Politik
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Will die Linkspartei eigentlich regieren?
Die Geschichte der hessischen Grünen lehrt: Wer nur opponieren will, lässt stets die CDU an die Macht. Die Linke braucht jetzt einen Aufstand der Realos
Die Bundestagswahl 2009 und die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 haben deutlich gemacht: In Deutschland hat sich mit dem Einzug der Linkspartei in die meisten westdeutschen Länderparlamente und dem erneuten Einzug in den Bundestag zumindest für absehbare Zeit ein Fünf-Parteien-System etabliert. Auch unter solchen Bedingungen kann eine der "klassischen" Zwei-Parteien-Koalitionen, in diesem Fall Schwarz-Gelb, eine Mehrheit erringen, wie die letzte Bundestagswahl bewies.
Es gab in den letzten Wochen auch Umfragen, die eine Mehrheit für Rot-Grün ohne die Linkspartei gesehen haben. Fakt bleibt aber, dass in einem Fünf-Parteien-Parlament Zweierkoalitionen in der klassischen Rot-Grün oder Schwarz-Gelb-Konstellation seltener werden. Das zwingt die
zwingt die Parteien dazu, sich sowohl von alten Feindbildern zu trennen als auch aus alten Koalitions- und Lagerzwängen zu befreien. Hinzu kommt, dass die Schwächung der beiden Volksparteien SPD und CDU alleine aus demographischen Gründen weitergehen und die Stammwählerschaft aller Parteien im Verhältnis zu allen Wahlberechtigen immer kleiner wird. Die vor der Bundestagswahl gepflegte „Ausschließeritis“ von der SPD gegen die Linkspartei, von der FDP gegen die GRÜNEN, von den GRÜNEN gegen eine Jamaika-Koalition und von der Linkspartei gegen jede Regierungsbeteiligung hatte zwar oft nachvollziehbare inhaltliche, innerparteiliche und/oder wahltaktische Gründe. Faktisch hat sie allerdings dazu geführt, dass Angela Merkel und die Große Koalition als alternativlos wahrgenommen wurden, wie die für Bundestagswahlen extrem niedrige Wahlbeteiligung gezeigt hat. Die gefühlte Alternativlosigkeit zur großen Koalition und die damit verbundene geringe Mobilisierung vor allem potentieller SPD-Wähler hat Schwarz-Gelb am Ende erst möglich gemacht.Keine Ausschließeritis!Aus Sicht von FDP und Linkspartei war ihrer klaren Festlegung auf Schwarz-Gelb bzw. auf Opposition ein kurzfristiger taktischer Erfolg beschieden. Eine langfristige Strategie stand allerdings sowohl bei der „marktradikalen“ wie auch bei der „staatsradikalen“ Partei nicht hinter den Entscheidungen. Schon bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen wurde dieselbe Festlegung der FDP („Schwarz-Gelb oder der Tod“) nicht mehr honoriert. Und die Tatsache, dass Bündnis 90/Die Grünen in NRW eine Koalition weder mit der Linkspartei noch der CDU ausgeschlossen hatten, wurde nicht etwa bestraft, sondern belohnt. Offensichtlich wird immer mehr Wählerinnen und Wählern klar, dass, wenn alle alles ausschließen, am Ende nichts mehr geht. Die Ausschließeritis muss nach meiner festen Überzeugung endlich ein Ende haben. Das gilt nicht nur für Bündnisse, die einem, je nach politischem Standpunkt, sympathisch sind, sondern für alle Konstellationen.Es ist völlig klar, dass jede der drei rechnerisch möglichen Dreierkonstellationen hoch kompliziert wäre: Jamaika und die Ampel sind mit der FDP verbunden - mehr muss man dazu kaum sagen. Auch Rot-Grün-Rot wäre angesichts der Tatsache, dass die Linkspartei, was oft vergessen wird, eine Anti-Rot-Grün-Gründung ist, sicher alles andere als ein Selbstläufer.Trotzdem: Es geht nicht um Sympathie und Antipathie, sondern um die Frage, was in der Sache geht oder nicht geht. Bevor es allerdings um