Noch nie waren die Wahlergebnisse im Iran so sehnsüchtig erwartet worden. Im Iran zeigte eine Rekordbeteiligung an den Wahlen von über 80 Prozent das Maß der Hoffnung an. Schon in der Woche vor dem Urnengang war Teheran Schauplatz von Massendemonstrationen der verschiedenen Lager. Oppositionelle Demonstrationen gehören im islamischen Staat nicht zur Tagesordnung – seit der blutigen Niederschlagung der politischen Opposition Anfang der achtziger Jahre hatte es nur einmal, nämlich 1999 große Proteste und sogar Ausschreitungen von Studierenden in der Hauptstadt gegeben. Nun marschierten Hunderttausende Anhänger der Reformkandidaten unter den Parolen "Nieder mit der Diktatur" und "Freiheit" durch die Straßen. Junge Menschen tanzten im Angesicht der
Politik : Ahmadinedschad hat geputscht
Sollte Ahmadinedschad mit seiner Wahlfälschung durchkommen, wäre der Pluralismus der iranischen Eliten am Ende und eine Reformperspektive auf lange Sicht verstellt
Von
Pedram Shahyar
der ohnmächtigen religiösen Sittenpolizei in grünen Farben der Mussawi-Kampagne. So groß die Hoffnungen gewesen waren, so heftig war der Schock, als das Innenministerium Ahmadinedschad mit einem unglaublichen Zwei-Drittel-Ergebnis zum Sieger erklärte.Dass Wahlen im Iran gefälscht werden, ist keine Neuigkeit. Vor vier Jahren lag in den frühen Morgenstunden Karrubi vor Rafsandschani und Ahmadineschad – und war nur zwei Stunden später auf Platz 3 gelandet. Viele wussten seinerzeit von den Manipulationen und beklagten sich – hielten sich aber zurück. Diesmal aber hatte man es nicht mehr nur mit normalem Betrug zu tun. Das angebliche Wahlergebnis ist eine politische Demütigung der innerstaatlichen Opponenten durch die Fraktion um Ahmadinedschad.Das Wort "Sieg" sollte vermieden werdenDer renommierte Regisseur Machmalbaf, der gerade in Paris eine Art inoffizieller Sprecher Mussawis geworden ist, hat beschrieben, wie am Freitagabend relativ kurz nach der Wahl das Innenministerium Mussawi über seinen Sieg informiert hatte. Darauf hin ist der geistliche Führer Chamenei informiert worden, der das Ergebnis akzeptierte und den Reformkandidaten zu ruhigen Siegesfeiern aufrief. Das Innenministerium informierte auch die reformorientierte Presse und verlangte von dieser, keine reißerischen Schlagzeilen zu produzieren. Das Wort "Sieg" sollte vermieden werden. Vor diesem Hintergrund erklärte sich Mussawi zum Sieger der Wahl.Kurz darauf kamen die öffentlichen Hochrechnungen und nun wurde Ahmadinedschad zum Gewinner erklärt. Seither gehen immer mehr Iraner auf die Straße – sie glauben den öffentlichen Beteuerungen nicht mehr. Der Protest gegen die Wahlfälschung hat historische Ausmaße angenommen – ebenso wie die gewaltsame Reaktion der noch amtierenden Regierung. Doch der Betrug ist so offensichtlich, dass das Leitmedium der Reformer, die Zeitung Djebheye Moshakerat inzwischen von Putsch spricht. Ein Ruf, der sich längst auch auf die Straßen übertragen hat: "Dolate Kudetah – Estefah! Estefah!, rufen dort die Menschen: "Putschregierung – Rücktritt".Dieser Putsch ist eine Zäsur im politischen System des islamischen Staates. Der Reformprozess, der unter Chatamis Präsidentschaft begann, scheiterte zunächst im Establishment. Der zivilgesellschaftliche Geist war aber nicht zu brechen und die sozialen Bewegungen und Proteste sind nicht eingeschlafen. Unter diesem Druck sind die iranischen Eliten längst in viele Lager zerfallen. Teile der Konservativen, wie etwa der Oligarch Rafsandschani oder der Superfunktionär und Atomunterhändler Laridschani haben sich hinter Mussawi gestellt. Dies stärkte die Ressourcen der Reformer, schwächte aber ihre Legitimität.Soziale Frage gegen politische FreiheitAhmadinedschad stützt sich auf die zweite Generation im Staatsapparat des islamischen Staats, die sich noch nicht so bereichert hat. Mit einem scharfen Profil gegen die korrupten Oligarchen der ersten Revolutionsgeneration, für die symbolhaft Rafsandschani und seine Familie stehen, und mit einer Sozialpolitik der direkten Verteilung von Lebensmitteln, konnte er sich eine gewisse soziale Basis in den armen und ländlichen Bevölkerungsschichten aufbauen. Er stand für einen sozialen und religiösen Autoritarismus und brachte die soziale Frage so gegen die Forderung nach politischen Freiheiten in Stellung.Daraus ergibt sich die größte Schwäche der aktuellen Herausforderer. Auch wenn Mussawi ein neo-keynesianisches Programm und Karrubi bereits bei der letzten Wahl ein Grundeinkommen für alle Iraner versprachen: Ihre alten und neuen Verflechtungen mit den mächtigen Hintermännern der Vergangenheit störten von Anbeginn ihre Glaubwürdigkeit, stellten die Wahlprogramme – politische Emanzipation des Landes und Bekämpfung der sozialen Nöte der ärmeren Schichten – immer auch ein wenig in Frage.Natürlich ist Iran keine Demokratie, und die politischen, kulturellen Freiheiten sind sehr begrenzt. Das islamische Regime ist aber bisher politisch relativ modern in dem Sinne, dass die Funktionseliten plural waren und pluraler wurden. Der gegenwärtige Putsch ist ein Schlag gegen diesen Pluralismus. Sollte Ahmadinedschad durchkommen, meint Chatamis früherer Vizepräsident, der heutige Promi-Blogger Abtahi, dass in diesem Fall jegliche Möglichkeit von Reformen auf Jahre hinaus blockiert wäre.Zur Stunde gehen in Teheran und anderswo die Demonstrationen weiter – trotz Verbote und trotz der gewaltsamen Übergriffen von Schlägertrupps und Milizen. Es gibt nun kein Zurück mehr – entweder festigt eine Fraktion der Eliten ihre Machtperspektive und begräbt jegliche Reformperspektive auf längere Zeit. Oder dieser Putsch wird durch eine sanfte Revolution verhindert. Die Iraner sind darin nicht unerfahren.