Wissenschaftsverlage schröpfen nicht nur die Forschung. Sie betrügen auch die Öffentlichkeit, die sich keinen freien Zugang zu den überteuerten Publikationen leisten kann
Wer sind die skrupellosesten Kapitalisten der westlichen Welt? Wessen monopolistische Praktiken lassen Wal- Mart aussehen wie einen Tante-Emma-Laden und Rupert Murdoch wie einen Sozialisten? Auch wenn es offenkundig eine ganze Reihe von Kandidaten gibt, sind es nicht die Banken, die Ölunternehmen oder die Krankenversicherungen – sondern die Wissenschaftsverlage. Von all dem Betrug, der in der Wirtschaft vor sich geht, müsste die Abzocke, die hier betrieben wird, am dringendsten von den Wettbewerbsbehörden überprüft werden.
Die Welt ist sich einig darin, dass die Leute ermutigt werden sollten, sich mit Ergebnissen der Forschung auseinanderzusetzen. Ohne über den Stand der Wissenschaft informiert zu sein, können wir keine sinnvollen demokratischen Ents
Übersetzung: Holger Hutt
schen Entscheidungen treffen. Die Verleger aber haben die Schatzkammer des Wissens einfach mit einem Vorhängeschloss versehen und ein „Bitte draußen bleiben“-Schild davorgehängt.Man kann die Paywall-Politik des Murdoch-Konzerns daher schlecht finden: Für den 24-Stunden-Zugang zu Times und Sunday Times wird ein britisches Pfund verlangt (1,14 Euro). Aber zumindest kann man in dieser Zeit so viele Artikel lesen und herunterladen, wie man möchte. Will man dagegen einen einzigen Artikel in einem Fachjournal von Elsevier lesen, dann kostet das 31,50 US-Dollar (23,41 Euro). Springer verlangt 34,95 Euro, Wiley-Blackwell 42 US-Dollar (31,21 Euro). Für zehn Artikel muss man auch zehn Mal zahlen. Und das Copyright bleibt für immer und ewig bei den Verlagen. Selbst wenn es um eine kurze Mitteilung (einen letter) geht, die 1981 gedruckt wurde, werden 31,50 Dollar fällig.Natürlich kann man in eine Bibliothek gehen, falls es in der Nähe noch eine gibt. Aber auch die Bibliotheken werden durch die exorbitanten Preise geschröpft. Das Jahresabo eines Fachblattes für Chemie kostet im Durchschnitt 3.792 Dollar, einige Journale verlangen sogar 10.000 Dollar und mehr. Das teuerste, das mir untergekommen ist, war bislang Elseviers Biochimica et Biophysica Acta für 20.930 Dollar. Obwohl viele wissenschaftliche Bibliotheken schon massenhaft Abonnements gekündigt haben, um über die Runden zu kommen, fressen die Journale immer noch 65 Prozent ihrer Budgets auf – was natürlich zu Lasten der Anzahl von Büchern geht, die sie erwerben können. Die Abonnementgebühren für Wissenschaftsmagazine machen damit auch einen beträchtlichen Teil der Kosten der Universitäten aus, die diese dann an ihre Studenten weitergeben.Ohne Auftrag und HonorarWährend aber Murdochs Unternehmen einen großen Teil der Beiträge selbst generieren und Journalisten und Redakteure dafür bezahlen, bekommen die Wissenschaftsverlage ihre Artikel, Peer Reviews (siehe Kasten) und oft auch noch die redaktionelle Arbeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Material, das sie veröffentlichen, wird also nicht einmal von ihnen in Auftrag gegeben oder finanziert, sondern durch öffentliche Gelder und Stipendien ermöglicht – von uns allen. Um die Ergebnisse aber einsehen zu dürfen, müssen wir erneut bezahlen, und zwar Wucherpreise.Die Profite in diesem Geschäft sind astronomisch: So lag beispielsweise die Gewinnspanne von Elsevier im abgelaufenen Wirtschaftsjahr bei 36 Prozent (827 Millionen Euro bei einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden). Möglich ist das durch die relative Monopolstellung des Verlags: Elsevier, Springer und Wiley haben viele ihrer Konkurrenten aufgekauft und veröffentlichen zusammen mittlerweile 42 Prozent aller wissenschaftlichen Fachartikel.Entscheidend ist, dass die Universitäten den Verlagen ihre Produkte abkaufen müssen. Ein Paper wird immer nur einmal veröffentlicht, und Wissenschaftler, die auf dem Laufenden bleiben wollen, müssen diese Artikel lesen. Die Nachfrage ist daher unelastisch, es findet kein Wettbewerb statt, weil verschiedene Journale nicht dieselben Ergebnisse veröffentlichen. In vielen Fällen zwingen die Verlage die Bibliotheken auch noch, Pakete zu abonnieren – egal, ob sie alle darin enthaltenen Journale haben wollen oder nicht. