Die „Samstags gehört Papi mir“- Zeit geht zu Ende. Und das ist eine gute Nachricht. Denn neues Engagement von neuen Vätern für ihre Kinder und Familien bricht eingeübte Rollenmuster auf, löst alte gesellschaftliche Frontstellungen auf, lässt einen kruden biologischen Determinismus („Männer sind eben so…“) ins Leere laufen und leistet im besten Fall seinen Teil, die Arbeitswelt in Richtung Lebenszufriedenheit zu verändern. Aber – und das ist die schlechte Nachricht – die Väter, die sich nicht auf die Ernährer- und Bestraferrolle reduzieren lassen wollen, zahlen einen hohen Preis. Denn nun gehört „Papi“ nicht nur samstags der Familie, sondern „Papi“ gehört immer allen
Politik : Wann ist eine Familie?
Das Engagment von Vätern bricht nicht nur Rollenmuster auf, es verändert auch das Selbstbild: Vaterschaft ist heute virtuell. Leider fehlt dafür die Anerkennungskultur
Von
Robert Habeck
len.Er soll eben beides sein: Geldbeschaffer und Sandkastenfreund. Er soll gleichzeitig da und weg sein. An zwei Orten, zu Hause und bei der Arbeit sein, hier und da, in zwei Leben gleichermaßen anwesend, gleichzeitig liebender und fürsorglicher Papi sein und den Unterhalt der Familie sichern, – irgendwie fordert Vater zu sein, sich zunehmend virtuell zu begreifen. Mit dem 21. Jahrhundert ist die Vaterschaft an zwei Orten zugleich gefordert, im Beruf und in Privaten, sie ist eher ein Anspruch als von dieser Welt. Sie ist virtuell. Mit dem Handy in der Hosentasche sind Väter immer erreichbar, und fällt das Kind von der Schaukel oder ist der Mathe-Lehrer krank, werden sie ganz selbstverständlich angerufen, um ihr Kind abzuholen, zum Arzt zu fahren oder Mittagessen zu kochen. Gefragt ist Multi-Tasking, viele Dinge gleichzeitig zu machen. Gefragt ist eine doppelte Anwesenheit an zwei Orten gleichzeitig, der Arbeit und der Familie.Für berufstätige Mütter ist das seit Jahrzehnten ein bekanntes Problem, und Selbstmitleid der Männer ist wirklich unangebracht und soll hier gar nicht eingeheimst werden. Dennoch sind die Probleme der neuen Väter nicht deckungsgleich mit denen emanzipierter Mütter. Denn die Vorzeichen sind andere. Wenn Frauen mit Kindern Karriere machen, dann machen sie das trotz der Kinder. Das Spannungsverhältnis zwischen Berufs- und Privatleben wird bei Frauen als faktisches Problem akzeptiert – und das in einem tragisch hohen Maß, das den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen für exakt die gleiche Arbeit im Durchschnitt noch immer 24 % auseinanderklaffen lässt.Emanzipation der MännerWenn Väter Karriere machen, dann spielt die Frage, ob sie Kinder haben, keine Rolle. Wenn Väter Mehrarbeit mit Verweis auf Kinder ablehnen, ernten sie irritierte Reaktionen und selten Verständnis. Wenn Frauen Teilzeit arbeiten, weil sie Kinder haben, dann ist das ein Mehr als erwartet, wenn Männer Teilzeit arbeiten, ist es ein Weniger. Oft liest man, dass es neben der Emanzipation der Frauen ab den 70er Jahren auch eine Emanzipation der Männer gibt. Doch schaut man genau hin, verlaufen die Bewegungen in umgekehrte Richtungen. Die Frauen streben nach öffentlicher Teilhabe, beruflicher Gleichstellung, nicht nur formalen, sondern auch ausgefüllten gleichen Rechten. Die Männer hingegen emanzipieren sich genau von dem, was die Frauen anstreben. Sie suchen sich eine neue Rolle im Privaten, und das geht – wie die Frauen schon immer wussten – nicht ohne Einbußen im Wirtschafts-Arbeitsleben. Und so ist das eigentliche Problem der verwirrten, neuen Väter, dass es keine Anerkennungskultur für die Suche nach ihrer neuen, virtuellen Rolle gibt.Die online-Enzyklopädie Wikipädia definiert den Begriff „virtuell“ so:„Als virtuell gilt die Eigenschaft einer Sache, die nicht in der Form existiert, in der sie zu wirken scheint, aber in ihrem Wesen und ihrer Wirkung einer real existierenden Sache gleichartig ist. Das Wort führt über den französischen Begriff virtuel (fähig zu wirken, möglich) zurück auf das lateinische Wort virtus (Tugend, Tüchtigkeit, Kraft, Männlichkeit).