Vor der Digitalisierung konnten Verlage Gewinne einstreichen, von denen andere Branchen träumen. Nun wollen sie die digitale Konkurrenz im Netz unter Kontrolle bekommen
Im Februar 2011 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über die Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano hatte bei einer routinemäßigen Überprüfung einige Plagiatsstellen gefunden. Der Artikel berichtete über seine Funde und endete mit der Aussicht, dass der Verteidigungsminister eventuell seinen Doktorgrad wieder abgeben müsse.
Vor 15 Jahren hätte dieser Artikel einen Aufschrei in der akademischen Welt verursacht. Es hätte einige Artikel in anderen Zeitungen mit Rücktrittsforderungen gegeben. Aber Guttenberg hätte die Affäre wohl ausgesessen. 2011 war aber nicht 1996. Der SZ-Artikel führte dazu, dass sich einige Menschen o
Menschen online in einem Wiki zusammenfanden und gemeinsam begannen, die Doktorarbeit zu untersuchen. Die Wiki-Kollaborateure fanden insgesamt 1218 Plagiatsfragmente. Kein Presseverlag hätte die Ressourcen für eine so ausführliche Untersuchung aufbringen können. Erst die im Internet für jeden einsehbaren Ergebnisse haben der Affäre Schub gegeben. Viele Zeitungen schrieben mit Verve gegen Guttenbergs Versuch, die Sache auszusitzen, an. Das Resultat ist bekannt.Aber ohne Guttenplag, welches das wahre Ausmaß der Plagiate offenlegte, wäre die Angelegenheit folgenlos geblieben. Die Affäre lehrt, dass es längst weitere, neuartige Akteure gibt, die anders funktionieren als die klassischen Medienunternehmen. Die Informationen von Guttenplag konnten sich frei verbreiten, weil die Kollaborateure keinen Besitzanspruch an ihre Ergebnisse stellten. Im Gegenteil: Es war ihnen daran gelegen, dass ihre Erkenntnisse möglichst vielen Menschen bekannt werden.Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung gibt es einen Passus, der Medienwissenschaftler, Beobachter und Juristen seit 2009 beschäftigt. Ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse soll eingeführt werden, steht da. Wie es aussehen soll, wird nicht näher erläutert. Nur dass dieses neue Recht notwendig sei, daran bestünde kein Zweifel.Das Verlags-Monopol erodiertDie mit dem Urheberrecht verwandten Leistungsschutzrechte gibt es in anderen Branchen. Es gibt ein Leistungsschutzrecht für Hersteller von Tonträgern ebenso wie beispielsweise für Filmhersteller. Dieses Recht schützt etwa neue Aufnahmen von längst nicht mehr unter das Urheberrecht fallenden klassischen Werken, weil es sich auf die Leistungen rund um das Werk bezieht und nicht auf das Werk allein.Für Verlage gibt es kein vergleichbares Recht. Wie sollte dieses auch aussehen? Es könnte nur auf das Layout der Zeitung verliehen werden. Die Texte selbst werden vom Urheberrecht abgedeckt. Die Argumentation der Verleger sieht nun ungefähr so aus: Sie erbringen Leistungen wie das Redigieren von Texten, das Formulieren von Überschriften und das Auswählen von auf ihren Angeboten veröffentlichten Texten. Diese Leistung ist signifikant genug, um geschützt zu werden, behaupten die Verleger. Nur vor wem? Und warum jetzt? Warum fällt den Verlags-Managern plötzlich auf, dass ihre jahrhundertalte Branche ein zusätzliches Recht benötigt, ja regelrecht verdient hat? Weil das Internet und der damit einhergehende Medienwandel die Branche ordentlich durchwirbeln.Presseverlage konnten vor der Digitalisierung Gewinne in Dimensionen einstreichen, von denen andere Branchen nur träumen. Lange waren Zeitungen die einzige Möglichkeit für viele Werbekunden, effektiv ihre Zielgruppen zu erreichen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Kleinanzeigen-Portale im Internet haben den Verlagen ihre Einkünfte streitig gemacht. Die Verlage müssen online nicht nur mit anderen Netzpublikationen konkurrieren, sondern auch mit Facebook, Google sowie allen anderen werbefinanzierten Webdiensten. Die ehemaligen Monopolisten sehen sich in allen Richtungen etwas für sie völlig Neuem gegenüber: Konkurrenz. Damit nicht genug. Die Printauflagen der Tageszeitungen sinken seit mehr als 20 Jahren.Aber wie soll ein Leistungsschutzrecht ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation darstellen? Diese Frage wird wieder heftig debattiert, seit bekannt wurde, dass sich CDU/CSU und FDP darauf geeinigt haben, ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse auf den Weg zu bringen.Die Forderung nach einer Abgabe für das Lesen von Pressewebsites am Arbeitsplatz, wie es ursprünglich vorgesehen war, wurde nun fallengelassen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie war von dieser Idee nicht begeistert und hat sich offensichtlich bei der Koalition Gehör verschafft. Stattdessen geht es nun wohl nur noch um eins: