Wer hätte das gedacht: In vielen Regionen dieser Erde wird es grüner. Während die Umweltorganisation WWF die Alarmglocken läutet, weil weltweit jede Minute 36 Fußballfelder Wald durch Kahlschlag oder Brand verloren gehen, erobern mancherorts junge Bäume, Sträucher oder Blümchen neue Territorien. Was wie eine gute Nachricht klingt, ist indes nur eine Seite der Medaille. Die andere bietet eher Grund zu Skepsis: Denn der grüne Trend ist eine vorläufig positive Begleiterscheinung einer sonst katastrophalen Klimaentwicklung – mit unkalkulierbaren Folgen für die Artenvielfalt unseres Planeten.
Dass der Klimawandel manche paradoxe Blüte treibt, lässt sich ausgerechnet auf jenem Kontinent beobachten, der voraussichtlich am h
h am härtesten vom Treibhauseffekt getroffen werden wird: Afrika. Während weite Teile Ostafrikas von einer schweren Dürre betroffen sind, das Weideland verwüstet ist, lässt sich in vielen Gebieten der Sahel-Zone Überraschendes beobachten. In dem immer wieder von Hungersnöten und Trockenheit geplagten Landstreifen, der sich südlich der Sahara quer über den Kontinent legt, wird es vielerorts wieder grüner. Allenthalben bezeugen Satellitenbilder aus den letzten zwei Jahrzehnten neuen Pflanzenwuchs.Auch weiter nördlich, in der zentralen Sahara, sprießt an vielen Stellen frisches Grün. Während anderswo Wüsten neues Terrain erobern, dringt die Sahel-Vegetation nach Norden vor. Auf seinen Reisen in den Sudan und den Tschad konnte Stefan Kröpelin, Geoarchäologe an der Uni Köln, die Entwicklung seit fast drei Jahrzehnten mit eigenen Augen verfolgen: „Wir beobachten eine ganz deutliche Zunahme an Kräutern und Gräsern“, berichtet der Afrikaexperte. „Wo man sich vor zwanzig Jahren noch über jedes millimetergroße Gräschen gefreut hätte, da wächst jetzt eine regelrechte Grasdecke.“ Die Nomaden drängen inzwischen bis in Gebiete vor, die seit Menschengedenken keiner betreten hat, erzählt Kröpelin.Auch in Niger, Burkina Faso und Mali gedeiht es. Vielfach hat die Menschenhand mühevoll nachgeholfen: In Niger beispielsweise haben Bauern Millionen neuer Bäume gepflanzt. Zugleich begünstigt das Wetter die neue Fruchtbarkeit: Wo einst noch knisternde Trockenheit herrschte, gibt es inzwischen häufigere und heftigere Niederschläge. „Es regnet wie nie zuvor“, bestätigt Kröpelin. In einigen Regionen konnten sich die Menschen in den vergangenen Monaten kaum vor den Wassermassen retten.Es grünt so grünÜppigere Zeiten hat die Sahara in der Vergangenheit bereits mehrfach erlebt: Seit Hunderttausenden von Jahren wechseln sich hier feuchte Perioden und krasse Dürrezeiten immer wieder ab. Die letzte Feuchtphase begann vor etwa 11.000 Jahren, und für mehr als fünf Jahrtausende war die heutige Wüste eine fruchtbare Savannenlandschaft. Dann vertrockneten die Bäume, die Grasdecke zog sich zurück. Es entstand die Wüstenlandschaft, wie wir sie heute kennen.Bis heute diskutieren die Klimaforscher darüber, wie dieser Wandel vonstatten ging. Eine Antwort hat Kröpelin mit seinem Team in den Tiefen des vier Quadratkilometer großen Yoa-Sees von Ounianga Kebir im Tschad gefunden: Dessen Sedimente lieferten ihm ein genaues Klimaarchiv der Sahara, das für den Kölner nur einen Schluss zulässt: „Die Verwüstung der Sahara war ein schleichender Prozess.“ Für die These spricht, dass auch die prähistorischen Siedler nur ganz allmählich gen Süden abwanderten. Victor Brovkin, Klimamodellierer am Hamburger Max-Planck-Institut für Metereologie hat verschiedene Szenarien am Computer durchgespielt, mit einem etwas anderen Resultat: „Der Umschwung könnte, zumindest in der West-Sahara, relativ abrupt gekommen sein.