“Das Wort „virtuell“ kommt vom Lateinischen „vir“, das wiederum „Mann“ oder „Ehemann“ bedeutet. Die männlichen Attribute, seine Fähigkeiten, „Tugend, Tüchtigkeit, Kraft, Männlichkeit“, sie heißen „virtus“. „Virtuell“ also überführt die männlichen Tugenden ganz wörtlich in die Gegenwart und fordert ihre Neubestimmung. Und damit überschreitet der Väter-Diskurs die Grenze des Psychologischen. Weil die alte Ordnung eine männlich dominierte war, fordert der Umbruch, den die Krise der Väter anzeigt, letztlich dazu auf, die gesellschaftlichen Verschiebungen insgesamt in den Blick zu nehmen und weiter zu fragen, wie darauf politisch und kulturell zu antworten ist.Familie als Ort der FreiheitNeben den Organisationsformen der Arbeitswelt betrifft das vor allen Dingen die Familie. „Familie“, das klang immer konservativ, nach Rückzug und Zwang, nach etwas, von dem man sich frei machen musste. Unter den Vorzeichen einer neuen, suchenden, nicht autoritären Männlichkeit, wird Familie plötzlich zu einem Ort neuer Freiheit. Die Beziehung zwischen Vater, Kind und Mutter ist den neuen Vätern eher eine Aufgabe, nichts selbstverständlich Gegebenes.Neue Vaterschaft bedeutet, das Kind als einen Fremden zu sehen, als einen eigenen Menschen, der einem überantwortet ist, an den man aber keine Ansprüche zu stellen hat. Einem Fremden gegenüber hat man ein viel größeres Maß an Verantwortung als gegenüber jemandem, der einem sowieso schon gehört und eigen ist. Freundschaft und das Vertrauen müssen stets neu erarbeitet und bewiesen werden. Vaterschaft, so verstanden, ist keine Tauschbeziehung, sondern bricht mit ökonomischen Betrachtungsweisen. Damit verändert sich aber der ganze Familiendiskurs.Schon die Frage „Was ist eine Familie?“ kann so gar nicht mehr gestellt werden, weil sie eine ganzheitliche, vielleicht metaphysische, gar religiöse Antwort nahelegt. Sinnvoller sollte man fragen, „Wann ist eine Familie?“ oder genauer: „Wann und wie findet Familie statt?“. Eine populäre Antwort ist, „Familie ist da, wo Kinder sind.“ Politisch ist sie nicht falsch, denn sie soll ja eine Umschichtung von Geldern in die Kitas, Vorsorge, Schulen, Bildung begründen. Aber sind Familienverhältnisse zwingend auf Kinder angewiesen? Hält man die biologische Antwort für nicht zwingend, wird man „Kinder“ als Antwort nicht hinreichend finden können. Das, was das Verhältnis innerhalb einer Familie ausmachen kann – Fürsorge, Hilfe, Unterstützung, Vertrauen, Zuwendung – das alles ist am Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern deutlich zu machen. Denn das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen ist zunächst einseitig. Aber es lässt sich eben nicht auf Kinder beschränken. „Familie“ ist eine exemplarische Form für Beziehungsverhältnisse – und damit offen für viele Konstellationen.Gegenseitige FürsorgeFamilienbeziehungen meinen die Hinwendung von Menschen zu einem anderen, aber immer einzelnen, besonderen Menschen. Mit Familienbeziehungen verbindet sich ein starker individueller Daseinsanspruch. Und gleichzeitig sind Menschen, die sich als Familienmitglieder betrachten, nicht egoistisch, denn sie teilen das Wissen und bestenfalls auch die Erfahrung, dass viele andere Kinder dieses Individualitätsversprechen bekommen haben. Wo Menschen füreinander da sind – unabhängig von Geschlechts-, Alters-, Abhängigkeitsverhältnissen, da sind Familienverhältnisse. Vermutlich wird man eine gewisse räumliche Gebundenheit unterstellen können, also so etwas wie „gemeinsam leben“. Aber selbstverständlich kann es auch engste Beziehungen auf Distanz geben.Vielleicht ist die beste Antwort die, dass Familie da ist, wo man den Alltag teilt und das mit der Perspektive einer gewissen Dauer. Die Studenten in einer WG wären keine Familie, auch falls es diverse sexuelle Verbindungen gäbe, da sie zwar gemeinsam über den Biomarkt ziehen, aber doch klar ist, dass sie in absehbarer Zeit wieder in alle Winde zerstreut sein werden. Die homosexuelle Beziehung, bei der der eine Partner auch noch Vater in einer anderen Beziehung ist, wäre eine Familie – und zwar einschließlich des schwulen Onkels, solange der Verantwortung übernimmt und Zeit und Nerven opfert. Als Akt oder als Geschlechtsbezeichnung: Sex ist so oder so nicht ausschlaggebend.