Wir erreichten den Rand des mit Öl verschmutzten Gebiets in der Nähe der nigerianischen Ortschaft Otuegwe nach einer langen Wanderung durch Maniok-Plantagen. Vor uns lag Sumpfland. Wir wateten in das warme, tropische Wasser und begannen zu schwimmen, unsere Fotoapparate und Laptops hielten wir über unseren Köpfen. Wir konnten das Öl lange riechen, bevor wir es sahen. Es stank nach einer Mischung aus Tankstelle und verrottenden Pflanzen. Der Geruch hing schwer in der Luft.
Je weiter wir vordrangen, desto ekelerregender wurde der Gestank. Schon bald schwammen wir in Lachen des leichten, nigerianischen Rohöls – dem qualitativ hochwertigsten Öl der Welt. Eine der vielen hundert Pipelines, die das Niger-Delta durchkreuzen und zum Teil bereits 40 Jahre alt
Übersetzung: Christine Käppeler
Jahre alt sind, war korrodiert und spuckte monatelang Öl aus.Wald und Äcker waren mit einem schimmernden, fettigen Ölfilm bedeckt. Trinkbrunnen waren verseucht, die Menschen verzweifelten. Keiner wusste, wie viel Öl ausgelaufen war. „Wir haben unsere Netze, unsere Hütten und unsere Fischreusen verloren“, sagte Chief Promise, der Vorsitzende des Dorfes Otuegwe und unser Führer. „Hier haben wir gefischt und Ackerbau betrieben. Wir haben unseren Wald verloren. Wir haben Shell nach wenigen Tagen über das Leck informiert, aber sie haben sechs Monate lang so gut wie nichts unternommen.“All das ereignete sich vor ein paar Jahren im Niger-Delta. Nigerianische Wissenschaftler, Autoren und Umweltschutzgruppen sagen, dass die Ölkonzerne ungestraft und so ruchlos gehandelt haben, dass ein Großteil der Region durch Öllecks zerstört wurde.Mehr Öl als im Golf von MexikoTatsache ist, dass aus dem Netzwerk aus Terminals, Leitungen, Pumpanlagen und Ölplattformen im Niger-Delta Jahr für Jahr mehr Öl ausläuft, als im vergangenen Monat durch die Deepwater-Horizon-Katastrophe in den Golf von Mexiko geströmt ist.Die Katastrophe, die elf Arbeiter auf der Plattform das Leben kostete, sorgte weltweit für Schlagzeilen. Im Kontrast dazu erschienen nur wenige Informationen über den Schaden, der dem Niger-Delta zugefügt wurde. Doch die Zerstörungen dort geben uns ein wesentlich genaueres Bild des Preises, der heute für Ölbohrungen bezahlt werden muss.Am ersten Mai dieses Jahres spuckte eine gebrochene Exxon-Mobile-Pipeline im Staat Akwa Ibom in Ibeno sieben Tage lang mehr als eine Gallone Öl in das Delta, bevor das Leck repariert werden konnte. Die Menschen vor Ort demonstrierten gegen den Konzern, doch sie sagen, dass sie von Sicherheitskräften angegriffen wurden. Die Gemeindevorstände verlangen nun eine Milliarde Dollar als Ausgleich für Krankheiten und den Verlust des Lebensunterhalts. Wenige rechnen damit, dass sie Erfolg haben könnten. Unterdessen werden entlang der Küste dicke Teerklumpen angeschwemmt.Wenige Tage nach der Katastrophe in Ibeno wurde die nahegelegene Trans-Niger-Pipeline des Konzerns Shell von Rebellen angegriffen. Auch hier flossen tausende Barrel Öl aus. Wenige Tage später schwammen auf dem Lake Adibawa in Staat Bayelsa und in Ogoniland große Ölteppiche auf dem Wasser. „Wir sind damit konfrontiert, dass aus den rostigen Leitungen, die zum Teil 40 Jahre alt sind, pausenlos Öl ausdringt“, erklärte damals Bonny Otavie, ein Parlamentsabgeordneter aus Bayelsa."Sie wollen, dass wir alle sterben"Williams Mkpa, einer der Gemeindevorstände von Ibeno, schloss sich Otavies Argument an: „Den Ölkonzernen ist unser Leben nichts wert; sie wollen, dass wir alle sterben. In den vergangenen Jahren haben wir zehn Ölkatastrophen erlebt und die Fischer können nicht mehr den Lebensunterhalt ihrer Familien sichern. Das ist nicht hinnehmbar.