“Die Frage ist nicht nur von akademischem Interesse, denn Forscher stützen auf die Historie ihre Prognosen für die Zukunft. Und wie die in Sahel und Sahara aussehen wird, bleibt bis heute umstritten. Dabei wird nicht nur über die Geschwindigkeit eines möglichen Klimawechsels debattiert. Auch in welche Richtung die Klimareise gehen soll, ist alles andere als klar, erklärt Brovkin: Während manche Studien der Region ein trockeneres und heißeres Klima vorhersagen, prophezeien andere eine regenreiche Zukunft. Die Gegend gilt als besonders unwägbar, denn sie reagiert auf kleinste Temperaturschwankungen und veränderte Niederschläge. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Monsunwinde. „Die Monsune tragen die Feuchtigkeit vom Atlantik weit in die Sahara hinein“, erläutert Kröpelin.Sein russischer Kollege Brovkin hat das komplizierte Zusammenspiel zwischen menschengemachter Erderwärmung und natürlichen Temperaturschwankungen im Atlantik am Rechner durchgespielt: „Einige Modelle ergeben, dass der westafrikanische Monsun in Zukunft noch an Stärke gewinnen könnte“, erläutert er. Und das würde eine Fortsetzung des grünen Trends bedeuten.„Die Sahara könnte langfristig – in vielen hundert oder gar tausend Jahren – wirklich wieder zu einem Savannenland werden“, glaubt auch Kröpelin und schränkt sogleich ein: „Aber selbst ein positiver Klimatrend wird nicht viel ausrichten, wenn die Bevölkerung in der Region weiter exponentiell wächst und die Landnutzung in gleichem Maße zunimmt.“Das mildere Klima verhilft nicht nur dem sandigen Ödland in Afrika zu neuem Leben. Rund um den Globus breiten sich Waldflächen aus, Baumgrenzen verlagern sich in ungekannte Höhen oder Richtung Norden. Ein Forscherteam wertete jüngst Daten aus 166 Waldgebieten der Erde aus. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte davon ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts größer geworden.Für das Klima muss das nicht gut sein: Zwar entziehen Bäume der Atmosphäre das Treibhausgas Kohlendioxid. In hohen Breiten aber, etwa in den endlosen Weiten der russischen Taiga, könnte es zu einer von Klimaexperten gefürchteten „Rückkopplung“ kommen. Mathematiker Brovkin simuliert am Computer, wie sich die gedeihende Vegetation auf das Klima auswirkt: „Wälder haben wegen ihrer dunklen Farbe ein geringeres Reflexionsvermögen als Grass oder freie Schneeflächen“, erklärt der Forscher. „Dies führt dazu, dass mehr Sonnenenergie absorbiert wird.“ Dadurch erwärmen sich nach Brovkins Kalkulationen die erdnahen Luftschichten – der Treibhauseffekt würde dadurch noch verstärkt. Andere Wissenschaftler halten dagegen, dass Wälder mit ihren Ausdünstungen die Wolkenbildung begünstigen – und dies hätte eher kühlenden Effekt.Während bei den Klimamodellierern die Rechner heißlaufen, zeigen sich rund um den Globus harte Fakten: Im Norden Kanadas beobachteten Waldexperten schon seit längerem, wie Fichten und Sträucher die einst eher garstige Landschaft überwuchern – und die dort heimischen Tiere wie Karibus und Schafe verdrängen. Jüngste Hinweise kommen von der Ellesmere-Insel: Die zuvor mit Flechten und Moosen bewachsene Tundra verwandelt sich dort an vielen Stellen in eine saftig grüne Buschvegetation, berichtet das Fachjournal Ecology. Satellitenaufnahmen aus Alaska bestätigen den Trend und dämpfen zugleich übereilten Optimismus: Während auch dort die Tundra sprießt, leiden die Wälder im Inland unter zunehmender Trockenheit.Der Einfluss des MenschenAuch auf dem eurasischen Kontinent erobern Bäume neues Areal. Besonders gut lässt sich das im nördlichen Ural beobachten, eine gottverlassene Gegend, deren natürliche Vegetation praktisch unberührt geblieben ist. Ein Forscherteam um den Russen Pavel Moiseev aus Jekaterinburg verglich Fotografien des beginnenden 20. Jahrhunderts mit heutigen Aufnahmen der Region: Wo es einst nur spärlichen Bewuchs gab, wachsen heute Bäume. Deren Verbreitungsgrenze ist um rund 60 bis 80 Höhenmeter nach oben verrutscht, die Wachstumsphase hat sich verlängert.Anders als im Ural lässt sich der Einfluss des Klimas im Alpenraum nur schwer abschätzen, denn seit Jahrhunderten hat der Mensch seine Hand