Google News und vergleichbare Angebote, die Presseinhalte aggregieren, zur Kasse zu bitten. Aggregieren heißt, dass Inhalte von vielen Seiten ausgewertet, Texte zu gleichen Themen gemeinsam verlinkt und wichtige Themen besser gewichtet werden.Google News und seine Artverwandten gehören zu den neuen Playern im Journalismus des 21. Jahrhunderts. Sie verschaffen durch die Einordnung der Inhalte von vielen Publikationen einen Überblick darüber, was gerade passiert. Und das möglichst publikationsneutral. Diese Aggregatoren machen etwas Ähnliches wie das, was man unter dem Begriff Medienschau kennt. Nur machen sie es dank Automatismen effizienter und breitflächiger.Für diese Leistung sollen sie künftig zahlen. Denn die Presseverlage sind der Ansicht, dass ihre Leistungen hier unfair benutzt werden. Dafür spielt es anscheinend keine Rolle, dass Google News ein wichtiger Trafficlieferant für die Onlinepresse ist und auf dem Dienst keinerlei Werbung angezeigt wird. Es scheint weiter nicht relevant zu sein, dass damit kleinere Anbieter wie Rivva abgetötet werden.Lassen wir die Gefahr für die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit durch das Herumdoktern am Zitatrecht einmal außen vor: Was passiert, wenn Google, statt zu bezahlen, die Verlage aussperrt, so wie es das in Belgien getan hat? Gemäß dem Gefangenendilemma würde ein cleverer Verlag ausbrechen, auf sein Recht verzichten und die mit mehr Reichweite verbundene bevorzugte Stellung genießen. Die anderen würden folgen. Wie absurd die Debatte bereits geworden ist, kann man daran sehen, dass die ersten Befürworter wie etwa Michael Hirschler vom Deutschen Journalisten-Verband deshalb für einen Durchleitungszwang bei Google argumentieren: Google soll für seine Leistung zahlen und gezwungen sein, sie zu erbringen. Was bereits für Google absurd klingt, wird komplett grotesk, wenn man an kleinere Suchmaschinen und Startups denkt. Diese würden dann künftig komplett einen großen Bogen um den teuren deutschen Markt machen.Nicht zuletzt wird mit dem Recht auch eine besonders effiziente Art der Informationsproduktion gefährdet. Yochai Benkler bezeichnet sie in The Wealth of Networks als commons based peerproduction, also als allmendebasierte, kollaborative Produktion. Diese ist auf möglichst geringe exklusive Rechte angewiesen, weil nur so die Menschen gemeinsam und ohne direkte kommerzielle Interessen zusammenarbeiten können. Guttenplag ist dafür ein Beispiel. Wann immer Immaterialgüterrechte ausgeweitet werden, schreibt Benkler in seinem Buch, gewinnen vor allem Konzerne, deren Geschäft auch auf der Anhäufung von Rechten basiert.Springer-Chef Matthias Döpfner sagte auf der Bilanzpressekonferenz über das geplante Recht, dass es „zunächst eine vernachlässigbare Größenordnung“ haben würde und er da vorerst „kein großes Geschäft“ sieht. Wenn es doch nicht um Einnahmensteigerung geht, worum dann?Kontrolle des MarktesEs geht um Blogs, um Guttenplag und dessen Nachfolger PlagiPedi, um Wikileaks und um Wikipedia, dessen Aktualisierungsgeschwindigkeit es mittlerweile auch für Nachrichten relevant macht. Es geht um Infrastrukturanbieter wie Google mit Google News und seiner Suche, um Twitter und Facebook. Es geht um Startups wie Flipboard oder Commentarist, welches bereits von FAZ und Süddeutsche verklagt wurde, während andere Verlage es gern benutzen. Kurz, es geht um alles Presseähnliche, was nicht von Presseverlagen kommt. Es geht um die Kontrolle des Marktumfeldes. Es geht darum, die Verlage und ihre Leistungen über alles andere in der Wertschöpfungskette zu stellen.Wurde der Jura-Professor für seine Funde von der Süddeutschen bezahlt? Wurde Guttenplag finanziell an den Artikeln beteiligt, die die dortigen Funde wiederholt haben? Wie lautet die Rechtfertigung, dass alle für das Weiterverbreiten von Informationen bezahlen sollen, nur die Verlage nicht?Im schlimmsten Fall sieht unsere Zukunft so aus: Es wird ein Leistungsschutzrecht beschlossen, das sowohl Presseverlage als auch Suchmaschinen und Aggregatoren dazu verpflichtet, an der Verteilung teilzunehmen, wenn sie auf dem deutschen Markt operieren wollen. Es wird keine signifikanten Gelder in die Kassen der Pressehäuser spülen. Aber dafür wird es Innovationen, die nicht von den Verlagen kommen, im Keim ersticken. Es wird jede Form von Informationsaufbereitung und -verbreitung, die Presseerzeugnisse tangiert, erschweren. Und diese Innovationsbehinderung ist ein Feature, kein Bug. Die Verlage wollen ihre Konkurrenz unter Kontrolle bringen.Keine sehr erbauliche Aussicht. Übrigens hat der Springer-Konzern, die treibende Kraft hinter dem vorgesehenen Leistungsschutzrecht, vor wenigen Tagen für das Geschäftsjahr 2011 Rekordgewinne vermeldet.