“Mit seinen 606 Ölfeldern liefert das Niger-Delta 40 Prozent des Rohöls, das in die USA importiert wird. Es ist die Weltmetropole der Ölverschmutzung. Die Lebenserwartung ist in den ländlichen Gemeinden – von denen die Hälfte keinen Zugang zu sauberem Wasser hat – im Verlauf der vergangenen zwei Generationen auf unter 40 Jahre gefallen. Die Einheimischen machen dafür das Öl verantwortlich, das ihr Land verseucht. Sie können kaum glauben, welche Anstrengungen BP und die amerikanische Regierung jetzt unternehmen, um das Ölleck im Golf zu schließen und die Küste vor Louisiana vor Verschmutzungen zu schützen.„Hätte sich dieser Vorfall in Nigeria ereignet, dann hätten ihm weder die Regierung noch der Konzern große Beachtung geschenkt“, meint der Autor Ben Ikari, der zur Volksgruppe der Ogoni gehört. „Solche Katastrophen sind im Delta an der Tagesordnung. Die Ölkonzerne ignorieren das einfach. Die Gesetzgeber kümmern sich nicht darum und die Leute müssen Tag für Tag mit der Verschmutzung leben. Die Situation ist heute schlimmer als vor 30 Jahren. Nichts ändert sich. Wenn ich sehe, welche Anstrengungen nun in den USA unternommen werden, dann erfüllt es mich mit tiefer Traurigkeit, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Was in den USA oder in Europa gemacht wird, ist etwas ganz anderes.“Die Regierung hält die Zahlen zurückEs ist unmöglich zu sagen, wieviel Öl im Niger-Delta alljährlich ausläuft, denn die Firmen und die Regierung halten die Daten geheim. Ein Bericht, den der WWF Großbritannien, die World Conservation Union, Abgeordnete der nigerianischen Regierung und die Nigerian Conservation Foundation zusammengestellt haben, errechnete 2006, dass im Delta im letzten halben Jahrhundert bis zu 1,5 Millionen Tonnen Öl ausgelaufen sind – 50 Mal so viel wie im Zuge der Exxon-Valdez-Katastrophe ins Meer lief. Amnesty kam im vergangenen Jahr auf neun Millionen Barrel Öl und klagte die Ölkonzerne wegen Menschenrechtsverbrechen an.Laut der Zahlen der nigerianischen Regierung gab es zwischen 1970 und 2000 mehr als 7.000 Ölunfälle und offiziell trat an über 2.000 Orten Öl aus. Viele Lecks bestehen seit Jahrzehnten, von den kleineren gibt es Tausende, die darauf warten, repariert zu werden. Allein gegen Shell wurden über 1.000 Klagen eingereicht.Im vergangenen Monat gab Shell zu, dass der Konzern 2009 insgesamt 14.000 Tonnen Öl verlor, das meiste davon durch zwei Zwischenfälle. Im einen Fall sollen Diebe ein Bohrloch auf ihrem Ölfeld in Oididi beschädigt haben, im anderen sollen Aufständische die Trans-Escravos-Pipeline bombardiert haben. Shell behauptet, 98 Prozent der Öllecks würden durch Vandalismus, Diebstahl oder Sabotage durch Aufständische verursacht, nur ein minimaler Prozentsatz sei auf die verfallende Infrastruktur zurückzuführen. „Unsere Sicherheitsventile wurden mutwillig beschädigt; an einer Leitung waren 300 illegale Hähne angebracht. An einer haben wir fünf Sprengstoffvorrichtungen gefunden. Manchmal ermöglichen es uns die Gemeinden nicht, die Umweltverschmutzung zu bereinigen, da ihnen Kompensationszahlungen mehr Geld einbringen“, erklärte ein Sprecher des Konzerns. „Wir haben ein vollzeitbeschäftigtes Katastrophen-Team. Im vergangenen Jahr haben wir über 300 Kilometer Leitungen ersetzt und wir benutzen alle bekannten Verfahren, um die Umweltverschmutzungen wieder zu beheben, unter anderem setzen wir auch Mikroben ein. