Die Linken-Politiker Katja Kipping, Christine Buchholz und Steffen Bockhahn über den Machtkampf in ihrer zerrissenen Partei. Und warum zu viel Schampus nicht gut tut
Der Freitag: Frau Kipping, da verkünden Sie mit Frau Schwabedissen Ihre Kandidatur für die Parteispitze – und am nächsten Tag schreiben die Zeitungen vor allem über Oskar Lafontaine. Wie kann sich die Linke aus dem Schatten ihres ehemaligen Vorsitzenden lösen?
Katja Kipping:
Das Problem kenne ich ja schon aus PDS-Zeiten: Da hieß es immer, wer kann den Gysi ersetzen? Wenn die Wahlen zum Parteivorstand ein Gysi-Lafontaine-Imitationswettbewerb wären, dann hätten Katharina und ich sicher nicht unseren Hut in den Ring geworfen. Wir wollen etwas anderes: In dieser Verkeilung der unterschiedlichen Lager müssen wir aus der Lagerlogik ausbrechen und mit einem Team antreten. Es geht auch um einen Aufbruch in Richtung neue Linke.
Herr Bockhahn, Sie ha
k ausbrechen und mit einem Team antreten. Es geht auch um einen Aufbruch in Richtung neue Linke. Herr Bockhahn, Sie haben sofort gekontert, indem Sie Dietmar Bartsch aufforderten, seine Gegenkandidatur aufrechtzuerhalten. Warum trauen Sie Frau Kipping und Frau Schwabedissen nicht zu, die Linke zu führen?Steffen Bockhahn: So einen Satz werden Sie von mir nie gehört haben. Ich habe nur gesagt, es gibt keinen Grund für Dietmar Bartsch, seine Kandidatur zurückzuziehen. Ich wünsche mir, dass wir beim Parteitag in Göttingen eine echte Wahl haben, wer die Partei künftig führen wird. Dass ich das Dietmar Bartsch zutraue, ist bekannt. Frau Buchholz, Sie sind friedenspolitische Sprecherin. Wie sieht Ihre Konfliktlösung aus? Christine Buchholz: Na, jedenfalls nicht die Bundeswehr. (lacht)Kipping: Vielleicht reicht das Technische Hilfswerk?Buchholz: Ich glaube, der Verzicht von Lafontaine eröffnet die Möglichkeit, eine neue weiblichere Führung zu wählen. Darauf spüre ich in der Partei auch positive Resonanz. Nur, was mir absolut fehlt: Was ist die politische Grundlage? In welche Richtung geht die Partei? Wie stellen wir uns auf für die Bundestagswahl 2013? Katja, das ist meine Aufforderung an euch, euch politisch zu positionieren. Ist das Team um Katja Kipping und Katharina Schwabedissen also ein gutes Angebot?Buchholz: Wir erleben einen Rückzug gewerkschaftlicher Akteure, seit die SPD wieder in der Opposition ist. Wenn eine Genossin ins gewerkschaftliche Lager hin- einwirken kann, dann ist es Sahra Wagenknecht. Im Sinne einer breiten Wirkung ist es absolut wünschenswert, wenn sie und jemand aus dem Gewerkschaftslager Teil dieses Führungsteams wären. Rechnen Sie denn noch damit, dass Frau Wagenknecht für den Vorsitz kandidiert?Buchholz: Ich würde es mir wünschen.Kipping: Katharina und ich wollen nicht, dass Dietmar Bartsch zurückzieht, das ist völlig falsch. Wir wollen, dass es verschiedene Angebote gibt. Ich kann mir zwei Formen von Parteiführung vorstellen: Entweder man will die Spitzen der beiden Lager, in all ihrer Medienpräsenz und all ihrer Brillanz, dann muss man über eine Führung Wagenknecht/Bartsch diskutieren. Oder man wählt bewusst Leute, die moderater sind und die den Aufbruch in etwas anderes wollen, dann muss man über eine Spitze Schwabedissen/Kipping reden.Bockhahn: Aber Katja, es stimmt doch nicht, dass Dietmar Bartsch das fortführen will, was bisher war. Ihm zu unterstellen, dass er einen autoritären Führungsstil fortsetzen will, finde ich schlicht nicht fair. Ihr sagt, ihr wollt einen Neuanfang, aber wo ist denn der? Das fehlt mir völlig.Kipping: Unsere politische Grundlage ist das von 97 Prozent der Delegierten beschlossene Parteiprogramm. Zu unserer politischen Verortung nenne ich hier nur einige Punkte: eine Gesellschaft frei