im Spiel gehabt. „Netto sind in den Alpen die Waldflächen im 20. Jahrhundert um dreißig Prozent gewachsen“, berichtet Peter Bebi von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft im schweizerischen Davos. „Zum großen Teil geht der Effekt auf die veränderte Landnutzung durch den Menschen zurück“, erklärt der Alpenexperte. Weil Land- und Forstwirtschaft zurückgegangen sind, konnte der Wald ursprüngliche Wuchsräume zurückerobern.Aber die globale Erwärmung hinterlässt auch hier eindeutige Spuren. Das Hochgebirge ist ein empfindlicher Klimasensor, da die schrumpfenden Schnee- und Eisflächen den Wärmetrend nochmals verstärken. „In den letzten hundert Jahren haben wir im Alpenraum je nach Mess-Station eine Erwärmung von 1 bis 1,7 Grad beobachtet“, berichtet der Gebirgswald-Spezialist. Zum Vergleich: im weltweiten Durchschnitt lag der Temperaturanstieg während des letzten Jahrhunderts bei knapp über 0,7 Grad. „Bei den Bäumen zeigt sich der Klima-Effekt eher langsam“, erklärt er, „tendenziell geht die Waldgrenze in den Alpen aber eindeutig hoch.“ Auffällig ist der Wandel vor allem in den subalpinen Lagen, für die eher eine aufgelockerte Vegetation typisch war: „Hier ist die Bewaldungsdichte in den letzten Jahren eindeutig gestiegen“, sagt Bebi.Positive Reaktion auf WärmeWie einzelne Baumarten auf den Klimawandel reagieren, hat Bebi mit Kollegen in einem Feldversuch am Stillberg bei Davos untersucht: Indem sie die Versuchsfläche mit Begasungsschläuchen und Heizkabeln ausstaffierten, erzeugten die Forscher für das Jahr 2070 prognostizierte Kohlendioxid- und Temperaturwerte. Der simulierte Klimawandel wirkte sich unterschiedlich auf die Bäume aus: Von dem erhöhten Kohlendioxid-Angebot profitierten vor allem die Lärchen, während Bergföhren schon bald Probleme mit Schädlingsbefall bekamen, so der Forscher, „die Föhren reagierten positiv auf Wärme“.Besonders rasch passen sich schnelllebige Pflanzen an: Eine Arbeitsgruppe analysierte 171 Pflanzenarten – darunter auch Kräuter und Farne – in westeuropäischen Gebirgswäldern. Sie kalkulierten, dass sich deren Lebensräume im vergangenen Jahrhundert jede Dekade um durchschnittlich 29 Meter – zeitweise sogar um 65 Meter – nach oben verlagerten.Klare Signale gibt es auch in extremen Höhen: Auf den engen Territorien oberhalb der Waldgrenze, die gerade einmal drei Prozent Europas ausmachen, leben nicht weniger als 2.000 der insgesamt 12.000 europäischen Farn- und Blütenpflanzenarten. Der Gebirgsökologe Harald Pauli von der Universität Wien beobachtet die Flora in diesen scheinbar lebensfeindlichen Lebensräumen schon seit Jahren. „Heute gibt es auf den Berggipfeln viel mehr Arten als noch vor hundert Jahren,“ berichtet er. Doch das muntere Sprießen auf Europas Gipfeln ist nur scheinbar positiv: Die auf Kälte spezialisierten Pflanzen haben immer weniger Rückzugsgebiete, weil Neuzuwanderer von unten vordringen. „Das ist ein knallharter Verdrängungsprozess“, so Pauli. Es gibt schon heute deutliche Anzeichen, dass sich die Artenzusammensetzung vielerorts massiv ändern wird: Auf Kosten von Kältespezialisten wie dem Alpenmannsschild oder dem Gletscherhahnenfuß verbreiten sich eher landläufige Gewächse.Pessimistische Modellrechnungen sagen voraus, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 60 Prozent der alpinen Blütenpflanzen aussterben könnten. Verlässlich sind solche Prognosen nicht: „Dafür ist die Datenlage zu karg“, kommentiert Pauli. Abhilfe soll ein internationales Monitoring-System schaffen: Mehr als 50 Arbeitsgruppen haben sich in dem Netzwerk GLORIA – Global Observation Research Initiative in Alpine Environments – zusammengeschlossen. Beobachtungsstationen in Bergregionen rund um die Erde sollen klimabedingte Veränderungen über lange Zeiträume erfassen – und dafür sorgen, dass Vorhersagen besser werden. Eines ist schon heute klar: Die Welt von morgen wird eine andere sein.