Staßfurt. Die Bilder des Ende Mai geschändeten jüdischen Friedhofs schockieren. Hakenkreuze, SS-Runen und eingetretene Grabfassungen. In der Stadt ist das Entsetzen groß. Der Oberbürgermeister lädt zu einer Pressekonferenz, auf der er seine Bestürzung und die Bereitschaft der Stadt bekundet, alles zu tun, den Friedhof wiederherzurichten. Das mediale Echo ist gering. Abgesehen von der Lokalausgabe der Magdeburger Volksstimme und zwei Berichten in den regionalen Formaten des Mitteldeutschen Rundfunks erlangt der Vorfall keine Aufmerksamkeit. Als wenige Wochen später einige Mitglieder einer Fraktion des Staßfurter Stadtrates einer Resolution gegen Antisemitismus die Zustimmung mit dem Hinweis verweigern, es habe sich lediglich um eine Sachbesch
Politik : Im toten Winkel
Wie lokale und überregionale Medien mit rechtsextremen Vorfällen umgehen: Es mangelt es an einer lokalen Streitkultur und am Bewusstsein für die Folgen des Verschweigens
Von
David Begrich
achbeschädigung gehandelt, ist dies der Lokalausgabe der Volksstimme nur noch eine Notiz wert.Magdeburg. Nach dem WM-Spiel Deutschland gegen Spanien randalieren rechte Hooligans und Neonazis in der Innenstadt. Müllcontainer werden angezündet, Polizisten und Feuerwehrleute mit Flaschen und Steinen angegriffen. Ein im Internet abrufbares Video zeigt grölende Neonazis in „Rudolf Heß“- und „Weiße Wölfe“-T-Shirts, die Polizisten bei einer Personalienfeststellung provozieren. In der Berichterstattung des folgenden Tages über die Magdeburger Ausschreitungen findet sich über die Rolle der Neonazis kein Wort.Salzwedel. Am ersten Juli-Wochenende versammeln sich in der Nähe der Stadt rund 100 Neonazis zum „Schottenfest“ auf einem abgelegenen Gelände. Die regionale Öffentlichkeit nimmt keine Notiz davon.Verzögerte WahrnehmungDrei Ereignisse, die weitgehend ohne mediale Begleitung und öffentliche Debatte geblieben sind. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Eine lautet: Für die Nachhaltigkeit medialer Aufmerksamkeit bei rechtsextremen Ereignissen spielt der Ort eine gewisse Rolle, an dem sie sich zutragen. Trotz des Internet existiert eine große Diskrepanz zwischen Ereignissen, die sich in Großstädten wie Berlin, Leipzig oder München abspielen, und solchen, die in der Fläche der Bundesländer vorkommen. So wäre die in Staßfurt medial völlig untergegangene Ablehnung einer Resolution gegen Antisemitismus durch Teile einer Stadtratsfraktion in einer Metropole binnen kurzem zum Skandal avanciert, weil es dort diskursiv deutungsmächtige und interventionsfähige Akteure gibt. Der Grad medialer Aufmerksamkeit für einen rechtsextremen Vorfall ist eng verknüpft mit der Frage, ob dieser von überregionalen medialen Multiplikatoren überhaupt wahrgenommen und aufgegriffen wird. Geschieht das nicht, unterbleibt eine über die lokale Ebene hinausreichende Bearbeitung des Ereignisses.Ob die Überschreitung dieser medialen Wahrnehmungsbarriere gelingt, hängt wiederum davon ab, wer in der Region ein Ereignis zu thematisieren versucht. Zumeist gelingt es nur deutungsmächtigen lokalen Akteuren, sich in den Medien Gehör zu verschaffen. Eine Bürgermeisterin, ein Amtsleiter oder das Mitglied einer Stadtratsfraktion ist durch die Reputation des Amtes in einem höheren Maß mit Glaubwürdigkeit versehen und verfügt über einen besseren Zugang zu den Medien als etwa eine Asylbewerberin oder ein alternativer Jugendlicher. So gelangen manche Ereignisse nur mit zeitlicher Verzögerung in die Medien – etwa wenn ein anderer Vorfall Anlass für eine Kontextrecherche bietet oder eine Ereignislage eine augenfällige Parallele zu einer zurückliegenden aufweist.Die Ungleichzeitigkeit einer diskursiven Wirkung zwischen überregionaler und lokaler medialen Wahrnehmung eines rechtsextremen Vorfalls ergibt sich, wo ein Ereignis ein bundesweites mediales Echo findet. Die zeitliche Verschiebung, aus der lokale Akteure und Betroffene nicht selten auf eine Ignoranz ihrer Erfahrungen und Sichtweisen schließen, funktioniert in zwei Richtungen. Einerseits werden Berichte über exemplarische regionale Ereignisse in überregionalen Medien von den Betroffenen vor Ort nicht oder nur mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen, da westdeutsche Zeitungen außerhalb der ostdeutschen Universitätsstädte faktisch nicht rezipiert werden. Andererseits