Nach den Todesfällen bei einer Therapiesitzung in Berlin: Was da schiefgegangen ist, heißt Psycholyse und ist nicht so schlecht, wie es die Presse gerade darstellt
Psycholytische Therapie. In diesen Tagen klingt das wie Scharlatanerie und ärztliche Fahrlässigkeit. „Das ist der Todestherapeut!“, titelte Bild neben dem Foto des verhafteten Arztes und Psychotherapeuten Garik R. In seiner Berliner Praxis waren bei einer Gruppensitzung illegale Substanzen eingenommen worden. Zwei Patienten starben. Unklar ist bis Redaktionsschluss, welche Substanzen der Arzt verabreicht hatte. Vermutlich hat Garik R. entweder in unverantwortlicher Weise selbst einen „Drogenmix“ zusammen gebraut oder er hat sich auf dem Schwarzmarkt Drogen beschafft. Viele der dort angebotenen Substanzen sind künstlich „gestreckt“, unter Umständen auch mit lebensgefährlichen Stoffen.
Die Reaktion der Öffentlichkeit war einsti
war einstimmig. Mit Psychotherapie habe das alles nichts zu tun, so Vertreter der Ärzteschaft, solche Verfahren seien ohne wissenschaftliche Basis. Die Deutsche Ärzte-Zeitung sprach von „fatalen Séancen in paramedizinischer Maskerade“. Tatsächlich hat die Psycholytische Therapie durchaus einen wissenschaftlichen Hintergrund. Seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Wirkung und therapeutische Nutzbarkeit psychoaktiver Substanzen an Universitäten erforscht. Die Ergebnisse waren überaus vielversprechend. Um aber ein abschließendes Urteil zu fällen, hätten weitere Forschungen stattfinden müssen. Diese jedoch wurden weltweit bereits in den siebziger Jahren verboten. Und das nicht etwa, weil forschungsinterne Gründe dafür sprachen, sondern weil die zum Teil für medizinische Zwecke entwickelten Substanzen außerhalb der Forschungseinrichtungen in der Drogenszene außer Kontrolle gerieten.Bis zu diesem generellen Verbot lagen Studien etwa von Kurt Beringer an der Universität Heidelberg, von Hanscarl Leuner an der Universität Göttingen und von Stanislav Grof an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore vor. In allen Fällen waren Substanzen wie Meskalin, Psilocybin und insbesondere LSD als hochpotente Mittel bezeichnet worden, denen in der Psychotherapie eine große Zukunft bevorstehe.Erweitertes BewusstseinDas generelle Verbot führte dann allerdings dazu, dass über Jahrzehnte hinweg Forschungen nur noch selten stattfanden: hauptsächlich in der Schweiz und den USA. So durchleuchtete der Hirnforscher Franz Vollenweider an der Universität Zürich die Wirkung von Psilocybin vermittels der Positronen-Emissions-Tomografie. Die Neuropharmakologie psychoaktiver Substanzen sowie die Wirkung veränderter Bewusstseinzustände plant eine Arbeitsgruppe an der Medizinischen Hochschule Hannover zu untersuchen. Klar ist, dass gerade die Neurowissenschaften einiges von einer Freigabe der Forschung profitieren könnten.Auch in Deutschland hoffen also Forscher darauf, dass sich die Rechtslage bessert. An der Universität Heidelberg läuft ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt der Abteilung für medizinische Psychologie. Die umfangreiche wissenschaftliche Vorstudie der Arbeitsgruppe um Henrik Jungaberle, Therapie mit psychoaktiven Substanzen, ist 2008 erschienen.Garik R. hatte offenbar auch das Amphetamin MDMA verwendet. Zahllose Psychotherapeuten in aller Welt haben mit MDMA gearbeitet. Forschungsergebnisse liegen unter anderem aus den USA vor. So ist an der Universität South Carolina 2006 eine Studie über die Verwendung von MDMA bei Patienten mit Posttraumatischen Belastungsstörungen entstanden, in die auch traumatisierte Soldaten der Kriege in Afghanistan und dem Irak einbezogen wurden. Verglichen mit einer Kontrollgruppe, die nur eine einfache Psychotherapie erhielt, war eine statistisch signifikante Besserung der Erkrankungen zu beobachten.Einige Studien befassen sich mit der möglichen Schädlichkeit solcher Therapien. In kontrolliertem Rahmen und bei niedriger Dosierung, so die vorläufigen Ergebnisse der Forscher, sind die Nebenwirkungen und Gefahren der MDMA-Therapie zu vernachlässigen. Eine Suchtgefahr besteht keinesfalls.In der Schweiz und Deutschland arbeiten daher zahlreiche Ärzte und Psychotherapeuten mit psychoaktiven Substanzen. Sie bleiben zwangsläufig „im Untergrund“, aber kennen sich zumeist gegenseitig. Entweder wurden sie bei Pionieren der Psycholytischen Therapie in der Schweiz ausgebildet oder sie treffen sich auf Kongressen und Symposien, wie sie etwa vom Europäischen Collegium für Bewusstseinsstudien an den Universitäten Göttingen und Heidelberg durchgeführt wurden.Bleibt die Frage, ob die von Garik R. durchgeführte Therapie vielleicht „esoterisch“ war und schon von daher suspekt. Garik R. gehört offenbar zu den Schülern Samuel Widmers, der gegenwärtig als „Sex-Guru“ durch die Boulevardpresse geistert. Der Psychiater Widmer hat im Schweizerischen Lüsslingen eine Art Kommune gegründet, die aus der Konkurrenz- und Machtgesellschaft ausgestiegen ist, um eine Gemeinschaft der Liebe zu verwirklichen. Widmer ist umstritten. Doch sind dessen psychologische Auffassungen kaum weniger „esoterisch“ als die von den deutschen Kassen zugelassene analytische Methode nach C. G. Jung.Besonders esoterisch klingt es jedenfalls nicht, wenn der Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie, Dr. Peter Gasser, in Reaktion auf den Fall Garik R., die Ziele dieser Behandlungsmethode so ausdrückt: Sie wolle „eine intensive Begegnung mit sich selbst und anderen Menschen auf einer tieferen Wahrnehmungsebene, nicht nur intellektuell“.