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass einer der größten Betrüger, der je die Bürger dieses Landes ausgenommen hat – der Verleger Robert Maxwell –, einen großen Teil seines Vermögens mit der Veröffentlichung wissenschaftlicher Texte verdient hat.Die Verleger behaupten natürlich, sie müssten diese Gebühren verlangen, weil die Produktions- und Vertriebskosten so hoch seien; auch würden sie den Wert der Artikel steigern, indem sie (in Springers Worten) „Magazin-Marken entwickeln und die digitale Infrastruktur schaffen und ausbauen, die die akademische Kommunikation in den vergangenen 15 Jahren revolutioniert hat“. Eine Analyse der Deutschen Bank kam vor ein paar Jahren allerdings zu einem anderen Schluss: „Wir glauben, dass der Verleger im Veröffentlichungsprozess verhältnismäßig wenig zur Wertsteigerung des Produktes beiträgt. Wäre dieser Prozess wirklich so komplex, kostspielig und würde so viel zur Wertsteigerung beitragen, wie die Verleger behaupten, wären keine Gewinnspannen von 40 Prozent möglich.“ Anstatt die Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse zu unterstützen, verzögern die großen Verlage diesen Prozess dabei sogar, indem sie ein Jahr oder länger mit der Veröffentlichung warten.Es ist Rentier-Kapitalismus in Reinform: Zuerst wird eine öffentliche Ressource monopolisiert, um ihre Nutzung dann mit exorbitanten Gebühren zu belegen. Ein anderer Begriff für diese Praxis wäre ökonomischer Parasitismus. Um an Wissen zu gelangen, dessen Enstehung bereits bezahlt wurde, müssen Lehen an die Gutsherrn entrichtet werden.Wider die MenschenrechteWas für Forscher schlimm genug ist, hat für Laien noch schwerwiegendere Folgen. Ich weise meine Leser auf wissenschaftliche Artikel hin, weil man Behauptungen auf ihre Quellen hin zurückverfolgen können sollte. Die Leser antworten dann, dass sie es sich nicht leisten können, meine Darstellungen zu überprüfen. Wer versucht, sich selbstständig zu informieren, muss dafür teuer bezahlen. Es handelt sich hier um eine Bildungssteuer, die ganz offensichtlich gegen Artikel 27.1 der Erklärung der Menschenrechte verstößt, in dem es heißt, jeder habe das „Recht, ... frei … am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“.Frei verfügbare Journale haben es trotz der hervorragenden Public Library of Science und der Physik-Datenbank arxiv.org nicht geschafft, die Monopolisten auszubooten. 1998 hieß es im Economist noch, die „Zeiten 40-prozentiger Gewinnspannen könnten bald so tot sein wie Robert Maxwell“. Doch 2010 lagen die Profitmargen von Elsevier mit 36 Prozent immer noch so hoch wie 1998. Ein Grund: Die großen Verlage haben sich alle Fachmagazine mit einem hohen impact factor (s. Kasten) einverleibt, in denen Wissenschaftler veröffentlichen müssen, wenn sie Fördermittel sichern und ihre Karriere voranbringen wollen.Mit wenigen Ausnahmen hat der Staat es bislang nicht vermocht, die Verlage zu stellen. In den USA verpflichten die National Institutes of Health jeden, der Fördergelder bekommt, seine Paper in einem frei zugänglichen Archiv zu publizieren. Die Research Councils in Großbritannien aber (deren Statement über den öffentlichen Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten an substanzloser Geschwätzigkeit nicht zu überbieten ist) verlassen sich auf die „Annahme, dass die Verlage den Geist ihrer gegenwärtigen Politik beibehalten werden“. Darauf kann man in der Tat wetten.Investieren statt VergeudenKurzfristig sollten die Regierungen die Verlage bei den zuständigen Wettbewerbshütern melden und darauf bestehen, dass alle wissenschaftlichen Berichte und Paper frei zugänglich archiviert werden. Längerfristig sollten sie daran arbeiten, die Mittelsmänner komplett auszuschalten und, nach dem Vorbild von Björn Brembs von der Freien Universität Berlin, ein einziges weltweites Archiv aufzubauen, in dem wissenschaftliche Literatur und Forschungsdaten zugänglich sind. Die Überprüfung durch andere Wissenschaftler würde durch eine unabhängige Körperschaft überwacht werden. Sie könnte mit dem Geld finanziert werden, die Bibliotheken gegenwärtig noch für teure Abonnements vergeuden müssen.Das Wissensmonopol hat so wenig Berechtigung und ist so anachronistisch wie die britischen Korngesetze des 19. Jahrhunderts. Es wird Zeit, diese parasitären Lehnsherren loszuwerden und die Wissenschaft zu befreien, denn sie gehört uns allen.