Der Hunger auf der Erde wächst, die Agrar-industrie verfolgt weiter eigene Interessen. Können Grashüpfer, Retortensteak und Algen die Menschheit retten?
Vor 50 Jahren, als die Weltbevölkerung noch halb so groß war wie heute, hieß die Antwort auf den drohenden globalen Hunger: massiver Einsatz von Hybridsaatgut und chemischen Düngern – die „Grüne Revolution“. Es funktionierte, aber der ökologische Preis war hoch. Jetzt, da sich die Zahl der Menschen auf der Erde bis 2050 ein weiteres Mal zu verdoppeln anschickt, suchen Agartechnologen neue Strategien, um Landwirtschaft auch dort zu ermöglichen, wo sie bisher schwierig oder unmöglich war. Land und Wasser müssen vermutlich völlig anders genutzt werden. Und so tritt eine neue Generation von radikalen Farmern auf den Plan, mit neuen Nahrungsmitteln – und ein paar glänzenden Ideen.
Wie zum Beispiel räumt man Acker
Bearbeitet und übersetzt von Kathrin Zinkant
man Ackerflächen, die für Biodiesel genutzt werden, für den Anbau von Nahrungsmitteln frei? Ganz einfach: Indem man in die kommerzielle Algenzucht einsteigt. Algen sind einfache Organismen, die in verdrecktem Wasser und überhaupt in Milieus wachsen, in denen jede andere Nahrungspflanze kollabiert. Forscher sagen, dass Algen unter optimalen Bedingungen bis zu dreißig Mal mehr Biosprit je Hektar liefern als Mais. Der gesamte Bedarf der USA ließe sich mit Algentanks auf 800.000 Hektar Wüste decken. Laut Mark Edwards von der Arizona State University würden dadurch 16 Millionen Hektar Ackerfläche für den Anbau von Nahrung frei und Milliarden Liter an Wasser gespart. Und in China und Japan essen die Menschen schon seit langer Zeit selbst Seetang. Algen lassen sich zudem als Dünger und Tierfutter verwenden. „Es gibt sie vom riesigen Seetang und Kelp bis hin zu mikroskopischem Schleim, sie binden CO2 aus der Luft und liefern Fette, Öle und Zucker. Vom winzigen Shrimp bis zum Blauwal dienen sie vielen Tieren als Nahrung. Sie sind die Grundlage allen Lebens – und seine Zukunft“, sagt Edwards.Superreis statt ImpfbananeManche Forscher halten dagegen die Suche nach Fleischersatz für entscheidend: Farmtiere beanspruchen ein Viertel aller kultivierbaren Flächen weltweit, der Anbau des Futters fordert ein weiteres Viertel. In den USA werden fast 70 Prozent des angebauten Getreides an Tiere verfüttert. Der westliche Ernährungsstil hat sich in China und anderen Schwellenländern etabliert.Künstliches oder auch „Retorten“-Fleisch aber wird in riesigen Kübeln erzeugt, und obwohl es nie Teil eines lebendigen Tiers war, sieht es wie Fleisch aus und ist tatsächlich auch Fleisch. Am meisten wird in Europa geforscht, wo holländische und britische Wissenschaftler das essbare Gewebe aus Stammzellen züchten. Der erste künstliche Hamburger könnte schon im nächsten Jahr testreif sein, aber das Fleisch schmeckt noch nach nichts. Fleisch braucht Blut und Fett, und obwohl man Stammzellen für Blut und Fett schon erzeugen kann, ist das Ganze eine ziemlich komplexe und aufwendige Angelegenheit. Mit Blick auf die Umwelt ist künstliches Fleisch dafür unschlagbar: Es benötigt weit, weit weniger Wasser, Energie und Fläche als richtiges Fleisch, und es gibt kaum ethische Bedenken, weil das Verfahren die Massenproduktion von Fleisch und den Einsatz von Wachstumshormonen und Antibiotika verdrängen könnte.Das meiste Geld floss in den vergangenen 20 Jahren allerdings in die grüne Gentechnik. Die globale Agrarchemie-Industrie kündigte neue Getreide mit Vitaminen an, dürrefesten Mais und CO2-sparende Sorten. Inzwischen werden auf zehn Prozent der Agrarflächen weltweit genetisch veränderte Pflanzen angebaut, aber fast nur Mais, Raps und Soja. Während nun an Impfstoffbananen, schnell wachsenden Fischen und immunen Kühen geforscht wird, ist das Versprechen, die Welt zu ernähren, auf der Strecke geblieben.Insektenfarmen in EuropaGenau deshalb könnte sich der chinesische Pflanzenzüchter Zhikang Li als eine der bedeutsamsten Persönlichkeiten des Jahrhunderts erweisen. Nach zwölf Jahren Arbeit haben Li und sein Team kürzlich den „grünen Superreis“ vorgestellt, eine Reihe von Reissorten, die hochproduktiv und zugleich besonders widerstandsfähig gegen Dürre, Überschwemmungen, Salzwasser, Insekten und Krankheiten sind. Statt Gentechnik nutzte der Forscher – in Kooperation mit Kollegen und Bauern aus 16 Ländern – rein konventionelle Zuchttechniken und kreuzte mehr als 250 Reissorten miteinander. Der Superreis, der allein in Asien den Hunger von mehr als 100 Millionen Menschen stillen könnte, soll in den nächsten Jahren auf den Markt kommen.Die meisten Gebiete auf der Erde sind aber sehr trocken, die nächste Wasserquelle ist meist das Meer. Was, wenn man nun noch mit Salzwasser die küstennahen Wüsten in Chile, Kalifornien, Peru und dem Mittleren Osten begrünen könnte? Der Brite Charlie Paton träumt von riesigen „Seewasser-Gewächshäusern“, die Nahrung und Strom produzieren. Seine Idee ist einfach: Im natürlichen Wasserkreislauf verdunstet Meerwasser in der Sonne, kühlt in der Luft ab, bildet Wolken und kehrt als Regen auf die Erde zurück. Etwa das gleiche passiert in Patons Konstruktion, und es ensteht dabei fünfmal so viel Wasser, wie die Pflanzen in den Treibhäusern brauchen – der Überschuss kann zum Beispiel für die Bewässerung in der Umgebung genutzt werden. In diesem Jahr wird nahe Akaba in Jordanien ein großes Pilotprojekt aufgebaut: Das Sahara Forest Project kombiniert verschiedene Technologien für den Anbau von Nahrungs- und Biosprit-Pflanzen. 2015 soll es seine Arbeit aufnehmen.Grashüpfer, Spinnen, Wespen, Ameisen und Käfer fehlen unterdessen noch auf den westlichen Speisekarten. In Südamerika, Asien und Afrika jedoch werden 1.400 Spezies gegessen, und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Insektenfarmen in Europa gebaut werden. Nicht nur, dass Insekten reich an Proteinen, Kalzium und Eisen sind und wenig Fett oder Cholesterin enthalten, sie lassen sich auch auf kleinstem Raum züchten. Umwelttechnisch schlagen sie jede konventionelle Tierfarm schon deshalb, weil sie pflanzliche Biomasse schneller in Fleisch verwandeln als jede Hühnerfabrik und dabei weniger Treibhausgase produzieren. Sie können sich sogar von Papier, Algen und Industrieabfall ernähren. Die Vorteile der „Mikro-Viehzucht“ sind nach Ansicht der Europäischen Union und der Vereinten Nationen enorm. Die EU lässt das Potenzial von Insekten als Ernährungsstandard inzwischen prüfen und bietet ihren Mitgliedsstaaten Millionen Euro, falls die Verwendung von Insekten in der Küche gefördert wird.