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, dass wir jede Öllache so schnell wie möglich beseitigen, egal was ihre Ursache ist.“Diese Behauptungen werden von den Gemeinden und von Umweltschutzgruppen stark angezweifelt. Sie machen das Netzwerk aus rostenden Leitungen und Vorratstanks, korrodierenden Pipelines, nahezu brach liegenden Pumpstationen und alten Förderköpfen verantwortlich. Hinzu kommt die Verschmutzung durch die Reinigung der Tanks von Frachtschiffen und Öltankern.Zwischenfälle sind an der TagesordnungDas Ausmaß der Verschmutzung ist irrsinnig. Die nationale Behörde, die für die Aufdeckung und Bewältigung von Ölverschmutzungen zuständig ist (Nosdra), gibt an, dass allein zwischen 1976 und 1997 über 2,4 Millionen Barrel Öl die Umwelt verschmutzten. „Es gab weitreichende Ölunfälle, die in vielen Fällen das Trinkwasser vergifteten und die Vegetation zerstörten. Diese Zwischenfälle sind an der Tagesordnung, da es der aktuellen Regierung an Gesetzen fehlt. Und selbst wenn, hätten sie nicht die Mittel, sie durchzusetzen“, erklärte ein Sprecher der Behörde.Ein Sprecher des Stakeholder Democracy Network in Lagos, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die von den Aktivitäten der Ölfirmen betroffenen Gemeinden zu unterstützen, meint: „Die Reaktion auf den Ölunfall in den USA sollte eine Mahnung dafür sein, wie weit das Ölkatastrophenmanagement in Nigeria von den Standards im Rest der Welt abweicht.“Andere kritische Stimmen weisen darauf hin, dass die Welt über das Ausmaß der Auswirkungen auf die Umwelt hinwegsieht. Ben Amuna von der Londoner Watchgroup Platform erklärte: „Mag sein, dass Deepwater Horizon Exxon Valdez übertroffen hat, doch in ein paar Jahren werden die Ölverschmutzungen durch Offshore-Unfälle an vier Orten in Nigeria das Ausmaß der Exxon-Valdez-Katastrophe um ein Vielfaches in den Schatten stellen. Was die Schätzungen des Ölvolumens, das im Niger-Delta austritt, betrifft, so ist das Rohöl, das durch Abwässer und dort, wo Gas abgefackelt wird, austritt, noch nicht mit einberechnet. Firmen wie Shell verhindern weiterhin unabhängige Kontrollen und halten ihre Daten geheim.“Gut möglich, dass es noch schlimmer kommen wird. Ein Brancheninsider, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: „In den kommenden Jahren ist davon auszugehen, dass die großen Ölunfälle zunehmen werden, da die Ölindustrie in immer abgelegeneren und heikleren Regionen fördern will. Die Vorkommen der Zukunft finden sich vor allem auf offener See, sie liegen immer tiefer und sind immer schwerer zu erschließen. Wenn etwas schiefgeht, wird es immer schwieriger, darauf zu reagieren.“Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass sich die großen Ölkonzerne benehmen, als würden sie über dem Gesetz stehen. Bassey meint dazu: „Aus dem Vorfall im Golf von Mexiko können wir lernen, dass die Ölkonzerne vollkommen außer Kontrolle geraten sind. Es ist ganz offenkundig, dass BP eine progressive Gesetzgebung blockiert hat, sowohl in den USA als auch in Nigeria. Hier haben sie sich offenkundig über die Gesetze hinweggesetzt. Sie sind eindeutig eine Gefahr für den Planeten. Die Gefahr, dass sich ein solcher Zwischenfall wieder und wieder ereignet, ist hoch. Die Leute müssen vor den internationalen Strafgerichtshof gebracht werden.“