von Angst, eine Offensive fürs Öffentliche und Feminismus. Die wollen wir stark machen.Aber Frau Kipping, Sie wollen ja auch Wahlen gewinnen. Muss man nicht doch auf starke Einzelpersonen setzen?Kipping: Nein, wir brauchen insgesamt drei Dinge: eine Abkehr vom Lagerdenken, einen Aufbruch zu einer neuen Linken, die neue Milieus anspricht, und eine Aktivierung der Milieus, in denen wir stark waren. Das wird nie eine Person alleine leisten können. Ich bin für ein Zusammenwirken von Leuten. Unsere Kandidatur hat Unruhe ausgelöst, weil sich die jeweiligen Lager nicht ganz sicher sind, ob wir ihre Interessen vertreten, weil wir eher moderat sind.Bockhahn: Aber, liebe Katja, bei aller Freundschaft, das blendet aus, dass es diese Lager gibt. Und es sind ja nicht nur zwei, sondern gefühlte 738.928. Und zu sagen, wir stehen da irgendwie in der Mitte und wollen eine neue Linke und einen Aufbruch, das sind alles schöne Worte. Aber wo ist euer Angebot, und wie wollt ihr die Leute mitnehmen?Kipping: Du hast ja recht, es gibt in dieser Partei viele Lager. Aber es gibt vor allem viele Mitglieder, die sich eigentlich keiner Strömungsspitze zuordnen...Bockhahn: … die meisten, würde ich sagen...Kipping: … genau, die meisten. Und viele von ihnen haben sich zurückgezogen. Ein Vorschlag ist deshalb, dass die neue Parteiführung erst mal eine Basistour macht und auch im Internet aufruft zu Vorschlägen, die der neue Parteivorstand in Angriff nehmen muss.Buchholz: Also, ein Thema, das sich so scharf wie nie zuvor stellt, ist die Euro-Krise. Merkel und die EU-Chefs versuchen, einen Sozialkahlschlag durchzusetzen. Das Spardiktat hat dramatische Folgen für die öffentlichen Kassen in Deutschland, für die Konjunktur, für die Arbeit, für den Sozialstaat. Dagegen formiert sich auch in Deutschland eine Bewergung. Wir müssen die Antworten der Linken offensiv vertreten. Und da bin ich gespannt, was von euch kommt.Bockhahn: Die Euro-Krise ist ein wichtiges Thema, aber sie stellt sich in Deutschland doch komplett anders als in Griechenland. Hier wissen alle, dass es sie gibt, aber wer erlebt sie konkret? Wie also positionieren wir das Thema so, dass wir davon profitieren? Daneben bieten sich noch ein paar Themen an, die wir richtig gut können, beispielsweise die Genossenschaft Fair Wohnen als Projekt gegen den Finanzmarktkapitalismus oder die Frage des kommunalen Eigentums oder der öffentlichen Banken. Da haben wir einen gigantischen Erfahrungsvorsprung in der praktischen Politik.Kipping: Aber wie thematisieren wir die Krise? Sie hat in Deutschland einfach ein anderes Gesicht. Sie verstärkt auf dem Arbeitsmarkt den Trend hin zu Prekarisierung, die sich äußert in Burn-Out und Stressfaktoren. Durch die Krise ist die Arbeitswelt zunehmend von Angst gezeichnet. Deshalb muss sich die Linke stark machen für Angstfreiheit in der Gesellschaft.Aber die Bürger treibt doch vor allem die Angst um, dass der Euro futsch geht. Darauf müssen Sie eine Antwort finden.Kipping: Naja, ein erster Schritt ist, den Fiskalpakt zu verhindern. Denn er ist eine Demokratie- und Investitionsbremse. Und zum zweiten: Es braucht ein Maßnahmenbündel, um Banken und Spekulanten stärker an die Kette zu legen. Hedgefonds müssen zum Beispiel verboten werden. Und es braucht ein Trennbankensystem.Bockhahn: Beim Bankenwesen stellt sich die Eigentumsfrage: Wie weit wollen wir da gehen? Ein Fonds ist an sich erstmal nichts Schlimmes. Die Frage ist, zu welchen Bedingungen hantiert er und wer stützt ihn. Wir wollen staatliche Investitionsfonds, die sich an Unternehmen beteiligen und damit auch an Gewinnen.Buchholz: In einer sehr komplizierten Gemengelage bleiben wir vor allem durch unser soziales Profil erkennbar. Nur