sehen sich regionale Medien vielfach erst dann veranlasst, ein Ereignis wie einen rechten Überfall in einem politischen Kontext zu interpretieren, wenn es hierzu eine Deutungsvorlage in den überregionalen Medien gibt.Typische ArgumentationsfigurenDie verzögerte Wahrnehmung sorgt bei den Betroffenen und ihrem Umfeld zunächst für Verunsicherung, um im Falle einer negativen Zuschreibung in eine generelle Abwehrhaltung gegenüber jeglicher Intervention von außen überzugehen. Dieser als Wagenburgmentalität zu beschreibende Prozess schließt diskursiv einen Ort ein – und die Verantwortung für das vorausgegangene Ereignis aus. Typisch sind Argumentationsfiguren, die darauf verweisen, dass die Täter oder Verursacher von Straftaten gar nicht aus dem Sozialraum des Tatortes gekommen seien. Oder dass solche Verursacher sich in anderen sozialen Kontexten als konforme oder gar sympathische Mitglieder des Gemeinwesens gezeigt haben. Eine solche Vorgehensweise schafft einen abwehrbereiten Entlastungsdiskurs, der an Schärfe in jenem Maße zunimmt, in dem sich lokale Akteure von Medien angegriffen oder falsch dargestellt fühlen. Im Gleichschritt damit kann sich eine Verantwortungsumkehr in dem Sinne vollziehen, dass jenen, die Opfer eines rechten Überfalls wurden oder ein Ereignis als solches vor Ort zu thematisieren suchen, die Verantwortung für die Vorgänge zugeschrieben wird.Die These von einer unterschiedlichen Wertschätzung bei der Themenwahl zwischen lokalen und überregionalen Medien ist deshalb behutsam zu verwenden, da sie den Vorwurf impliziert, lokale Medien würden generell an der Verharmlosung rechtsextremer Ereignisse solange mitwirken, bis sie durch den Druck der überregionalen Berichterstattung zu einer Kurskorrektur gezwungen würden. Tatsächlich ist die Sensibilität lokaler Medien für rechtsextreme Ereignisse im zurückliegenden Jahrzehnt erheblich gewachsen. Dennoch gibt es bei Lokalredaktionen eine weitreichende Scheu, rechtsextreme Ereignisse vor Ort als lokalen Konflikt zu thematisieren, wenn damit ein politisches Versagen verantwortlicher Lokalpolitiker im Zusammenhang stehen könnte. Grundsätzlich mangelt es in Ostdeutschland an einer lokalen Streitkultur.Immer wieder wird in Fachdebatten zum Kontext Rechtsextremismus und Öffentlichkeit von Journalisten, Lokalpolitikern und Polizei die Auffassung vertreten, eine breite, kritische Berichterstattung zu einem rechtsextremen Ereignis trüge nur zur Aufwertung der neonazistischen Szene bei. Die Genugtuung, mit der zumindest organisierte Neonazis auf jede Art der medialen Berichterstattung über ihre Aktivitäten reagieren, ist indes Teil der politischen Stilisierung der Szene. Sie sollte deshalb bei Erwägungen, wie ein rechtsextremes Ereignis medial begleitet wird, nicht die Hauptrolle spielen. Dem Argument der diskursiven Aufwertung ist entgegenzuhalten, dass gerade lokale Medien die Atmosphäre einer Stadt oder einer Region mitbestimmen und somit darüber mitentscheiden, ob die Aktivitäten rechtsextremer Gruppen einem Prozess der normalisierenden Akzeptanz oder der symbolischen Sanktion ausgesetzt sind.Alles schon geschriebenEine weitere Ursache für die mediale Unterbelichtung rechtsextremer Ereignisse ist die bei Medienmachern anzutreffende Übersättigung mit dem Thema. Ausgangspunkt und Verlauf rechtsextremer Ereignisse ähneln sich. Journalisten, die auf Neuigkeiten fixiert sind, wenden sich ab: Alles schon mal dagewesen. Dass dieser Gewöhnungseffekt der Öffentlichkeit eine Normalisierung rechtsextremer Ereignisse nach sich zieht, die Übergriffe und Provokationen auf einer Stufe mit Verkehrsdelikten verhandelt, gereicht den Betroffenen rechter Gewalt und jenen, die vor Ort Neonazis öffentlich widersprechen, zum Nachteil und vermittelt Neonazis den Eindruck, dass ihr Handeln ohne Konsequenzen bleibt.Hinzu kommt, dass in medialen Diskursen zum Thema Rechtsextremismus Lerneffekte nicht zu erwarten sind. So gibt es aus Verlauf und Ergebnis der Berichterstattung zu einem Ereignis faktisch keine auf den nächsten Fall übertragbaren Ergebnisse. Daher werden rechtsextreme Ereignisse in einer Region solange als Abfolge von Einzelfällen wahrgenommen, bis sich ein Anlass findet, die regionalen Vorgänge in einem Kontext zu betrachten. Aber auch hierfür bedarf es eines deutungsmächtigen Akteurs.