Flüchtlinge und Kliniken bekommen keine Lebensmittel mehr, weil Lieferanten nicht mehr bezahlt werden können. Die Rede ist nicht von Somalia, sondern einem EU-Staat
Während die Freiwilligen die Einkaufstüten mit Reis, Milch und Speiseöl ausladen, zieht sich Goman Badder in das Zimmer zurück, das er mit seiner Frau und ihrem einjährigem Sohn bewohnt. In dem 28 Jahre alten syrischen Kurden lösen die Lebensmittellieferungen gemischte Gefühle aus. Einerseits ist er erleichtert, dass seine Familie nicht hungern muss, andererseits schämt er sich, weil es so weit gekommen ist. Für seinen Sohn, der auf einem ordentlich gemachten Bett schläft, hatte er sich eigentlich Besseres erhofft. „Als ich Syrien verlassen habe, wollte ich nicht, dass es ihm einmal gehen würde wie mir“, sagt er. „Dass ihn aber Derartiges erwarten würde – dass Leute ihm Windeln und Milch bringen – h
Übersetzung: Zilla Hofman
hätte ich nicht gedacht. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihn niemals auf diese Welt gebracht.“Wer kann helfen? Sein Freund Salah Muhamed, ein kurdischer Lehrer – er ist der „Hölle Syrien“ vor sechs Monaten entflohen – sagt ohne Umschweife: „In Syrien werden wir mit Gewehren getötet, hier bringt uns die wirtschaftliche Not um.“ Das staatlich finanzierte Zentrum für Asylbewerber, in dem die beiden Männer leben, erhält keine Gelder mehr vom griechischen Staat. Die 25 Angestellten werden schon seit Januar nicht mehr bezahlt. Wegen ihrer Schulden hat die Einrichtung enorme Probleme mit ihren Lieferanten, schon seit zwei Wochen bleiben die Lebensmittel aus. Einige der 255 Bewohner hatten zunächst gedacht, die Angestellten würden wegen ihrer ausbleibenden Löhne streiken, tatsächlich aber, erklärt Leiter Vasilis Lyritzis, habe man den Betrieb nicht aufrechterhalten können: „Wir haben aufgehört zu kochen, weil wir einfach nichts mehr hatten.“ Die Bewohner des Lavrio-Zentrums, das ungefähr 65 Kilometer von Athen entfernt liegt, zählen noch zu den glücklicheren unter Zehntausenden von Asylbewerbern in Griechenland. Die meisten erhalten überhaupt nichts vom Staat und schlafen in Städten wie Athen in riesigen Slums ohne festes Dach über dem Kopf. Angesichts der Folgen, die sich aus der Schuldenkrise auf staatliche Dienstleistungen ergeben, spitzt sich die Lage für Badder und Muhamed immer weiter zu. Und nicht nur für sie. Im ganzen Land muss, wer an den Rändern der Gesellschaft lebt und direkt oder indirekt auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, möglicherweise bald den Nachbarn um Hilfe bitten.Noch ein MonatAuf der Insel Leros im Dodekanes findet sich Yiannis Antartis, Leiter einer psychiatrischen Klinik, ebenfalls in der misslichen Situation, seine Lieferanten bitten zu müssen, weiter Lebensmittel zu schicken, obwohl er ihnen kaum noch etwas zahlen kann. Eine Woche lang stellten die Lieferanten ihre Leistungen komplett ein, dann brachte Antartis genug Geld zusammen, um jedem von ihnen 15.000 Euro zu zahlen – das reichte, sie zu überzeugen, ihn wieder zu beliefern. Doch wie will er Gesamtschulden von 1,25 Millionen Euro begleichen? Antartis schätzt, dass ihm ungefähr ein Monat bleibt, die Rückstände zu tilgen und die 400 Patienten zu schützen, die wegen psychischer Erkrankungen – von Depressionen bis Demenz und Schizophrenie – hier betreut werden. 13 Millionen Euro schuldet der Gesundheitsversicherungsfonds dem Krankenhaus, das seine Proben inzwischen an private Labors schickt. Man verfügt nicht mehr über die Möglichkeiten, sie zu analysieren, und wird bald um das Nötigste kämpfen müssen. „Wenn wir nicht in den nächsten drei bis fünf Wochen Geld erhalten, haben wir ein echtes Problem – mit dem Essen, mit Medikamenten, mit Klinikbedarf und Bandagen, selbst den grundlegendsten Dingen“, sagt Antaris. „Das Krankenhaus wird langsam zusammenzubrechen. Meine Hauptsorge gilt dem Geld, das ich von den Versicherungen, dem Staat oder wem auch immer brauche, um ausstehende Rechnungen zu begleichen und den Betrieb am Laufen zu halten. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass die Klinik nicht mehr normal arbeiten kann ...“ Essen für Sträflinge Der Direktor des staatlichen Hospizes im Athener Stadtteil Kypseli weiß, wovon Direktor Antaris spricht. In seiner Einrichtung gebe es nicht nur Engpässe bei der medizinischen Versorgung, man könne auch den Strom nicht mehr bezahlen. Die Patienten hätten seit zwei Wochen kein Fleisch mehr zu essen bekommen. Vor einer Woche nun schrieb Antartis aus Sorge um seine Patienten das Gesundheitsministerium sowie die großen Parteien an und schlug Alarm. Seither ist es ihm gelungen, wieder für Lieferungen zu sorgen. Außerdem hat er den griechischen Interims-Gesundheitsminister getroffen. Der habe bis Ende Juni 150.000 Euro versprochen, aber auch betont, „dass die Versicherungsfonds kein Geld haben und die Krankenhäuser sparen müssen, wo sie können“, erzählt Antartis. Angesichts der Höhe der Schulden und der darauf anfallenden Zinsen seien 150.000 Euro nichts. Doch erst einmal ist er erleichtert, dass sein Krankenhaus die Probleme mit der Lebensmittelversorgung – wenn auch nur kurzfristig – lösen kann. Doch er macht sich weiter Gedanken – vor allem wegen der Medikamente, denn damit könnten die Bewohner von Leros – so hilfsbereit und freundlich sie seien – nicht aushelfen. „Mit Essen könnten sie uns unterstützen, aber selbst das ist auf Dauer problematisch, denn wie lange werden sie dazu in der Lage sein?“ In Korinth kommt die Bevölkerung Berichten zufolge bereits für die Ausfälle des Staates auf. Als das Gefängnis dort unter Lebensmittelmangel litt, sammelten die Korinther Essen für die Insassen. Auch in Laviro kommt für die Asylbewerber und Flüchtlinge (zu denen fast 80 Kinder zählen) dank Spenden Essen auf den Tisch. Wir schämen uns Zurück zu Goman Badder, der vor zwei Jahren nach Griechenland kam, weil er, wie er sagt, wegen seiner kurdischen Identität verfolgt wurde. Wenn sich die Situation nicht entschärfen lasse, solle das Zentrum in ausländische Verantwortung übergeben werden, meint er. „Die Griechen sind sehr, sehr gut. Sie kümmern sich um uns. Aber sie haben kein Geld. Warum müssen Griechen uns mit Essen versorgen? Wir sind in Europa, nicht bloß in Griechenland.“Freiwillige laden gerade im Hof Konserven, Toilettenartikel und Milchkartons ab Badder sagt: „Die Menschen hier sind so nett. Wir können ihnen nicht sagen, dass sie uns kein Essen bringen sollen, weil wir uns schämen. Wir müssen danke sagen. Aber wir fühlen uns schlecht dabei.“