so können wir die Leute überzeugen, uns zu wählen. Die SPD gibt es schon. Sie brauchen nicht eine schlechte Kopie davon wählen.Kipping: Es war immer eine linke Tugend, sich für Umverteilung stark zu machen. Ich will das mal in einem provokanten Modell verdichten: dem Einkommenskorridor. Nach unten hin darf niemand unter eine bestimmte Summe fallen. Aber es lohnt sich auch, über Höchsteinkommen als regulative Idee zu reden. Denn ab einer bestimmten Summe führt das Mehr an Geld nicht dazu, dass ich ein schöneres Leben habe. Selbst wenn man den ganzen Tag Schampus trinkt, irgendwann ist der Tag zu Ende.Buchholz: Man kann immer noch drin baden ...Kipping: Ja, aber irgendwann wird es klebrig. Was bedeutet denn diese Ansammlung von Geld – zum Beispiel bei Einkommen von über 40.000 Euro im Monat? Das führt dazu, dass Menschen über ihre finanzielle Macht Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Deshalb ist Umverteilung auch zutiefst eine Frage der Demokratie. Mit Blick auf die Arbeitswelt muss ich vor allem über Prekarisierte reden, seien es nun Leute mit Laptop oder Wischmob. So könnte man den historischen Slogan ins 21. Jahrhundert übertragen: Prekarisierte aller Lebenslagen, vereinigt euch!Die mit dem Laptop werden doch jetzt gerade von den Piraten abgezogen.Kipping: Naja, die Piraten knüpfen soziokulturell daran an, aber sie sind klar gegen Umverteilung. Was die an Grundeinkommen diskutieren, ist so niedrig angesetzt, das ist verordnete Armut. Und da die Piraten sich zur Schuldenbremse bekennen, können sie auch keine bessere soziale Sicherung für Soloselbstständige anbieten.Aber die Piraten haben nun mal Zulauf, dagegen schwindet Ihr Potenzial als Protestpartei. Muss sich die Linke jetzt nicht als Regierungspartei positionieren?Bockhahn: Ich denke, eine sozialere Politik als die von Schwarz-Gelb oder einer möglichen Großen Koalition darf nicht an der Linken scheitern. Für positive Veränderungen wie flächendeckende Mindestlöhne oder eine friedliche Außenpolitik sollte sie auch Kompromisse machen. Bevor man allerdings über Regierungsbeteiligungen spricht, muss die Linke Wähler überzeugen. Und da wären wir schlecht beraten, uns nur auf die am stärksten Benachteiligten zu stürzen. Wir müssen auch bei der gebildeten Mittelschicht punkten, bei der der Solidargedanke stark verankert ist.Buchholz: Das Erfurter Programm stellt die sozialen Interessen von lohnabhängig Beschäftigten und Erwerbslosen in den Mittelpunkt linker Politik. Daran sollten wir festhalten. Auch beim Thema Krieg und Frieden müssen wir klar bleiben: Die Linke beteiligt sich an keiner Bundesregierung, die die Auslandseinsätze der Bundeswehr fortführt, und Deutschland muss Reparationen für die in Afghanistan angerichteten Schäden zahlen. Wenn wir an die Piraten verloren haben, dann auch deshalb, weil wir zu sehr als etablierte Kraft wahrgenommen werden. Da müssen wir an unserem Profil arbeiten und an dem Gestus, mit dem wir Politik machen.Kipping: Zur Regierungsbeteiligung: Ich habe wahrlich keine Berührungsängste gegenüber Grünen und SPD. Aber Regierungsbeteiligungen darf es nicht um jeden Preis geben. Deshalb finde ich die roten Haltelinien gut. Ich persönlich hätte mir einen weiteren Punkt gewünscht: Für mich ist es nicht vorstellbar, in eine Bundesregierung zu gehen ohne die klare Verständigung, die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen. Zu den Piraten sage ich nur: Solange in unserer Partei jeder, der über Anglizismen herzieht, standing ovations bekommt, werden wir Anhänger der Piraten kaum ansprechen. Es ist manchmal auch eine Frage des Vokabulars und der kulturellen Ausstrahlung.Das Gespräch führten Verena Schmitt-Roschmann und Ulrike Baureithel