Jeder, der sich für ägyptische Archäologie interessiert, hat vermutlich schon einmal miterlebt, wie Zahi Hawass, bis vor kurzem noch ägyptischer Minister für Altertümer, den Fund einer Grabstätte bekannt gab oder Untersuchungen an einer Mumie anstellte. Seine Aufsätze über archäologische Funde sind ebenso bekannt, wie sein Ratschlag an die Archäologen, sich vor einer Ausgrabungsmission nicht zu rasieren, um dem Fluch der Pharaonen zu entgehen.
Doch was die wenigsten wissen: Zahi Hawass ist vor allen Dingen ein Medienstar, der sich schon immer gerne als leidenschaftlicher Archäologe inszeniert hat – wobei es außerhalb der Fernsehstudios nicht allzuweit mit dieser Leidenschaft her zu sein scheint.
Als Generalsekretär d
Übersetzung: Andreas Bünger
alsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung und später als Minister für Altertümer suchte Hawass lieber nach Auftrittsmöglichkeiten vor laufenden Kameras als nach Altertümern. Archäologie betrieb Hawass vor allem, um an einflussreiche Posten zu gelangen. Dementsprechend symbiotisch gestaltete sich auch sein Verhältnis zu den Mächtigen im Land: Als Medienstar sollte er die Popularität des Regimes steigern. Im Gegenzug erhielt er Ämter, Gelder und politische Immunität. Ein einziger Blick auf die archäologischen Fundstätten und Museen in Ägypten reicht, um zu verstehen, dass der wissenschaftliche Anstrich der ägyptischen Archäologie eine Farce ist. Was keineswegs daran liegt, dass keine Mittel zur Verfügung stünden, sondern vor allem daran, dass die „wissenschaftlichen“ Mitarbeiter schlampig arbeiten, allen voran Zahi Hawass, der es in seinen knapp zehn Jahren als Minister nicht geschafft hat, in der ägyptischen Archäologie eine wissenschaftliche Arbeitsweise einzuführen.Rudimentärste RegelnEs ist dabei nicht einmal nötig, einzelne wissenschaftliche Methoden, wie etwa die Analyse von Fundproben zur zeitlichen Einordnung, oder die Erforschung des gegenseitigen Einflusses der Kulturen aufeinander, oder Experimente und architektonische Studien zur Aufdeckung kulturgeschichtlicher Zusammenhänge etc., unter die Lupe zu nehmen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es da nichts gibt, was man unter die Lupe nehmen könnte. Die Liste der archäologischen Fundstätten in Ägypten, in denen gegen die einfachsten Grundregeln wissenschaftlicher Methodik verstoßen wird, ist nahezu endlos. Vor etwa einem Jahr gab Zahi Hawass bekannt, dass ein Archäologenteam der Altertumsverwaltung nahe al-Lahwan in der Provinz al-Fayyum auf 45 Grabstätten aus dem Alten Ägypten gestoßen sei, die zahlreiche bemalte hölzerne Sarkophage enthielten.Weil die in diesen Sarkophagen liegenden Mumien offenbar sehr gut erhalten waren, zog man in Erwägung, aus der Fundstätte eine Museumsanlage zu machen – zumal sich die Grabstätten in einem akzeptablen baulichen Zustand befanden und über die nötige Belüftung verfügten. Darüber hinaus stammten die Funde aus mehreren Epochen. Man hätte lediglich noch einige isolationstechnische Installationen vornehmen und dafür sorgen müssen, dass die Mumien in optimalen Temperaturverhältnissen liegen.Doch nichts dergleichen geschah. Hawass erklärte damals, dass der Fund noch dokumentiert werden müsse. Aber auch diese Dokumentation fand nicht statt, obwohl Hawass in einer Pressekonferenz die Vorzüge des Fundes aufgezählt und erläutert hatte, dass einige Gräber aus der 18. Dynastie (1569-1315 v. Chr.) stammten und zwölf hölzerne Sarkophage enthielten, die übereinander lägen. In jedem Sarkophag befinde sich eine, in sehr gut erhaltene farbige Tücher eingewickelte Mumie. Die Särge seien mit Abbildungen von verschiedenen ägyptischen Gottheiten verziert und enthielten Sargtexte mit religiösem Inhalt, die dem Verstorbenen im Jenseits nützen sollten. Und was als größter Vorzug dieses Fundes galt, war die Tatsache, dass er sowohl Grabstätten aus der ersten und zweiten Dynastie, aus dem Mittleren und dem Neuen Reich, sowie aus der Spätzeit umfasste, und außerdem einen Taltempel von König Sesostris II.In desolatem ZustandDie Funde aus der Zeit der ersten und zweiten Dynastie beliefen sich auf 14 Grabstätten, in denen die Totenschreine teilweise komplett erhalten waren. Dabei stieß man auch auf Särge, in denen die Toten in hockender Körperhaltung und in Leinentücher gewickelt bestattet worden waren. Es ist also alles vorhanden, was einen bemerkenswerten Fund ausmacht: Grabstätten mit bemalten hölzernen Sarkophagen, auf denen ägyptische Gottheiten wie Horus, Hathor, Chnum oder Amun abgebildet sind, und in denen sich Mumien befinden, die einst in farbige, mit einer Schutzschicht aus Gips versehene Bandagen gewickelt worden waren und religiöse Texte mit Segenswünschen, sowie Amulette als Grabbeigaben erhalten hatten.Doch nachdem sich Zahi Hawass und Abdel Rahman al-Adidi, Leiter der Ausgrabungen in al-Lahwan, gegenseitig mit Erklärungen und Fernsehinterviews überboten hatten, gingen die Kameras aus. Die Show war vorbei.Jetzt, kein Jahr später, stellt sich heraus, dass sich die Fundstätte mittlerweile in einem desolaten Zustand befindet. Offenbar wurden fundamentale Grundregeln der Archäologie nicht beachtet. Außerdem haben Grabräuber ihr Unwesen getrieben. