Wann die Idee entstand, doch einmal eine Demonstration in Zeiten der Krise zu organisieren, ist gar nicht so einfach herauszufinden. Schon im Herbst 2008 wurde in linken Gruppen die Idee einer bundesweiten Aktion diskutiert. Im November forderten, um nur ein Beispiel zu nennen, “Berliner Stadtmusikanten” den Neuanfang einer sozialen Opposition (hier als PDF). Im Winter setzte eine kritische Debatte in den Gewerkschaften ein, in der ebenfalls von “Macht und Gegenwehr” die Rede war, von mobilisierungsfähigen Forderungen und der Notwendigkeit, diese mit Druck auf die öffentliche Agenda zu setzen – man konnte das als Aufforderung verstehen, auf die Straße zu gehen. Im Januar schließlich verständigten sich Gruppen aus dem globalisierungskri
Politik : Eine, zwei, viele Aktionen
Mit den Demonstrationen am Samstag beginnen die Krisen-Proteste. Eine Bewegung ist bisher nicht erkennbar – ob das in einigen Monaten immer noch so ist, weiß niemand
die öffentliche Agenda zu setzen – man konnte das als Aufforderung verstehen, auf die Straße zu gehen. Im Januar schließlich verständigten sich Gruppen aus dem globalisierungskritischen Spektrum auf eine Pariser Erklärung und riefen nach London anlässlich des G20-Gipfels. Darüber hinaus forderte man Gleichgesinnte auf, “in ihren eigenen Ländern auf die Straße zu gehen und sich Gehör zu verschaffen”.Bald darauf war für die Bundesrepublik der 28. März als Tag der ersten beiden großen Krisen-Demos gesetzt. Groß? Von allein kommt weder der Aufruf unter die Leute, noch kommen diese zum Ort des Geschehens. Von der veröffentlichten Meinung hatten die Organisatoren wenig zu erwarten. Pressearbeit und Anreiselogistik sind aber durchaus eine Stärke der Gewerkschaften – doch diese blieben zunächst auf Distanz. Trotz aller Kritik von der Basis (als Beispiel ein offener Brief hier als PDF).Neue und alte soziale BewegungEs gibt eine ganze Reihe von Erklärungen dafür, angefangen vom Argument, die DGB-Organisationen hätten sich auf europäischer Ebene bereits auf einen Aktionstag im Mai verständigt – und könnten binnen kurzer Zeit nicht erfolgreich zu mehreren Demonstrationen aufrufen. In der Zurückhaltung der Gewerkschaften wird zudem ein alter Konflikt zwischen “neuen” und “alten” sozialen Bewegungen erkennbar, der sich nicht zum ersten Mal in unterschiedlichen strategischen und programmatischen Vorgehen niederschlägt.Wie weit, um ein Beispiel zu nennen, ist die DGB-Demonstration am 16. Mai auch als Unterstützung für die Sozialdemokraten bei den kurz darauf stattfindenden Europawahlen für zu verstehen? Wie groß ist die Angst, im Bundestagswahljahr an Einfluss zu verlieren, wenn man mit einer womöglich nur kleineren Doppel-Demonstration in Verbindung gebracht wird – oder mit den radikaleren Forderungen der daran beteiligten Gruppen? Scheut der DGB womöglich die gemeinsame Aktion mit der Linkspartei? In einem Brief argumentierte der Vorsitzende von Ver.di, Frank Bsirske, bereits im Januar, dass man es in der Gewerkschaftsspitze “nicht für realistisch halten” würde, “binnen eineinhalb Monaten zweimal zu zentralen Demonstrationen in Berlin zu mobilisieren”. (Das Schreiben findet man komplett hier als PDF.)Dominanz in bunten SpektrenDas kennt man bereits von früheren Protestzyklen und den Sozialforen, und immer war es auch eine Frage der Dominanz in den bunten Spektren, die vom kirchlichen Lager bis zu Kommunisten reichen, vom enttäuschten Sozialdemokraten bis zu Attac. Gewerkschafter waren dabei immer an erster Stelle aktiv – aber nicht in jedem Fall die Gewerkschaften.Ob man es schon als Beleg eines Lernprozesses begreifen darf, wenn jetzt nicht nur große Teile der Basis, ja ganze Teilgliederungen der Gewerkschaften zum 28. März aufrufen – und Bsirske auf dem Attac-Kapitalismuskongress versprach, bei einer der beiden Demonstration teilzunehmen? Soll das Plädoyer von Hans-Jürgen Urban, immerhin geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall Hoffnung machen, der ebenda in großen Beifall hinein sagte: “Wir dürfen uns die alten Spielchen nicht leisten nach dem Motto: Ruft ihr nicht zu meiner Demo auf, kommen wir nicht zu eurer”?"Wir brauchen euch"Wenn Urban sagt, “wir brauchen