die Frage gehen kann, welche inhaltlichen Schnittmengen es gibt, stellt sich bei der Variante Rot-Grün-Rot eine Frage, die dringend beantwortet werden muss, und zwar von der Linkspartei: Will die Mehrheit der Linkspartei eigentlich regieren? Die Tatsache, dass PDS und später Linkspartei von der Mehrheit der anderen Parteien lange als Schmuddelkinder behandelt wurden, hat es ihr bisher sehr leicht gemacht. Bislang musste sie auf diese Frage nie eine ernsthafte Antwort geben. Die Ereignisse rund um die Bundespräsidentenwahl haben allerdings erneut die drängende Frage aufgeworfen: Ist die Linkspartei in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, oder bleibt sie auf Bundesebene eine reine Protest- und Oppositionspartei?Lehren aus den hessischen VerhältnissenAuch die Grünen waren 1982 auf Opposition gepolt Als Grüner stelle ich diese Frage ohne Häme, aber nicht rhetorisch, sondern mit großer Ernsthaftigkeit. Als die GRÜNEN 1982 in den Hessischen Landtag einzogen, waren sie absolut auf Opposition gepolt: Man wollte den Protest ins Parlament tragen und vor allem der SPD und Holger Börner zeigen, was man unter anderem von dem von ihnen getragenen Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen hielt. Gerade dieser Protest war es, der zu den damals sensationellen 8 Prozent für die GRÜNEN geführt hatte. Es folgten die ersten „hessischen Verhältnisse“: Die FDP war aus dem Parlament geflogen, weder SPD noch CDU hatten die Mehrheit, die GRÜNEN stimmten gegen alles und sahen genüsslich zu, wie der geschäftsführende Ministerpräsident Holger Börner weder bei den Fundi-Grünen noch bei der Fundi-CDU unter Alfred Dregger Mehrheiten für seine Politik fand.Als Holger Börner nach einem Jahr entnervt Neuwahlen herbeiführte, kam die FDP wieder ins Parlament, die SPD gewann hinzu und die GRÜNEN sackten auf 5,9 Prozent ab. „Klare Verhältnisse“ gab es erneut nicht, aber bei den GRÜNEN setzte, nicht zuletzt durch das Wahlergebnis, ein Umdenken ein. Die Realos begannen, gegen den Kurs der immerwährenden Fundamentalopposition aufzubegehren. Ihnen war klar, dass bei nochmaligen Neuwahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die GRÜNEN aus dem Parlament fliegen und eine schwarz-gelbe Mehrheit mit einem Ministerpräsidenten Alfred Dregger das Ergebnis wäre. Innerhalb der hessischen GRÜNEN begann eine jahrelange, heftige Auseinandersetzung, von der die damals auf Realo-Seite Beteiligten heute noch mit Entsetzen berichten, die sie aber bis heute für bitter notwendig halten. Der Weg führte von der erstmaligen Mit-Wahl Holger Börners zum Ministerpräsidenten über die erste Tolerierungsvereinbarung bis zur ersten rotgrünen Koalition 1985 und damit verbunden der erstmaligen Übernahme von Regierungsverantwortung durch den Umweltminister Joschka Fischer.Die Linkspartei muss Farbe bekennenDie Linkspartei ist vor allem eine Anti-SPD-Gründung - mehr noch als die GRÜNEN, die ja ein originär neues Thema auf die politische Agenda gesetzt haben. Umso dringender muss die Linkspartei die Frage beantworten, ob sie bereit ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Von 1990 bis 2002 gab es eine PDS-Fraktion, seit 2005 gibt es eine Linksfraktion im Bundestag. Bei der Mehrheitsfindung spielte sie allerdings nie eine Rolle. 