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass einige der Mumien verschwunden sind.Aber das ist noch längst nicht das größte Problem. Das größte Problem besteht darin, dass die noch verbliebenen Mumien schutzlos dem Verfall ausgeliefert sind. Man hat schlicht keine Maßnahmen ergriffen, um den guten Zustand der Funde aufrecht zu erhalten. Anders als normalerweise üblich, wurde etwa an mehreren Grabstätten gleichzeitig mit den Ausgrabungen begonnen.Wie auf einer MüllkippeDiese Grabstätten sind mithin seit den ersten Funden im Jahr 2008 offen. Die darin befindlichen Fundstücke sind aber nie registriert worden. In der Nähe der Gräber räumen schwere Baumaschinen den Schutt beiseite, der durch die Ausgrabungen angefallen ist. Offenbar wurden diese Maschinen auch bei den Ausgrabungsarbeiten selbst eingesetzt, was unter Archäologen eigentlich als absoluter Fauxpas angesehen wird, weil das schwere Gerät Erschütterungen im Untergrund verursacht, die die darin verborgenen Altertümer erheblich beschädigen können. Schon das Bewegen der Maschinen in der Umgebung einer Grabungsstätte ist problematisch. Für den professionell arbeitenden Archäologen sind als Werkzeuge normalerweise Pinsel und Stukkateur-Eisen das höchste der Gefühle. In den Grabstätten dagegen trifft man inzwischen auf Dutzende achtlos hingeworfener Mumien, die sich in sehr schlechtem Zustand befinden. Diese Mumien sind, wie bereits erwähnt, nicht bei der Altertumsverwaltung registriert und wären somit im Falle eines Diebstahls wohl für immer verschwunden, weil sie offiziell nie existiert haben.Eher zufällig war kürzlich das Verschwinden einer Mumie entdeckt worden, die angeblich stark beschädigt ist, weil Grabräuber sie auf der Suche nach Goldschmuck oder Goldstücken, die den Mumien der Pharaonen an die Stelle gelegt wurde, an der sich das Herz befunden hatte, aufgerissen haben. Berichten zufolge war das Verschwinden dieser Mumie kein Einzelfall, da nahezu alle seit 2008 gemachten Funde unregistriert am Fundort verblieben sind, anstatt an einem sicheren Ort aufbewahrt zu werden. Zudem wurde am Ausgrabungsort offenbar Zementmörtel verarbeitet, obwohl sich für Archäologen die Verwendung von Zement wegen seiner potenziell schädlichen Wirkung auf kalkhaltige Substanzen grundsätzlich verbietet.Entgegen Behauptungen der Altertumsverwaltung, die hölzernen Sarkophage würden derzeit restauriert, liegen zahlreiche, mittlerweile beschädigte Sarkophage kreuz und quer übereinander in den Gräbern, wie auf einer Müllkippe. Auch etliche Haufen mit Knochen und Skelettteilen warten darauf, in ein geologisches Institut gebracht zu werden, damit dort ihr genaues Alter ermittelt werden kann.Nachlässigkeit und unwissenschaftliches Vorgehen haben dazu geführt, dass inzwischen sogar Hunde und Füchse einige der Mumien angefressen haben. Auf anderen Mumien nisten Tauben, ohne dass sich irgendjemand daran stören würde.Allein der MedienrummelWenn man diese skandalösen Zustände mit dem vergleicht, was Zahi Hawass noch 2010 großartig verkündet hatte, so dürfte klar sein, dass es dem ehemaligen Altertumsminister nie wirklich um die archäologischen Funde gegangen ist, sondern einzig und allein um den Medienrummel, der um sie (und vor allem um ihn) gemacht wird.Dass es um die Archäologie in Ägypten wahrlich schlecht bestellt ist, zeigt nicht nur dieser an einer einzigen von den vielen Fundstätten anzutreffende Schlendrian. Neben den Gräbern von Sethos I., Ramses I., II. und III., Merenptah und Amenophis III., sowie Teilen von Theben-West und den Überresten der Grabstätten von Haremhab und von Thutmosis III. und IV., ist auch die Herakleopolis Magna westlich von Beni Suef nach wie vor vom Anstieg des Grundwasserspiegels bedroht. Es ist ein einziger dramatischer Reigen aus Inkompetenz, Korruption und Profilierungssucht.In seinen prächtigen Büchern erzählt Zahi Hawass unterdessen vom Fluch der Pharaonen und von seiner eigenen Verwegenheit, mit der er auf der Suche nach verborgenen archäologischen Schätzen auf Bäume geklettert und in Brunnen getaucht ist. Doch in Wirklichkeit waren es meistens die „kleinen“ Archäologen, die die Funde gemacht haben – bloß, damit sich Zahi Hawass mit den Entdeckungen brüsten und sie anschließend in den Orkus werfen konnte.