die Demokratie gefährdende Weise in Politik ein. SPD und Grüne dürfen deshalb nicht tatenlos bleiben
„Soweit die parlamentarische Tätigkeit oder parlamentarische Funktionen für die Bewertung der Gesamtpartei von Bedeutung sind, werden Informationen dazu ebenfalls sach- und personenbezogen in der vorgenannten Sachakte festgehalten.“
Den Satz hat das Bundesinnenministerium im Jahr 2009 formuliert, er findet sich in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die sich damals dafür interessierte, welche Art von Daten der Verfassungsschutz über ihre Abgeordneten sammelt. Betroffen war bis auf eine Ausnahme die komplette Fraktion. Im Falle von 27 Parlamentariern hatte der Geheimdienst zudem Erkenntnisse gesammelt, „die über die Angaben aus dem Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestags hinausgehen“. Und nein, ausschließen könne die
ndbuch des Deutschen Bundestags hinausgehen“. Und nein, ausschließen könne die Bundesregierung nicht, dass sich in den Papieren des Bundesamtes „auch im Einzelfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen befinden“.Der Fall sorgte seinerzeit für Empörung über die Grenzen der Linken hinaus. Dass Abgeordnete der Partei ins Visier des Verfassungsschutzes geraten, galt auch bei SPD und Grünen als kritikwürdig. Ganz genau so verhielt es sich knapp ein Jahr später, als das Bundesverwaltungsgericht die geheimdienstliche Überwachung des Linken-Abgeordneten Bodo Ramelow in wesentlichen Zügen für rechtmäßig erklärte. „Dieses Urteil ist ein weitreichender Eingriff in die politische Willensbildung von Parteien“, erklärte die sozialdemokratische Generalsekretärin Andrea Nahles. Und Volker Beck nannte es absurd, wenn sich die Behörde mit dem Sammeln von ohnehin offen zugänglichen Zeitungsartikeln über die Linke beschäftige. „Das blockiert wichtige Ressourcen“, warnte der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer damals, „die im Kampf gegen Neonazis oder Islamisten ernsthaft benötigt werden.“Außergewöhliche Umstände?Mehr als zwei Jahre später ist das schwere Versagen des Verfassungsschutzes im Fall der rechtsradikalen Zwickauer Zelle noch unaufgearbeitet – dafür gibt es neue Erkenntnisse über das Ausmaß der Bespitzelung der Linkspartei. Am Fakt ihrer Überwachung allerdings hat sich nichts geändert. Wieder ist von 27 linken Bundestagsabgeordneten die Rede, inzwischen weiß man auch, dass es sich dabei im Prinzip um die ganze Führungsspitze der Fraktion handelt – und sich der Geheimdienst sogar für Steffen Bockhahn interessiert, der in jenem „Vertrauensgremium“ des Parlaments sitzt, der eigentlich die Aufgabe hat, die Etats auch des Verfassungsschutzes zu kontrollieren. Es könnten daher, hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags gerade erst festgestellt, „nur ganz außergewöhnliche Umstände“ die Beobachtung eines Mitglieds des Gremiums rechtfertigen.Solche liegen im Fall von Bockhahn nicht vor. Überhaupt fehlt es an einem hinreichenden Grund, die Linke mit geheimdienstlichen Methoden zu pressieren. Dies ist auch keine Frage der Zugehörigkeit einzelner Politiker zu irgendeinem Flügel der Partei, auf die nun immer wieder abgestellt wird – Motto: "nicht nur Mitglieder aus dem radikalen Flügel der Partei, sondern auch viele Realos" seien betroffen. Auch eine Überwachung von Vertretern der antikapitalistischen und sozialistischen Strömung ist demokratiepolitisch nicht hinnehmbar. Und das gleich aus mehreren Gründen:Erstens verbietet das Grundgesetz nicht, einer Vision gesellschaftlicher Organisation von Produktion und Mitbestimmung anzuhängen, die sich von den real existierenden Verhältnissen deutlich unterscheidet. Zwischen dem „demokratischen Sozialismus“, wie ihn die SPD in ihrem Programm versteht und dem, auf den die Linke hinorientiert, mag es Unterschiede