euch”, dann gilt das aber auch umgekehrt, jedenfalls wenn man die Größe einer Demonstration für ein wichtiges Erfolgskriterium hält. Aktionen zum Beispiel gegen die Agenda 2010 waren in den vergangenen Jahren immer dann gut besucht (und in der Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen), wenn die DGB-Apparate bundesweit Busse organisierte. Inzwischen machen das gewerkschaftliche Gliederungen auf eigene Faust – auch das kann man positiv sehen.Eine Frage aber beantwortet es nicht: Was ist die Klammer der unterschiedlichen Forderungen, wo liegt das gemeinsame Interesse – abgesehen davon, dass endlich etwas in Bewegung kommt in Zeiten dieser großen Krise? Und welchen Einfluss hat womöglich die Forderung nach “Einheit” für den Charakter einer Demonstration? Schließlich müssen Kompromisse gefunden werden, wenn die Liste der Unterstützer möglichst lang sein soll.Linkspartei unterstützt DemosDies lenkt den Blick auf die Beteiligung der Linkspartei, die als einzige im Bundestag vertretene Partei unter dem Aufruf zu den Demonstrationen steht. Einerseits hat ihre Beteiligung an der Vorbereitung hier und dort Ängste neu entfacht, eine parlamentarische Kraft könnte den “von unten” entstandenen Protest dominieren – und dessen Forderungen domestizieren. Andererseits gehört zur Kooperation nun einmal die Fähigkeit zum Kompromiss, die Auswege kennt, etwa die Veröffentlichung ergänzender Aufrufe, die den Konsens ergänzen.In einer frühen Entwurfsfassung für den Aufruf zu den März-Demos – um ein Beispiel zu nennen – war noch von einer “Grundsicherung, die ihren Namen verdient, für alle Menschen die hier leben” und eine eine Erhöhung der Hartz-Regelsätze auf “mindestens 500 Euro” die Rede. Im jetzt gültigen Aufruf wird zwar immer noch eine “sofortige Erhöhung des Eckregelsatzes” gefordert – die Zahl aber machte dem dehnbaren Wörtchen “existenzsichernd” Platz und der Bezieherkreis scheint auch kleiner geworden zu sein. Ein “bedingungsloses Grundeinkommen von mindestens 1500 Euro für alle” findet man dafür im Aufruf zu einem “antikapitalistischen Block” - der allerdings nur von wenigen Gruppen getragen wird. Dem Mosaik-Charakter gemäß findet sich im Aufruf des regionalen Berliner Bündnisses in Sachen Hartz IV eine Mischung aus beidem.Von der Vorbereitung zur Bewegung?Bleibt die Frage, ob solche Aufrufe tatsächlich gelesen werden oder sich die Leute jenseits des organisierten Spektrums nicht aus ganz anderen Gründen an den Protesten beteiligen – wenn sie es denn überhaupt tun. Das ist ja das Spannende auch bei den Demonstrationen am 28. März, ob nämlich aus dem Netzwerk politische Organisationen, die die Vorbereitung der Aktionen besorgen, eine Bewegung wird, die den Namen verdient, die also plötzlich auch jene erfasst, die bisher nicht zum erwartbaren Teilnehmerkreis gehörten.Wie groß die Demonstrationen am 28. März werden, weiß niemand. So wie Hoffnungen kann auch Zweckpessimismus enttäuscht werden. Vor Vorhersagen sollte man sich also besser hüten: Anfang November 2003 waren “nur” 25.000 Menschen zu einem Protestmarsch gegen die Agenda 2010 erwartet worden – mehr als 100.000 kamen, darunter auch viele, die sich spontan dem Demonstrationszug anschlossen. In diesem überraschenden Zuspruch lag dann ein wichtiger Impuls zur Gründung einer “Wahlpolitischen Initiative 2006”, aus der später die WASG wurde, die zur neuen Linken fusionierte. Und auch die Diskussion über die Gründung eines Sozialforums in Deutschland nahm kurz nach jenem 1. November 2003 erst so richtig Fahrt auf.Eine zweite und dritte ChanceDas besondere in diesem Jahr ist womöglich, dass es von vornherein eine zweite und dritte Chance gibt. Wo in vergangenen Protestphasen die Kraft nur für einen Versuch einer bundesweiten Mobilisierung reichte, stehen jetzt bereits weitere Termine fest. Die gewerkschaftliche Demonstration am 16. Mai ist dabei noch nicht das Ende. Für den Frühsommer planen Schüler und Studenten eine Aktionswoche mit einem Bildungsstreik am 17. Juni. Und wer weiß, was in den Opelwerken und anderen Betrieben geschehen wird, wenn womöglich klar geworden ist, dass die Rettungsrhetorik der Politik nur bis zur Bundestagswahl reicht.