20 Jahre hatte Gregor Gysi Zeit, sich auf den Moment vorzubereiten, an dem seine Stimme im Bundestag Gewicht hat. Am 30. Juni war der Moment da – und wie so oft bei historischen Momenten kam er unerwartet. Trotz deutlicher schwarz-gelber Mehrheit in der Bundesversammlung verfehlte der Kandidat Christian Wulff im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit deutlich.Debakel Wulff gegen GauckUnd, mit Verlaub, die Linksfraktion bot ein jämmerliches Bild. Gregor Gysi jammerte, dass er es ja nie für möglich gehalten hätte, dass Schwarz-Gelb trotz dieser Mehrheit den Kandidaten durchfallen lassen würde. Oskar Lafontaine schlug zwischen erstem und zweitem Wahlgang ernsthaft Klaus Töpfer (CDU) als Kandidaten von Rot-Grün-Rot vor, ohne den jemals gefragt zu haben und mit der absurden Vorstellung, SPD und GRÜNE würden nach 30 Tagen enthusiastischer Zustimmung mal eben ihren Kandidaten Joachim Gauck fallen lassen. Linkspartei-Realos erklärten im Zwiegespräch ernsthaft ihre Befürchtung, dass bei einer Freigabe der Abstimmung die eine Hälfte Gauck und die andere Hälfte Wulff wählen würden. Die neu gewählten Parteivorsitzenden der Linkspartei waren nirgendwo zu vernehmen, stattdessen erklärte Diether Dehm, dass er die Entscheidung Wulff gegen Gauck nicht akzeptiere, das sei ja wie die Wahl zwischen Hitler und Stalin. Ich saß stundenlang im Plenarsaal und dachte an wirklich schwierige Entscheidungen der letzten 12 Jahre. Auch der 11. September 2001, die Bankenkrise oder die Kreditunwürdigkeit Griechenlands kamen ohne große Vorankündigung. Jede Krise hat ihre Vorgeschichte, natürlich. Trotz aller Vorgeschichten, die sich meist eigenem Einfluss und eigener Verantwortung entziehen: Zum Regieren gehört die Fähigkeit zur schnellen Entscheidung und, mit Verlaub, die Fähigkeit zum Kompromiss.Der von Gregor Gysi gemachte Vorwurf, dass die Linkspartei vor der Nominierung von Joachim Gauck nicht gefragt wurde und sich Rot-Grün nicht auf die Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten mit der Linkspartei gemacht habe, hört sich im ersten Moment zwar schlüssig an. Wer allerdings drei Sekunden nachdenkt, dem fällt auf, dass sich in diesem Vorhalt das ganze Dilemma der Linkspartei zeigt: Offensichtlich war Gysi gar nicht präsent, dass auch SPD, Grüne und Linkspartei zusammen keine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. Es ging Rot-Grün also nicht nur darum, vorhandenen Unmut bei Schwarz-Gelb zu nutzen, sondern auch einen Kandidaten mit dem Potential der Mehrheitsfähigkeit zu präsentieren. Wäre Wulff im ersten Wahlgang gewählt worden, dann hätte sich die Linkspartei wohlig um Luc Jochimsen versammelt und wäre zufrieden nach Hause gefahren. Fast bin ich versucht, der Linkspartei zuzurufen, dass es nicht reicht, die Verhältnisse unterschiedlich zu interpretieren, sondern dass es ihr darum gehen müsste, sie zu verändern!Was mich nach der Vorgeschichte fast noch mehr erschütterte, war die absolut geschlossene Enthaltung der Linksfraktion im dritten Wahlgang. Zurück zu den Verhältnissen der hessischen Grünen 1983: Ich warte jetzt auf den Aufstand der Realos, dem Teil der Linkspartei, dem der Unterschied zwischen Politik und Religion, zwischen Handeln und Besserwissen, zwischen Machen und Fordern bewusst ist. Natürlich ist es wichtig und richtig, in diversen Zirkeln persönliche Kontakte zu anderen Parteien aufzubauen und sowohl gemeinsame inhaltliche Schnittmengen als auch Widersprüche auszuloten. Ohne den Mut, innerparteiliche Entscheidungen durchzukämpfen, wird das am Ende allerdings nichts nützen. Innerparteiliche Geschlossenheit ist wichtig, aber sie wird zur Friedhofsruhe, wenn damit Unvereinbares zugedeckt wird. Drei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl sind keine lange Zeit. Die Linkspartei muss bald sagen, wo sie 2013 steht.