geben. Beiden Parteien gleich ist, dass sie auf dem Weg dorthin auf die Kraft des Arguments und von demokratischen Mehrheiten setzen. Zweitens unterhöhlt die Massenbeobachtung der Linken das System der parlamentarischen Kontrolle. Drittens wird mit der Überwachung eine „Herrschaft des Verdachts“ (Dietrich Murswiek) etabliert, die den Handlungsspielraum jener einschränkt, die aus politischen Gründen ins Visier der Geheimdienste geraten.Hierin liegt einer der wesentlichen Gefahren: Beschädigt wird ja nicht nur die freie Mandatsausübung, etwa wenn die Wähler der Linken fürchten müssen, dass ihre im Wahlkreisbüro vorgetragenen Sorgen gleich auch noch beim Verfassungsschutz landen und deshalb lieber auf Distanz zu den Vertretern einer Partei bleiben. Mehr noch: Mit dem Hinweis auf angeblich verfassungsfeindliche Bestrebungen einiger in der Linken greift der Geheimdienst indirekt sogar selbst in die Richtungsdebatten der Partei ein. Wie weit zu gehen sogar das Bundesverwaltungsgericht bereits ist, lässt sich im Urteil zur Akte Ramelow nachlesen. Eine Beobachtung von Spitzenkräften der Linken, die wie der Thüringer Fraktionschef „selbst zwar keine eigenen verfassungsfeindlichen Aktivitäten entfalten, aber die radikalen, offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eintretenden Kräfte innerhalb der Partei (…) genauso wenig aktiv bekämpfen“, sei mit Blick auf die Möglichkeit vertretbar, daraus „zusätzliche Erkenntnisse“ zu gewinnen.Welche Erkenntnisse der Geheimdienst tatsächlich gewinnt, muss offen bleiben. Die Lektüre der Verfassungsschutzberichte lässt nicht mehr erkennen, als ohnehin öffentlich bekannt ist. Unter anderem, dass es nicht schon feststeht, dass irgendwer aus der Linken "offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" mobilisiert, sondern lediglich "zahlreiche Anhaltspunkte" dafür, was ein wichtiger Unterschied ist. Die Überwachung hat so lediglich das Ergebnis, die Betroffenen in ihrer Gesamtheit politisch zu brandmarken. Damit und viertens übt der Geheimdienst auch einen Druck auf andere Parteien aus.Wer will ausschließen, dass SPD und Grüne sich ein zusätzliches Maß an bündnispolitischer Zurückhaltung auferlegen, schon um sich selbst nicht wahlkämpferischer Kritik von Seiten der CDU auszusetzen? Die fortgesetzte Überwachung der Linkspartei wird so immer ein Vorteil derer bleiben, die nicht bloß den „demokratischen Sozialismus“ als Perspektive zurückweisen, sondern bereits mit einer rot-rot-grünen Reformpolitik nicht einverstanden wären. Anders gesagt: Man muss nicht selbst ein Anhänger der Linken sein, um es für nötig zu erachten, den Umgang mit ihr klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Denn was hier vom Geheimdienst selbst als auch von der Regierung als Schutz der Demokratie verteidigt wird, schadet dieser vor allem.Nach dem Ramelow-Urteil von 2010 haben SPD und Grüne gefordert, die Beobachtung der Linken durch den Verfassungsschutz müsse eingestellt werden. Eine Möglichkeit könne es sein, hieß es damals, die gesetzliche Grundlage des Inlandsgeheimdienstes neu zu fassen. Man kann sich heute fragen, ob eine solche Novelle ein wirklich ausreichender Schritt wäre, die ausufernde Überwachung zu stoppen. Schließlich gibt es auch jetzt erhebliche Zweifel, ob das Bundesamt bei seinem Vorgehen auf dem Boden des geltenden Rechts und der Verfassung operiert. Nicht nur richtig, sondern auch souverän im Umgang mit der von ihnen gern kritisierten Linken wäre es trotzdem, wenn Sozialdemokraten und Grüne diesen Faden wieder aufnehmen – und ihn weiterspinnen: Das Problem sind keineswegs ein paar Linke, denen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ nicht das Ende aller Geschichte ist. Sondern es ist der ganz und gar nicht freiheitlich oder demokratische Verfassungsschutz selbst.